679
Die Lehransialt für die Wissenschaft des Judentums.
680
Erhaltung, Fortbildung und Verbreitung zu halten." An die Spitze der Anstalt trat ein Kuratorium, das zugleich den Vorstand des Vereins bildete und von den Vereinsmitgliedern gewählt wurde.
Die Hochschule hatte das Glück, bei ihrer Begründung ausgezeichnete Lehrer zu finden, die für den Zweck vorzüglich geeignet waren. Gleich bei ihrer Eröffnung traten zwei Männer mit weltberühmten Namen in ihr Kollegium ein: H. Steinthal (1823-1899), der als Völkerpsychologe und Ethiker einen ausgezeichneten Euf in der wissenschaftlichen Welt genoss, ein bewährter akademischer Lehrer war, der insbesondere durch seine edle, vorbildliche Persönlichkeit auf seine Schüler in seltener Weise einwirkte; A. Geiger (1810—1874:), der zuerst den Begriff einer jüdischen Theologie aufstellte, durch seine Stellung als Führer der jüdischen Reformbewegung, durch seine bahnbrechenden Forschungen auf dem Gebiete der Bibelwissenschaft und der älteren jüdischen Geschichte sowie durch seine Verteidigung der Ehre des Judentums eine allgemein anerkannte Grösse. Dazu trat J. Lewy (yeb. 181U), damals am Anfange seiner Laufbahn, der eine seltene Begabung und eine besondere Tüchtigkeit für sein umfassendes Spezialfach mitbrachte, und endlich D. Cassel (1818—1893), der ganz besonders durch seine organisatorischen Fähigkeiten, seinen praktischen Sinn und sein pädagogisches Geschick der Hochschule vortrefflich diente. Auch später ist es gelungen, die im Lehrerkollegium entstandenen Lücken durch tüchtige Kräfte zu ergänzen, es braucht nur an J. Müller erinnert, nur auf Namen wie Frankl und Schreiner verwiesen zu werden, deren beider Kraft in der Blüte des Lebens gebrochen wurde.
Trotz der schönen Anfänge, die zu den besten Hoffnungen berechtigten, wurde die Hochschule nicht das, was sie werden sollte, hat ihre Entwicklung nicht vollständig das Ziel erreicht, das ihr vorgezeichnet worden war. Das lag zum Teil an der Ungunst der Verhältnisse. Die moralische Unterstützung des Staates, auf die die Gründer Hoffnungen gesetzt hatten, blieb aus, wandelte sich sogar in das Gegenteil um, aus der Hochschule musste die „Lehranstalt" gemacht werden, der alte klangreiche, inhaltsvolle Namen musste aufgegeben und mit einem nichtssagenden, farblosen Titel vertauscht werden. Weit verhängnisvoller war die Gleichgiltigkeit der Glaubensgenossen. Die Hochschule fand nicht genügende Unterstützung und hatte lange unter Mittellosigkeit schwer zu leiden. Ihre Aufgaben konnten nicht in vollem Umfange erfüllt werden, weil es ihr an der Gunst und der Beihilfe fehlte, auf die sie angewiesen war. Das Geschick der Hochschule, die Teil- nahmlosigkeit der Glaubensgenossen gegenüber ihren Bestrebungen, bildet eines der wenig rühmlichen Blätter in der Geschichte des modernen Judentums. Trotzdem Jahrzehnte lang die Gründung eines solchen Institutes vorgeschlagen und an
gestrebt wurde, trotz der glänzenden Namen, die an der Spitze standen und eine Gewähr für die Durchführung ihres Programms boten, zeigte sich nur wenig Verständnis, noch weniger Förderung für die Bestrebungen der Anstalt. Die Hochschule war als der Ausdruck des Geistes der modernen Judenheit gedacht, sie sollte ein lebendiges Zeugnis des Gemeinsinnes und der religiösen Hochherzigkeit darstellen. Der Geschichtsschreiber muss mit Beschämung bekennen, dass diese Erwartungen enttäuscht wurden, dass die Zahl der Opferfreudigen gering war, die der Anstalt dauernd ihre Anhänglichkeit bezeigten. „Seitdem man unter den Juden nicht mehr im spezifischen Sinne „lernt", ist das Interesse für die jüdische Wissenschaft erlahmt." Es bedurfte langer Zeit, bis die Stimmung sich der Anstalt günstiger gezeigt hat!
Trotz aller Kämpfe und Schwierigkeiten hat die Hochschule ihr Ziel nicht aufgegeben, sie hat sich durchgerungen und lebt der Hoffnung, dereinst auch den Sieg zu erlangen. Es war ihr das Glück beschieden, dass der Geist, der bei ihrer Gründung treibend wirkte, lange in ihr lebendig blieb und fortbestand. Lehrer und Kuratoren blieben lange Zeit im Amte, an die Stelle der Väter traten mehrfach die Söhne in die Verwaltung, so blieb die Kontinuität des Geistes erhalten, die alte Klarheit über die Aufgaben, die gleiche Freudigkeit wie bei der Begründung blieb herrschend. Es ist dem unentwegten Streben auch der Erfolg nicht versagt geblieben, im letzten Jahrzehnt konnte die Lehranstalt grosse Fortschritte in ihrer Entwicklung verzeichnen. Neue Stiftungen wurden an ihr errichtet, die Zahl der Mitglieder wuchs, die Lehrstühle konnten vermehrt, für die Besoldung und Zukunft der Lehrer konnte in ausreichenderer Weise gesorgt werden. Zuletzt konnte das grösste Ziel angestrebt werden, das seit der Gründung der Verwaltung der Hochschule vorschwebte, dessen Erreichung aber immer wieder hinausgeschoben werden musste, die Errichtung eines eigenen Heims. „Wenn Emancipation und Wissenschaft nicht leerer Schall sein soll, muss sie Institutionen befruchten!" Dieses Mahnwort Leopold Zunz scheint in seiner Wahrheit allmählich erfasst zu werden, in immer weiteren Kreisen bricht sich die Erkenntnis Bahn, welche Bedeutung der Wissenschaft des Judentums zukommt, zahlreicher werden die Freunde der ihr geweihten Veranstaltungen.
Unser jüdisches Bewusstsein wird immer klarer und sicherer, es wächst das Verständnis für unsere wahren Aufgaben. Unter diesen bildet die Wissenschaft eine der vornehmsten. Es soll der Wert sozialer Hilfswerke, für die in unserer Gemeinschaft so grosse Opfer gebracht werden, gewiss nicht verkannt werden; aber sie alle bedeuten nur einzelne Leistungen, tragen nicht zur Festigung des gesamten Judentums bei Das kann nur die Wissenschaft bewirken. Sie ist eine Quelle der Erneuerung der Sittlichkeit, der Belebung des religiösen Geistes, sie allein bietet