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Dr. Richard Loewe: Die jüdisch-deutsche Sprache.
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kommenden hebräischen Deklinationsendungen in solchen Dingen wie der zum Teil romanischen Komparationsart ein Seitenstück haben, um von den germanischen Deklinationsendungen des Altfranzösischen und ähnlichen Erscheinungen anderer Sprachen ganz zu schweigen. Die Wissenschaft sieht überhaupt in der Sprachmischung nichts Unorganisches und kennt auch längst nicht mehr den Begriff „verdorbene Sprache", der endlich auch allgemein aufgegeben werden sollte.
Wer das Gerzonsche Buch durchblättert, wird denn auch finden, dass der Verfasser hier den jüdischdeutschen Dialekt ebenso behandelt, wie man es sonst mit anderen deutschen Dialekten wie dem Bairischen oder Schwäbischen tut, indem er eine genaue Ueber- sicht über die Lautverhältnisse, die Deklination, die Konjugation, die Wortbildung und die Syntax gibt und überall dabei das Altdeutsche zum Vergleich heranzieht. Dabei zeigt sich denn sogar, dass sich das Jüdisch-Deutsche manche schöne und kraftvolle Ausdrucksweise, die dem eigentlichen Deutsch mangelt, selbst geschaffen bat. Erwähnen will ich hier nur die Fähigkeit des Jüdisch-Deutschen, den Stamm des Verbums als Substantiv zu gebrauchen, was besonders gern in der Verbindung mit ton, „tuen", geschieht (z. B. a mach ton für „machen", jenen a schleider ton für Jenen schleudern").. Auch deutsche Abstrakta, die, wie worf für „Wurf", von einem Verbum abgeleitet sind, werden so verwendet, z. B. jenen a worf ton für „jenen werfen". So kommt in dem jüdisch-deutschen Liede „Das Jidel" die Stelle vor „er braucht nur zu Gott a Hub ton de Händ", was uns doch den die Hände zu Gott emporhebenden Juden viel anschaulicher vor Augen führt, als wenn einfach „die Hände heben" gesagt worden wäre. Wer die Stelle im Zusammenhange liest, wird das besonders stark empfinden.
In seiner Schlussbetrachtung hat Gerzon die Herkunft des Jüdisch-Deutschen erörtert, d. h. aus einem Vergleiche seiner dialektischen Eigentümlichkeiten mit solchen der Dialekte des deutschen Volkes selbst das Problem zu lösen gesucht, aus welcher Gegend Deutschlands die Juden nach Osteuropa gewandert waren. Schon im Jthre 1896 hatte A. Landau in einem Aufsatze der Wiener Zeitschrift „Deutsche Mundarten" den Versuch gemacht, dieselbe Frage durch Betrachtung der Endungen der Verkleinerungs- und hosewörter zur Lösung zu bringen. Landau bespricht Kier also Wörter wie schtetel „Städtchen" neben schtot „Stadt", negele „Nägelchen" neben nogel „Nagel" usw. Er kommt dabei zu dem ganz richtigen Resultat, dass sich in dieser Beziehung Eigentümlichkeiten der verschiedensten hochdeutschen, d. h. süd- und mitteldeutschen Dialekte im Jüdisch-Deutschen vereinigt finden, und zieht hieraus auch den ganz richtigen Schluss, dass sich Juden aus all diesen Gegenden in Osteuropa mit einander vermischt haben.
So ausserordentlich gründlich Landaus Untersuchung auch gewesen war, so war sie doch mit der alleinigen Heranziehung der Verkleinerungswörter zu einseitig vorgegangen und hatte vor allem die Frage noch offen gelassen, ob sich nicht aus anderen Eigentümlichkeiten des Jüdisch-Deutschen eine Entscheidung darüber gewinnen liesse, aus welchen deutschen Gegenden die grösste Anzahl von Juden sich nach Osten geflüchtet hdtte. Gerzon ist nun der Lösung dieser Frage mit der Betrachtung desjenigen Momentes näher getreten, das überhaupt als das wichtigste Unterscheidungsmittel der verschiedenen deutschen Mundarten von einander gilt. Es ist das der Kon
sonantismus. Um das Jahr 600 n. Chr. vollzog sich nämlich in Deutschland die sogenannte zweite Lautverschiebung, d. h. es wurden in Süd- und Mitteldeutschland eine Anzahl von Konsonanten in bestimmte andere Konsonanten verwandelt, während sie in Norddeutschland gerade wie in anderen germanischen Ländern wie England und Skandinavien unverändert blieben. Am meisten kommt hier das p in Betracht, das im Wortanfang, nach einem m, oder wo es verdoppelt als pp stand, in pf überging. So entspricht dem altniederdeutschen (d. h. norddeutschen) perid „Pferd" ein althochdeutsches (süd- und mitteldeutsches) pferid, dem angelsächsischen comp „Kamp!" ein althochdeutsches kämpf, dem altniederdeutschen skeppian „schöpfen", ein althochdeutsches schepfen. Nun ist aber die Verschiebung des p auch in Süd-und Mitteldeutschland nicht überall eine gleichmässige gewesen: in allen Stellungen ist sie nur im Alemannisch- Schwäbischen, im Batrisch-Oesterreichischen und im Ostfränkischen (d. h. dem Dialekte des heutigen bairischen Franken) geschehen, im Thüringisch-Ober- sächsisch-Schlesischen dagegen ist sie nach m, und wo p doppelt stand, gerade wie im Niederdeutschen und Angelsächsischen unterblieben, während sie dort im Wortanfang über pf zu f geführt hat (unter „Obersächsisch" ist der Dialekt des einstigen Kurfürstentums, jetzigen Königreichs Sachsen zu verstehen); die westlicheren mitteldeutschen Dialekte, wie das Hessische und Rhein fränkische (in der Rheinpfalz, südlichen Rheinprovinz usw.), haben hier auch p im Wortanfang so wenig wie das Niederdeutsche verändert. Das Jüdisch-Deutsche stimmt hier nun nach Gerzon lediglich zum Thüringisch-Obersächsisch-Schlesischen: es heisst jüdisch-deutsch z. B. ferd mit f im Wortanfang, aber schtrump „Strumpf** mit p nach m und auch scheppen „schöpfen" mit pp, wo die südlicheren hochdeutschen Volksdialekte und daher auch die deutsche Schriftsprache pf haben.
In mein er Besprechung von GerzonsBuchim 16. Bande des Anzeigers der „Indogermanischen Forschungen" habe ich dann noch Ergänzungen zur Herkunftsfrage des Jüdisch-Deutschen gegeben. Ich habe hier zunächst daraufhingewiesen, dass gerade die einzige Ausnahme, die Gerzon in dieser Hinsicht vom thüringisch-ober- säcbsisch-schlesischen Stande der Lautverschiebung verzeichnet, das Wort karpen „Karpfen" die Regel nur bestätigt. Denn während sonst thüringisch-ober- sächsisch-schlesisch p sich auch Dach r in f (z. B. in werfen gegenüber niederdeutsch werpen, in scharf gegenüber niederdeutsch scharp) verwandelt hat, ist es auch in diesen Dialekten in karpen unverändert geblieben. Man wende nicht ein, dass jüdisch-deutsch karpen auch aus dem Slawischen kommen könne, weil es polnisch karp', russisch karpu usw. heisst: nur das deutsche Wort hat hier am Schlüsse ein -en, und deshalb kann auch jüdisch-deutsch karpen nur aus einem deutschen Dialekt stammen.
Doch habe ich auch noch andere Eigentümlichkeiten des Jüdisch-Deutschen zur Bestimmung seiner Herkunft verwandt. Besonders habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass für deutsches b im jüdisch- Deutschen teils b wie in buch „Buch", teils p wie in putter „Butter", für deutsches g teils g, wie in geben „geben", teils k wie in keikeln „gaukeln" steht, und dass diese Doppelheit sich nur aus der Vermischung zweier verschiedener Dialekte erklären kann. Und zwar lassen sich hier jüdisch-deutsches b und g wieder aus dem Thüringisch-Obersächsisch-Schlesischen erklären, in dem während des Mittelalters b und g so