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Dr. Edgar Alfred Regetier: Zionisteustolz und Sehnsucht.
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sprechen in der Schönheit psalmengesättigter Sprache Ton der Morgenröte des gelobten Landes, und in deren Schein hinein die Worte wie eine Yerheissung klingen: Von Gholus nach Zion . . .
Theodor Herzl, ein ungekrönter König an Macht und Würde, war bis vor wenig Monaten noch die Seele des Zionismus. Er ging zu seinen Vätern, und seine Anhänger trauerten um ihn wie um einen Vater. Die Hoheit seines Geistes war unbefleckt, die Energie seiner Seele ohne Ermatten. Sein Stolz war die Liebe zu seinen Brüdern, seine Güte das Schmähwort der Verfeindeten, sein Mut das Mitleid mit Tausenden, die .Zion suchten, seine Kraft die Idee und die Gewissheit des Gelingens. Er war ein Gesetzgeber seines Volkes, wie es Solon oder Lykurg in ihren Staaten, sein ■genialer Blick trug die Geschicke seines Stammes weit über die Gegenwart hinaus, und in dem Feuer des Höffens und Verlangens Hess er sie erstarken. Stirn gegen Stirn stand Lilien, der Zionist, zu Herzl. Auf den Kongressen zu Basel flocht er noch die Fesseln, die mit vielen anderen das machtvolle und liebetreue Wirken des Führers hemmen und hindern sollten. Dann, als dem Künstler das Verständnis für diesen ganz einzigartigen Mann aufging, war er der treueste Gefolgsmann, und es gab von dort an nicht eine Stunde mehr, da er nicht Schulter an Schulter mit ihm kämpfte. Das Zerwürfnis mit Herzl hat Lilien tief und dauernd geschmerzt, und eine kleine Sühne des Zwistes und zugleich ein schönes Zeichen seiner Zuneigung und verehrenden Freundschaft war es, als Lilien in den ersten Glasfenstern, die er für die jüdische Loge Bnei Briih in Hamburg in Auftrag erhielt, -das eine dem Andenken Theodor Herzls widmete, dessen Kopf ihm für den Mose den stärksten Anhalt bot. „Ich werde Dich herausführen aus dem Elende Aegyptens" ist das Moseswort, das im oberen Rande des Fensters wie ein Versprechen dieses Zionisten- führers steht.
Es war nötig, so eingehend dieser zionistischen Bewegung zu gedenken, denn sie gibt Lilien den Ideengehalt seiner Werke, er wird von ihr getragen, wie er ein tapferer Kämpfer für ihre Festigung ist. Der Zionismus war neben der Renaissance unseres Buchgewerbes die Kraft, die den Zeichner hob und seinem Namen Ruhm und Bedeutung gab.
So gewinnt das Buch „Juda" ein ganz anderes Ansehen. Es war eine Tat, deren Wirkungen weiter reichen, als wir uns vorstellen können. Da gellt der Triumphgesang der Juden, den Börries von Münchbausen anstimmt, ganz anders und leidenschaftlicher durch die Lüfte. Seine Worte waren wie das Aufwachen aus langem Schlaf und engem Traum:
Nun hänge um Deine Schultern, mein Volk, das
Reisegewand
Und brich den Stecken der Zeder, als Stab für
Deine Hand,
Und die Du geführt in der Knechtschaft, die Kelle,
schlage entzwei
Und zerbrich den Meissel des Dienstes, denn Du
bist frei!!
-Und wer an seiner Sandale der Riemen einen erst
band,
Der wandere ohne den andern in seiner Väter Land, Warte nicht auf Bruder und Vater, verflucht sei Ruh
und Rast,
Was brauchst Du Vater und Bruder, wenn Du die
Heimat hast?
Und wenn die heilige Heimat leuchtet im
Morgenlicht,
Von den ewigen Höhen zu Heah das blaue Glänzen
bricht,
Dann sinken wir schauernd nieder am schimmernden
Jordanstrand
Und küssen mit durstigen Lippen das Vaterland.
Und die Kundschafter, die Mose ausgesand hatte zur Zeit der eisten Weintrauben, gingen hinauf und erkundeten das Land von der Wüste Zin bis gen Rehob, da man gen Hamath gehet. Am Bache Escol schnitten sie einen Reben ab mit einer Traube und Hessen sie zween auf einem Stecken tragen. Sie sollte ein Zeichen sein von der Fruchtbarkeit des Landes.
Das waren die Täler und Berge der Verheissung, das sind die Täler und Berge der Sehnsucht, nach denen die Seele des Juden sucht.
Lilien nimmt dieses Bangen seines Volkes dreimal zu künstlerischen Entwürfen auf, die in seiner Kunst die Grösse seines Könnens offenbaren, in der Erwägung des Zionismus das Bedeutendste sind, was in dieser Bewegung neben der Persönlichkeit Herzls schöpferisch auftrat und wirkte.
Man mag sie so ordnen, dass jede der drei Zeiten durch eine Zeichnung dargestellt wird. Für die Vergangenheit: „Passah u , für die Gegenwart: „Vom Ghetto nach Zion" und für die Zukunft: „Der jüdische Mai"*.
Im Lande der Knechtschaft, Mizraim, werfen die kalten, schweren Pyramiden, die grossen Grabmale machtstolzer Herrscher ihre Spiegelbilder in die Fluten des Nil. Aus den Verstecken der Steine und Büsche wachsen die Schatten der Nacht empor, die Strahlen der untergehenden Sonne huschen noch einmal über die Spitzen der Kolosse und kriechen scheu zurück ins Meer. Auch die Hoffnung Zions geht mit hinab. An den Wassern wandert der Jude. Sein Gewand ist mit Dornen überworfen, sein Antlitz weicht der Sonne aus, lang rollt der Bart über die Brust. Was für ein Antlitz l Tiefe Faltenzeilen über die Stirn, in den Augen liegt die Ermüdung eines Lebens, von den Lippen tritt die Ermattung steter Mühen. Wenn auch vom Alter gebeugt, der Greis bedarf noch nicht der Stütze, in seiner Brust lebt ein Gedanke, der ihn mit Jugend durchströmt. Das Joch wird und muss von ihm fallen. Passah ist nahe . . . Und das Reich Israels brach an, denn Mose führte sie aus der Knechtschaft in das gelobte Land.
Und wieder schleppte sich der Jude hin unter der Knechtschaft des Fremdseins. Müde und verzweifelt ist er am Stabe zusammengebrochen. War nicht schon einmal die Erlösung nahe gewesen, und war nicht die flammende, leuchtende Hoffnung Sabbatai Zevis zugrunde gegangen? Seine Augen schliessen sich in stiller, stummer Absage. Da fühlt er die Hand eines Fremden auf seiner Schulter. Er hebt seine Augen auf, und eine glänzende Lohe schlägt ihm entgegen. Hinter ihm mit wuchtig pathetischem Flügelschlag steht der Engel des Herrn, seine Linke weist hinaus in das Land, das im Schein der Sonne rubinrot erglüht. Dort führt ein Jude den stierbespannten Pflug durch die Aecker, der Sonne entgegen. Ihm zur Seite neigen sich die Aehren des Korns, die Dornen um den Stecken des Wanderers werden grün, und duftende Blüten treiben auf dem Weg vom Ghetto nach Zion. — Lilien zeichnete dies hoffnungsfreudige Blatt zum fünften Zionistenkongress in Basel. Das Kunstblatt ist in Tausenden von Exemplaren verbreitet,