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H . York - Steiner : Koriander , der Chasan .
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von ab . Seine königliche Hoheit hat Sie gern , und
wenn Sie in die „ Meistersinger " g ' fall ' n , bekommen S '
das Dekret . — Ich hätt ' mein Wort gehalten . Sie
köanten alles von mir haben — alles . Aber
heiraten ? . . . Nein , ich bind ' mich überhaupt nicht .
Höchstens , wann ich ein grosses Glück machert , wann
mich a Graf oder a Fürst heiraten tat ' . "
Koryan war bleich geworden , sein Herzschlag
stockte , dann wieder stieg ihm das Blut auf , dass er
meinte , es sprenge ihm alle Pulse . Er suchte nach
Worten und konnte nichts sagen als : „ Aber das ist ja
schrecklich . . . "
„ Nein , das ist gar nicht schrecklich/ ' entgegnete
die Vestro , der die Tränen aufstiegen . Sie war sehr
bewegt und versuchte , hochdeutsch zu sprechen . „ Mein
Vater war ein Hausmeister , ein armer Teufel mit
sechs Kindern , vier Mädeln und zwei Buben . Für
zehn Kreuzer hat er Sommer und Winter mitten in
der Nacht das Tor aufsperren müssen , so dass er mit
40 Jahren den Rheumatismus in allen Gliedern g ' habt
hat . Wir Kinder haben uns nie rühren dürfen , weil
ein Hausmeister eigentlich keine Kinder haben darf ;
wir sind wie die Kellerpflanzen aufgewachsen , und
jedem Menschen im Haus haben wir „ Küss d ' Hand 44
zurufen müssen . Endlich war ich gross , und die
Stimm ' ist gekommen und als Choristin eine Gage von
40 Gulden , und jeder Kerl beim Theater hat einen
abgetatschelt . Ich bin keine Heilige , aber ich hab 1
mir ' s zugeschworen : ich verkauf mich nicht . Gelernt
hab ' ich Tag und Nacht und studiert das ganze Jahr .
Endlich hab ' ich meinen Eltern eine Greislerei kaufen
können . Meine Gage ist noch nicht gross , und ich
muss viel hergeben . Ich bitte , noch fünf Kinder
ausser mir , und ich lass ' sie was lernen . Die alle
warten , dass ich mein Glück mach ' , wie so viele beim
Theater . Wenn ich da mit einem Mann käm ' —
einem Anfänger vom Theater , ich denk " , die sterben
vor Schreck . . . Und das war ' auch nichts für Sie ,
so eine Theaterehe . Einmal hat man ein Engagement
zusammen , dann wieder nicht ; man ist auseinand ' und
man kommt auseinand ' — das alte Theaterelend .
Nein , ich zittre vor allem Elend , ich hab ' genug davon
als junges Kind gehabt . " Während sie sprach , traten
ihr die Tränen aus den Augen , und als sie geendet
hatte , weinte sie leise vor sich hin .
Koryan hatte sich vor sie hingekniet , ihre Hände
erfasst und sanft geküsst ; sie entzog sie ihm und
streichelte ihm wie gewöhnlich den Scheitel . Er
wollte ihr auch etwas sagen — aber er stammelte nur .
Das war ihm so neu , so unfassbar . . . . Und doch ,
sie liebte ihn — in ihrer Weise .
„ Ich hab ' Dich lieb, " wiederholte er immer wieder ,
„ ich hätt ' Dich all mein Lebtag auf Händen getragen .
Du wärst mir Poesie und Kraft , Schönheit und Reich¬
tum gewesen . . . . " Sie aber hob ihn empor , küsste
ihn leidenschaftlich und er gab ihre Zärtlichkeit tausend¬
fach zurück . . . .
Als er von ihr ging , weinten sie vor Aufregung .
Er küsste ihre Hände , ihre halbentblössten Arme , ihren
Hals und ihr Gesicht , sie verstanden aber beide , dass
der kurze Traum vorüber sei . Er wusste wieder nicht
viel zu sagen als : „ Dank . . . vielen , vielen Dank für
Deine Liebe . . . . " Sie wischte sich die Tränen ab
und schob ihn zur Türe hinaus . ---
Am nächsten Tage mussten sie beide zur Probe ;
die Aufführung der „ Meistersinger " rückte immer
näher , es wurde daher auf der Bühne arrangiert . Die
Vestro war nervös , Koryan niedergeschlagen , so dass
die Kollegen es für geraten hielten , sich aller An¬
spielungen zu enthalten , die sonst reichlich fielen ,
denn es war längst klar , dass zwischen den zwei
hübschen Menschen ein inniger Zusammenhang be¬
stehe . Während einiger Szenen , in denen sie wenig
beschäftigt waren , sassen sie in den Parkanlagen , die
das Theater umgaben , zusammen auf einer Bank . Sie
stocherte mit ihrem Schirm in der Erde , er sah ihr
voll Erwartung ins Gesicht . Sie war in einem ge¬
schlossenen Wiener Kleide erschienen , das dunkle
Tuch umfasste knapp ihre vollen Formen , die Hände
staken in hohen Handschuhen , den Federhut hatte sie
mit breiten Bändern um den Kopf gebunden . . . . Es
war alles so ernst und geschlossen an ihr , er wollte
gar nicht glauben , dass er gestern dieses Weib in
seinen Armen gehalten , dass er ihren Körper gefühlt ,
ihre Lebenswärme eingesogen hatte , dass sie sich ihm
in fesselloser Hingebung überlassen hatte . Und ein
leidenschaftliches Verlangen stieg in ihm auf , ihr die
Handschuhe abzustreifen , um an ihren weichen Händen
ihr pulsierendes Leben zu fühlen . Sie wehrte still ab
und schaute ihm bittend in die Augen . Sie erschrak
vor dem Ausdruck seines Gesichtes , vor der Glut
seines Blickes . „ Verzeih , verzeih — es war unrecht . "
flüsterte sie . Er schaute sie wortlos an , seine Augen
bohrten sich in die ihren , er verzehrte sie mit seinen
Blicken , dass sie verwirrt zu Boden schaute . Eine
Glut war in ihm aufgestiegen , ein wildes Begehren ,
dass es ein Zittern durch seinen Körper jagte . Die Worte
kamen ihm wild und ungestüm — er konnte sie auch
nicht dämmen , es war , als spräche ein anderer aus
ihm . Nur soviel Kraft besass er , den Ton zu
dämpfen , dass nicht unberufene Hörer sie be¬
lauschten .
„ Du . . . Du hast es gewollt . . . Du hast mich
gerufen — ich hab ' früher nicht einmnl gemerkt , dass
Du ein Weib bist . . . Und jetzt , jetzt . . . wo —
wo ich krank bin vor Unruhe . . . vor Verlangen —
jetzt sagst Du : — genug und nie wieder . . . Das
ist ein ungerechtes Spiel mit einem ehrlichen
Menschen . . . das ist eine Sünde ! . . . "
Sie hielt die Hand auf der Brust , als wollte sie
ihre Empfindung niederhalten , und je ungestümer seine
Vorwürfe sich entluden , desto heftiger atmete sie .
Endlich stand sie auf , beugte sich über ihn und flüsterte
ihm zu : „ Du darfst nicht mehr zu mir kommen .
Ich . . . ich hätt ' Dich zu gern . . . ich rieht ' uns
alle zwei zugrund ' . . . Ich spür ' s , wenn wir noch
einmal zusammen kommen — dann lass ' ich Dich
nimmer los . . . Und heiraten mag ich nicht — ich
tu ' s einmal nicht . . . In ein paar Wochen wirst Du
mir danken . Geh , sei g ' scheit ! Zwei Anfänger beim
Theater heiraten . . . da bring einer den andern um
und — und — so wie ich mir das gedacht hab ' , geht
das bei Dir nicht . . . Du bist zu — zu romantisch —
zu — gefährlich . Ueberhaupt , so schwerfällig darf
man beim Theater nicht sein . . . Sie — Sie werden ' s
auch nicht leicht zu was bringen . . . Lustig — ein
bisserl leichtsinnig — dann geht alles . . . Und jetzt
schaun S ' zu Ihrer Partie , sonst blamieren S ' Ihnen
mit ' n Stolzing ! "
Damit ging sie — und er durfte sie nie wieder
besuchen .
In der Residenz wurde es bald bekannt , dass
Koryan in die Vestro verliebt sei , dass er unglücklich
liebe . Man sprach viel von den beiden jungen
Künstlern , man bedauerte den Tenor und bewunderte
die Sängerin und lobte ihre Korrektheit . Sie hatte
vorerst den Kollegen täglich bei sich gesehen , um mit
ihm zu studieren , als sie jedoch seine beginnende