S67 H . York - Steiner : Koriander , der Chasan . 868 Leidenschaft merkte , musste er seine Besuche ein¬ stellen . --- Koryan suchte sich aufrecht zu erhalten . Die Vorstellung zum hohen Geburtstag rückte immer näher — er sollte an diesem Abend eine gute Leistung schaffen — ihm aber stieg der Ekel auf , wenn er das Treiben um sich betrachtete . Und doch packte es ihn wie Neid , da er sah , wie sie alle aus ihrer Sorg¬ losigkeit heraus mühelos ihre Rollen gestalteten und ihr Leben meisterten , während es schien , als sollte er an seiner künstlerischen Aufgabe und am Leben scheitern . Der Gedanke an dieses Weib und an die einzige selige Stunde mit ihr liess ihn nicht mehr los . . . . Die Proben wurden ihm zur Qual , sie steigerten seine Leidenschaft und störten sein künst¬ lerisches Vermögen . Die Stimme wurde immer spröder , glanzloser . Wiederholt , wenn er mit Evchen zusammen auf der Bühne stand , starrte er seine Partnerin ge¬ dankentos an und versäumte den Einsatz . Die Kollegen , die sich ursprünglich an dieser sichtbaren Verliebtheit ergötzt hatten , wurden ernsthaft besorgt , denn im Grunde sind sie gutmütig beim Theater . Sie tuschelten zusammen , berieten auch ernsthaft mit der Vestro und auch ohne diese , und kamen lange zu keinem Resultate . „ Wissen muss er es einmal, " behauptete Kara - bacsek . Dem widersprach auch niemand . „ Aber nach den , Meistersingern * u , meinte Schrottbach , „ sonst bricht er mir zusammen . " Meyersberger brummte : „ Er blamiert Sie sowieso mit ' n Stolzing . " Bierbaum , der Cyniker , schien wie umgewandelt ; er sprach wenig in den gemeinschaftlichen Beratungen , und was er sagte , klang ernst . „ Die Vestro, " erklärte er , „ die hat Butter auf dem Kopf , die ist mir zu ängst¬ lich . Sie hat dem Grafen von der unglücklichen Leidenschaft ihres jungen Kollegen erzählt und ge¬ beten , er soll die Verlobung aufschieben , bis man ihn zur Vernunft gebracht hat . Der Graf ist hinein¬ gesprungen , weil man in der Stadt von Koiyans Liebe und ihrer Anständigkeit gar so viel gesprochen hat . Ich kenn ' aber die Gattung — entweder sie hat den Koryan als Mauerbrecher verwendet und schämt sich jetzt , oder --- na . ich hab ' nichts g ' sagt . Jeden¬ falls ist er ein armes Luder , so ein Idealist , und ich will mit ihm g ' scheit reden . " Dagegen hatten die anderen schliesslich nicht viel einzuwenden , denn keiner übernahm gern die heikle Aufgabe . Am selben Tage besuchte er den Tenor in seiner Wohnung . Er sprach klug und teilnahmsvoll , bereitete ihn sorgfältig vor und teilte ihm mit , dass sich die Vestro demnächst mit einem Grafen verloben werde . Koryan frug bloss : „ Hat . . . . hat sie Sie her¬ geschickt ? " Bierbaum schüttelte den Kopf . „ O nein , ich lass ' mich von die Frauenzimmer zu was nicht leicht ver¬ wenden , ich komm ' freiwillig , weil es mir leid tät % wenn Sie . . . . einen Unsinn begehen möchten . Glauben Sie mir , sie sind ' s alle zusamm " nicht wert , die Frauenzimmer . Sie betrachten die Weiber recht ideal ; ich schau ' mir nur eine jede daraufhin an , was kannst bei der erreichen ? . . . . und dann ein sanftes Fusstritterl und aus is . . . . Wieso ich dazu ge¬ kommen bin ? . . . . Na , so ähnlich wie Sie . . . . Erzählen soll ich ' s Ihnen ? . . . . O nein , ich mag mir nicht den Appetit verderben . " Es entstand eine grosse Pause . Bierbaum schaute immer w r ieder teilnahmsvoll nach Koryan , der fahl und müde in einem Fauteuil lehnte . „ Ich hab ' gesehn , dass Sie am Stolzing zugrund ' gehn . . . . immer so eng mit dem Mädel beisammen , zerrüttet und verstört . Und da hab ' ich mir gedacht , es muss ein Ende ge¬ macht werden — Sie müssen klar sehen und ein neues Leben anfangen . " Koryan schaute ihn hilflos an . . . . „ Sie müssen vor allem für eine Woche weg . Fahren S ' zu Ihrer Mutter . " „ Ich hab ' keine Mutter mehr . " „ O , das ist recht traurig . Also zu Verwandten — zu Freunden — irgendwobin , wo Sie einen moralischen Halt haben . Was der Mensch an Schmerzen über¬ windet , macht ihn stark . Wer weiss , ob dieser Kummer nicht ein Glück für Sie sein wird . Jedenfalls müssen Sie probieren , ein neues Leben anzufangen , denn das alte ist ein bisserl verpfuscht . " „ Ja, " entgegnete Koryan , „ weg muss ich . " Er klammerte sich an die Worte Bierbaums , die in seinem Gedächtnis nachklangen : „ Irgendwohin , wo Sie einen moralischen Halt haben . " Die Eltern waren längst gestorben , er hatte sich als Chorsänger bei den Kantoren durchgeschlagen , von Ort zu Ort wandernd und fast bettelnd . Und elend war dieses Leben — voll Entbehrungen und De¬ mütigungen . Nur am Sabbat und an den hohen Feier¬ tagen , wenn er die Sammetmütze in das lockige Haar drückte , fühlte er sich reich und glücklich . Wohl¬ lautend stieg die Stimme aus seiner Kehle , die Leute in der Synagoge lauschten , der Kantor nickte befriedigt und sogar die Kollegen Ireuten sich seines Erfolges . Er gewann sie alle durch seine Sanftmut und den zarten , wehmutsvollen Klang seiner Stimme . Eigent¬ lich hatte er seinen moralischen Halt in der Synagoge . Diese Sabbate hatten ihm Halt und Kraft gegeben , sie hatten seinem Leben Wert verliehen . Am stärksten war ihm die nette Synagoge von Tamnitz in Erinnerung . Dort hatte er seine erste selbständige Stellung be¬ kommen , er hatte Gott gedient und die Menschen er¬ freut . Man liebte ihn dort . . . * ja , dort liebte man ihn . Feierlich stiegen die grossen Tage des Rosch haschano und Jörn kipur in seiner Erinnerung empor . Die Töne quollen mühelos aus seinem Herzen in die Kehle , die Leute weinten und rissen ihn in ihre Rüh¬ rung hinein . Manchmal war es ihm , als töne etwas Hohes , Mächtiges , Edles aus seiner Brust , was gar nicht ihm gehöre , nicht aus seinem Körper stamme . Nach beendetem Gottesdienst standen die Mitglieder der Gemeinde am Tore der Synagoge und sagten ihm mit dankbaren Blicken Jenscherkazesch . Und sie sandten ihm Wein und Süssigkeiten in sein bescheidenes Heim . Ja , dort — dort war er wahrhaft glücklich gewesen — dort wollte er hin — dort würde er als Mensch und als Künstler genesen . . . . Er war zwar ein anderer , älter , müder , weniger gläubig , und auch die Stimme — die Stimme . . . ja , wer weiss , ob die jemals so tönen würde wie einst , als er noch Kantor war . Ihr fehlte der innige Schmelz , der früher alle Herzen bewältigte . . . Wie das gekommen sein mag ? . . . und ob . . . ob er wieder . . . . Das wollte er versuchen . Ja , noch einmal wollte er wie vor Jahren . . . . Und schon , da er diese Gedanken in sich keimen fühlte , war ihm leichter ums Herz . . . . Zwei Tage vor dem hohen Geburtstage hatte Bier¬ baum den Tenoristen vom Bahnhof geholt . Er fragte nicht viel , er schaute ihm nur in die Augen . Was er da gesehen hatte , gefiel ihm nicht übel . Sie blickten stetig und voll Kraft . Das Gesicht war noch bleich , der Ausdruck wehmütig — aber in sich geschlossen . |