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H . York - Steiner : Koriander , der Chasan .
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Er gab den prüfenden Blick Bierbaums dankbar zu¬
rück . „ Ich werde übermorgen singen, " das waren
seine ersten Worte . --
„ Wie geht ' s mit der Stimm ' ? u frug Bierbaum .
„ Recht , recht gut , Gott sei Dank, " war die Ant¬
wort .
Am selben Abend im Heidelberger Hof verkündete
der Buffo seinen Kollegen : „ Er hat sich gefunden , der
Koryan , er klaubt sich zusamm ' — und die Stimm ' ,
ach die Stimm ' ! Na , das wird einmal ein Stolzing
werden ! "
Auch das sprach sich in der Stadt herum , und alle
Welt wollte die „ Meistersinger " hören . Die offiziellen
Kreise waren ohnehin am Geburtstag Seiner Hoheit im
Theater , aber diesmal drängte sich die ganze Stadt zur
Vorstellung .
Man hatte soviel von einer romantischen Neigung
des ungarischen Tenors zur Sängerin des Evchen ge¬
sprochen — es war auch durchgesickert , dass ein Graf
um die Hand der Vestro angehalten hatte . Die einen
erzählten , sie hätte den reichen Magnaten abgewiesen ,
die anderen wussten , dass der Kollege einen Korb
bekommen hätte . — Manche hatten gehört , Koryan
habe sich mit dem Grafen an der belgischen Grenze
duelliert . Das gesamte Publikum war in einer merk¬
würdigen Erregung , die auf die Bühne übergegriffen
hatte . Die ganze Aufmerksamkeit war dem Koryan
zugewendet . Karabacsek hatte ein Glas Pilsener in
die Garderobe geschickt , Witzleft kam schon eine halbe
Stunde vor Beginn , um nach seinem Befinden zu fragen .
„ Denken Sie nur immer an den geistigen Inhalt dieser
herrlichen Partie , dann kann ' s Ihnen nicht fehlen .
Und . . . . ja . . . . so eine Ehre — der Geburtstag
Seiner Hoheit . . . . Das hab ' ich Ihnen zum Schiuss
aufgespart : Seine Hoheit wünschte , dass Sie heute
den Stolzing singen . Natürlich waren wir alle dafür . "
Bierbaum hatte seine Beckmesser - Maske rasch
beendet und half den jungen Kollegen herausstaffieren .
Mayersberger - Pogner guckte ihm boshaft ins Gesicht .
„ Schön schaust aus — so a Schminkerei ! " Als Münchner
hatte er das Renommee , sich auf die Verteilung von
Farben zu verstehen ; er setzte Fleischfarbe auf und
Rot und wischte und drückte , trat zurück und vor , bis
er zufrieden war . . . Alle hatten an seinem Kostüm ,
an seiner blonden Perücke zu ändern , zu zupfen und
zu glätten ; alle sagten zu ihm „ du " und jeder versprach
ihm , „ die Daumen zu halten " . Nur die Vestro hielt
sich fern , was allen Teilen sehr angenehm war . —
Schrottbach kam noch rasch auf die Bühne , besprach
einige schwierige Einsätze mit ihm , und dann stieg er
ins Orchester hinab .
Die Unruhe im Zuschauerräume hatte sich gelegt ;
man hörte ein leises Klopfen , und das Vorspiel zu den
„ Meistersingern " ertönte in vollen Akkorden .
Als Stolzing seine ersten Sätze sang „ Verweilt —
ein Wort , ein einzig Wort, " ging wieder leises Rauschen
durch das Haus , das sich noch einmal wiederholte ,
als Eva mit dem Satze „ Mein Brusttuch — schau , wo
liegt es " , einsetzte . — Bierbaum hatte ihm vorher
gesagt : „ Druck ' die Augen zu und denk ' , es ist eine
andere , ein wirkliches Mädel aus Nürnberg . " Er hatte
nur so vor sich hingelächelt . — Die erste Begegnung
mit Eva war vorüber . David , der Lehrjung , hatte ihn
im „ Kunstgesang " unterwiesen . Es kam die Szene
mit den Meistersingern . . . In ihm blühte und klang
es , ein ganzer Seeienirühiing duftete aus seinem
Gemüt .
Er sah das kleine schmucke Gotteshaus in Tamnitz ,
die lieben Gesichter seiner alten Gemeindemitglieder —
sein Herz war feiertäglich gestimmt , und die Töne
zogen sieghait aus der Brust . Die Kollegen schauten
sich befriedigt an . Witzleff sagte : „ Der ist ganz im
Charakter seiner Partie . " Schrottbach zwinkerte hinter
dem Kneifer mit den Augen und nickte ihm vom
Dirigentenpult aus freundlich zu .
„ Am stillen Herd zur Winterszeit , wenn Burg und
Hof mir eingeschneit . . . " die Weise klang so traulich ,
so heimatlich ; und gar der Schiuss „ Herr Walther von
der Vogelweid ' , der ist mein Meister gewesen " — das
war ein Sprossen und Quellen in der jugendlichen
Kehle , dass ein Strom von Wohlbehagen alle Hörer
umfing .
Nach dem ersten Akte umringten ihn alle und
ermunterten ihn mit aufrichtiger Freude . „ So hat er
noch nie gesungen — eine ganz frische , neue Stimme !
Nein , dieser Timbre , dieser zarte innige Ansatz ! " , so
klang es um ihn her .
Bierbaum zog ihn nach dem zweiten Akt in die
Garderobe . „ Jetzt kommt die Hauptsache , das Preis¬
lied — jetzt zeig ' s ihnen allen ! " — Es brauchte bei
Koryan keiner Stimulanz ■ — er war eingehüllt in weihe¬
volle Erregung . Er fühlte jede Note auf seiner Seele
und konnte kaum erwarten , die Spannung zu lösen
und seine Empfindung zu entlasten . Ihm war wie
einem Genesenen , nach schwerer Krankheit Aufer¬
standenen , der seine Kräfte doppelt fühlt und alle
Lebensäusserungen vielfach köstlich empfindet .
Als er in der Werkstätte Hans Sachsens seinen
Traum zu erzählen begann , war es ihm eine Weile
selbst , als träumte er . Er nahm die Töne leise , leise ,
ganz versonnen und versungen — doch sie klangen
hell und klar , sein eigenes Ohr umschmeichelnd . Er
hörte sich selbst von innen singen , seine Stimme köst¬
lich ertönen . „ Morgendlich leuchtend in rosigem
Schein , von Blüt ' und Duft geschwellt die Luft — "
Was er sang , er fühlte es . . .
Eva hatte , wie es die Partie erheischt , ihm innig
ins Angesicht gesehen , dann aber , vom Zauber seines
Gesanges hingerissen , ihn mit den Augen geliebkost .
Einen Augenblick zuckte es in ihm auf wie angefachte
Glut . Es hatte kaum einen Augenblick gedauert .
Dann aber richtete er sich auf , gerade als der Einsatz
zum dritten Vers herankam .
„ Weilten die Sterne im lieblichen Tanz ?
So licht und klar
Im Lockenhaar ,
Vor allen Frauen
Hehr zu schauen ,
Lag ihr mit zartem Glanz
Ein Sternenkranz . "
Seine Stimme wurde immer weicher , zarter ,
inniger . Fast körperlos , losgelöst von aller Schwere
des Entstehens , zogen die Töne in den Saal . Die
letzten Sätze :
„ Dort Huld - geboren ,
Nun Ruhm - erkoren ,
Giesst paradiesische Lust
Sie in des Dichters Brust —
Im Liebestraum "
waren von solcher Empfindung getragen , dass Eva ,
die ihrer Rolle nach dem Hans Sachs weinend an die
Brust sinken soll , wirkliche Tränen vergoss . Zum
Glück deckte das anschliessende Quintett ihre Er¬
regung . ----
Die Oper ging zu Ende , der Vorhang hob sich
für die Verwandlung . Die Entwicklung der Handlung
hatte ohnehin die Spannung aufs höchste gesteigert ,