0SF « eST7 v ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT FÜR MODERNES JUDENTUM . Herausgegeben und redigiert von LEO WINZ . Bezugs - und Insertions - Bedingungen auf der letzten Textseite . Alle Rechte vorbehalten . Heft 13 März 1905 V . Jahrg . DIE LEBENSANSCHAUUNG DES IDEALISMUS . Von B . Es gibt Bücher , die auf den Leser wie hohe Berge auf den Wanderer wirken . Von der Ferne erscheinen sie ihm wie ein Nebelfleck auf dem Horizont , den er mit einem Blick umfassen kann . Doch je näher er ihnen kommt , desto höher und machtvoller erheben sie sich vor seinem Auge aus dem Boden , und wenn er dicht bei ihnen steht , ragen sie in die Wolken hinein , drohen ihn schier zu erdrücken mit ihren kolossalen Massen . Dann müht er sich wohl , wenigstens ihre Umrisslinien , wenigstens ihre Ausläufer zu überschauen und in sich aufzunehmen , um ein Abbild davon in der Seele zu bewahren . Zu dieser Art von Büchern gehört Hermann Cohens jüngstes Werk : „ Ethik des reinen Willens " . 1 ) Die ungeheure Fülle subtiler und tiefer Gedanken , die sich hier in grandioser Architektonik zu einem streng geschlossenen und doch eleganten Bau aneinanderreihen , in einander schlingen und auseinander entfalten , um alle Erscheinungen im Kulturleben der Menschheit und im Einzelleben des Menschen zu durchleuchten und zu richten , bewirkt , dass man mit dem Buch förmlich ringen muss , um sich seiner zu bemächtigen ; zugleich locken seine Tiefen und Abgründe und seine schwindelnden Höhen , die berauschende Fernsichten verheissen , zu immer neuen Anstrengungen . Und wenn man es endlich ganz überwunden und in sich x ) System der Philosophie . Zweiter Teil . Berlin . Bruno Casstrer . 1904 . Wolff . Nachdruck verboten . aufgenommen zu haben vermeint , sieht man sich vor neue Perspektiven gestellt , die durchmessen werden wollen . Man empfindet es beinahe als eine Profanation , wenn man nun gar über das Buch schreiben soll . Wie soll man diesen reichen Ideengehalt in einem Artikel erschöpfen , in einen kleinen Aufsatz zusammenpressen , ohne ihn zu verwässern und seinen Glanz zu trüben ? Und doch kann man sich des Dranges nicht erwehren , von dem Buche zu reden , denn man empfindet es wie ein Erlebnis , von dem man sich nur befreit , wenn man sich mitteilt . Moral zu predigen ist leicht , Moral zu be¬ gründen ist schwer . Doch , es gibt etwas noch Schwereres : Moral zu lehren , abgesehen natürlich von dem allerschwersten , das es gibt , nämlich Moral zu leben . Cohen liefert eine Begründung der Ethik , entwickelt aber auch ihren Inhalt als ein geschlossenes Lehrsystem , das in seiner wunderbar feinen und reichen Gliederung das gesamte Feld menschlichen Schaffens , Leidens , Strebens , Kämpfens und Gelingens umspannt , klärt und beurteilt . Man ist nun in Verlegenheit , ob man die Grundfesten , oder die Säulenhallen , Kuppeln und Türme des Baues zu beschreiben verstichen solle . Es ist ebenso verlockend , Cohens Begründung der Ethik nachzugehen und zu schildern , wo und warum dieserWiederentdecker Piatons und scharfsinnige Interpretator Kants über diese seine Meister hinausgeht , als auch die starke jüdische Strömung zu . verfolgen , die , aus |