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ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT^^/ FÜR MODERNES JUDENTUM.

Herausgegeben und redigiert

von

LEO WINZ.

Bezugs- und Insertions-Bedingungen auf der letzten Textseite. Alle Rechte vorbehalten.

Heft 5

Mai 1905

Y. Jahrg.

MAIMONIDES.

Von Rabbiner Dr. F. Perl es.

Nachdruck verboten.

Jeder nur einigermassen gebildete Jude nennt noch heute nach 700 Jahren mit scheuer Ehr­furcht den Namen des Moses Maimonides, des Mannes, von dem schon seine Zeitgenossen in richtiger Erfassung seiner Grösse sagten:Von Moses, dem Sohne Amrams, bis zu Moses, dem Sohne Maimons, war keiner wie Moses." Jeder denkende Jude steht, wenn auch unbewusst, auf seinen Schultern und hat einen Hauch seines Geistes verspürt. Wie da^ spätere Judentum sein Bestes Maimonides verdankt, so verdankt Maimo­nides sein Bestes dem Judentum, dessen Ideen, dessen geistige Eichtungen und Strömungen in seiner Person wie in einem Brennpunkt sich sam­meln, und so wie jeder wahrhaft grosse Mann, der umgestaltend auf seine Umgebung eingewirkt hat, doch nur aus seiner Zeit und seinem Volk heraus zu verstehen ist, so ist auch Maimonides als das Endglied und der krönende Schlussstein einer vorausgehenden langen geistigen Entwicke- lung zu betrachten, und wir müssen daher zuerst ein Bild der damaligen Weltlage und der da­maligen Kultur einerseits und des damaligen Judentums andererseits zu gewinnen suchen.

Die Juden wohnten im zwölften Jahrhundert schon in ziemlich allen Ländern, wohin das Christentum und der Islam gedrungen waren, und sowohl in ihrer äusseren Lage wie in ihrer geistigen Tätigkeit spiegelte sich deutlich die Kultur der Völker, in deren Mitte sie lebten. In der Provence, deren Bevölkerung schon früh der Kirche gegenüber eine gewisse Freiheit sich wahrte, und in Italien, wo der Zusammenhang mit der Kultur des Altertums noch immer auf­recht gehalten wurde, war darum auch die Lage der Juden immer besser und ihre Kultur immer höher als in den anderen christlichen Ländern. Am glücklichsten aber lebten die Juden unter dem Scepter der Araber, die vom Ganges bis

-zum Atlantischen Ozean mit dem Siege des Halb­monds Bildung, Kunst und Wissenschaft verbreitet und zu höchster Blüte gebracht hatten. Die Geistesnacht des Mittelalters, in der die meisten christlichen Nationen hindämmerten und die sich erst im 15. Jahrhundert zu lichten begann, ist in den Ländern des Islam nirgends anzutreffen, und unter "seiner milden Sonne erwachten auch im Judentum zahlreiche schlummernde Keime, die sich bald herrlich entfalten sollten. Speziell im arabischen Spanien, wo hochsinnige, oft selbst gelehrte und kunstverständige Kalifen regierten, fanden alle Wissenschaften und edlen Künste eifrige Pflege. Dichtkunst und Baukunst, Sprach­forschung und Mathematik, Naturwissenschaft und Medizin, Theologie und Philosophie erlebten eine Glanzzeit, die in der Geschichte des ganzen Mittelalters einzig dasteht. Und die Juden, die dort in grosser Anzahl lebten, durften nicht nur ungehindert ihre Religion bekennen, sondern standen hochgeachtet beim Volk und bei den Herr­schern da, bekleideten die höchsten Staatsämter und zeichneten sich in allen Berufen aus. Gleich ihren Vorfahren in Alexandria, die in harmoni­scher Verbindung jüdischer Religion und griechi­scher Weisheit sich zu bewundernswerter Geistes­höhe emporgeschwungen hatten und einen Denker wie Philo aus ihrer Mitte hatten hervorgehen sehen, verbanden jetzt auch die Juden unter arabischer LIerrschaft die treue Pflege ihrer eigenen Religion, Sprache und Literatur mit dem emsigen Studium der arabischen Geistesschätze, die sie nicht nur sich selbst aneigneten, sondern auch noch durch Uebersetzungen ins Hebräische ihren Glaubensgenossen in anderen Ländern zugänglich machten. Bald wurden sie aus Schülern Lehrer, und so begegnen wir unter ihnen vom zehnten bis zum fünfzehnten Jahr­hundert Glänzenden Namen auf allen Gebieten