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THERESA FEODOROWNA RIES.

Von Bern Ii. Münz.

Nachdruck verboten.

Die Bildhauerin, deren Name an der Spitze dieser Zeilen prangt, gehört zu den Persönlichkeiten, deren Bekanntschaft einen verklärenden Schimmer über unser Leben breitet. Sie erblickte im Jahre 1877 in Moskau das Licht der Welt und genoss ihre Erziehung in einem adeligen Damenpensionat ihrer Vaterstadt. Im Alter von 16 Jahren verliess sie die Pension und besuchte die Akademie der bildenden Künste, in der sie der Malerei und der Plastik oblag. Ueberall stellte sie die Mitstrebenden in den Schatten. Ihr Genius entfesselte den Neid, die Missgunst und denHass in den Gemütern derjenigen, die durch, sie verdunkelt wurden. Sie huldigten dem Satze, dass^der Zweck die Mittel heiligt. Sie brachten ehrenrührige^e|üchte über, die Kunst­novizin in Umlauf, sie boterRälles auM'Hini die Pro­fessoren ihr zu entfremden und gegen^isie aufzuhetzen, und ihre Wühlereien waren von Erfolg gekrönt. Die Professoren ignorierten die Arbeiten ihrer ausgezeich­neten Schülerin, auf die sie allen Grund gehabt hätten, stolz zu sein, vollkommen. Und als sie ihrem Missmut darüber einmalLuftmachte, als sie mit der ihr eigen­tümlichen Freimütigkeit dem Zeichenlehrer zu be­denken gab, dass er für die Schüler, nicht um­gekehrt die Schüler für ihn da seien, verhängte das Kollegium der Mos­kauer Akademie über sie das consilium abeundi. Es war ihr, als hätte sie das Paradies verloren.

Die innige, begeisterte Hingabe an die Kunst, die ihr mittelbar so schwere Wunden geschlagen, gab ihr allmählich den ver­lorenen Frieden zurück. Und in dem wieder­gefundenen Paradiese raeisselte sie dieNacht­wandlerin", die schmerzdurchbebten Angesichts, mit den Händen tastend, ihren Weg an einer Mauer dahin- schreitet.

Sie erregte in Moskau grosse Sensation, und in Wien wurde ihr von keinem Geringerem als dem ver­storbenen Professor Krafft-Ebing grosse Naturtreue nachgerühmt.

Die Ries ist sich in derNachtwandlerin" im Grunde selbst Modell gesessen, denn sie tappte damals wie ein Blinder, sie kannte, um einen Ausdruck Schillers zu gebrauchen, die nützlichen Handwerks- grifFe nicht, die leichter erlernt, als aus der eigenen Praxis abstrahiert werden können, da sie auf Erfahrungen beruhen, die nicht der einzelne, sondern nur eine ganze Reihe von Geschlechtern erschöpft.

Im Frühling 1894 begleitete die Ries ihre Eltern nach Karlsbad, und von dort begab sie sich für einige Monate nach Wien. Hier tat sich ihr eine neue Welt auf, denn die alte Zarenstadt beherbergt keine Schätze der Plasük. Nachdem sie einige Zeit die herrlichen

THERESA RIES (rechts stehend). Büste des MARK TWAIN.

Sehenswürdigkeiten der Kaiserstadt an der Donau be­wundert hatte, bemächtigte sich ihrer mit Ungestüm der Gedanke, sich unter den Augen eines Meisters zu entfalten. Sie ruhte nicht, bis sie Professor Hellmer die Erlaubnis abrang, in seinem Atelier zu arbeiten. Sie war sehr stutzig, als er ihr einmal lange Zeit nichts ausbesserte, und fragte ihn betroffen, ob er etwa an ihrem Schaffen irre geworden sei. Zu ihrer Beruhigung antwortete er, er lasse sie gewähren, weil er erkannt habe, dass sie eine urwüchsige, originelle Individualität sei, die ihren eigenen Weg wandeln müsse, um sich zu entwickeln. Sie begehe noch grosse Fehler, die aber mit ihrer starken künstlerischen Persönlichkeit zusammen­hängen, und an jenen nörgeln, heisse dieser Abbruch tun. Er sei fest überzeugt, dass sie dank ihrer hohen Begabung und ihrer strengen Gewissenhaftigkeit nach und nach die Fehler ihrer Vorzüge überwinden werde. Die künstlerische Entwickelung habe nun einmal Stadien, die nicht in einer reinen Blüte auf­gehen, und die das Indi­viduum dennoch nicht überspringen könne.

Die Ries schwelgt in der Erinnerung an die Zeit, da es ihr vergönnt war, mit Hellmer innige Fühlung zu haben, einen lebhaften Gedankenaus­tausch mit ihm zu pflegen, von ihm angeregt zu werden und hinwiedemm ihn anzuregen. Dass auch sie nicht ohne Einfluss auf den Meister blieb, zeigt ganz besonders ihrKuss", der in seinem Hugo Wolt- Denkmal frappant ver­wertet ist. In jener Zeit reifte in der zwischen Bildhauerei und Malerei geteilten Künstlerin die Erkenntnis, dass die Künste aufeinander gar eifer­süchtig seien, und dass jede Kunst einen Menschen voll und ganz in Anspruch nehme. Sie entschied sich für die Skulptur, die ihrer geschlossenen, prägnanten, konzentrierten Natur gemässer war als die Malerei.

So hat sich die russische Nachwandlerin in Wien in eine hellsehende Künstlerin verwandelt und sich gleichsam zum Danke hierfür in unserer Stadt nieder­gelassen. Wohl hat sie zuweilen Anwandlungen, in denen sie auf die Wiener nicht gut zu sprechen ist, ihnen nur Sinn in der Musik zuerkennt, aber diese gehen bald vorüber. Wien ist ihre zweite Heimat ge­worden. Hier schuf sie dieHexe", die, auf einem Felsen sitzend, richtiger hockend, unter Begleitung der ihrem Wesen angemessenen Musik, umbraust von Sturm und Wetter, die ihr die Haare in das teuflische Gesicht peitschen, mit der Schere in der Hand für die Walpurgisnacht Toilette machen, sich die Nägel schneiden will. Ein unheimliches Feuer lodert in ihren Augen, als heckte sie eine gross angelegte, raffinierte Bosheit aus, die ihren Gebieter, den Satan, verblüffen