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Bcrah. Mtuiz; Theresa Fcodvrovvua Ries.

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Vereinigung der Seele mit Gott. Und für diesen mystisch - religiösen Ge­danken, fand sie eine einfacli-klareund packende Form. Ein nackter Jüng­ling schwebt sehnend empor in der Haltung der Beine, der gekrümmten Arme und des zurück­gebeugten Hauptes ist das Emporschweben illusions­kräftig ausgedrückt und oben empfängt ihn eine wolkige Hand, die sich auf seinen Nacken legt, und ein wolkiges Haupt beugt sich lieb­reich zu ihm nieder, als wollte es ihm den Kuss der Verklärung auf die Stirn drücken. Wie das im Stein da vor uns steht, wirkt es schier wie ein Wunder. Der Stein selber wandelt sich langsam in ein wolkiges Gebilde, und das wolkige Gebilde in eine menschliche Gestalt von riesenhafter Er­scheinung, doch von un­endlicher Güte. Es ist, als ob das Chaos Form annehme und, von Liebe durchdrungen, sich als Gottheit offenbare. Dieses Göttlich-Chaotische ist es, was mich an dieser Schöpfung so gewaltig, so echt, so urrussisch be­rührt. So, möchte ich sagen, hat sich Dosto­jewski seinen Gott ge­dacht, wenn er ihm in seiner Phantasie mensch­liche Gestalt verlieh. Und wie wunderbar ist die innige Verbindung beider Gestalten, des Menschen und des Gottes! Wie fühlt man, dass der Mensch, in die Arme Gottes gleitend, gleichsam in seine ewige Heimat zurückkehrt von Trost, von Beruhigung, von seliger Verklärung durch­drangen und erfüllt! Darum ist auch der Kunstwerkes so mächtig

THERESA RIES.

religiöse Gehalt dieses wahrhaft religiös ge­

rade weil er über allen geschriebenen Religionssatzungen steht und einfach aus dem tiefsten Grunde des Mensch­

lichen, aus dem Urboden der Gefühls- und Sehn­suchtsmächte emporsteigt. Mit diesem Werke hat die Künstlerin sich be­herzt in die Reihe der grossen Bildhauer unserer Zeit gestellt." Dieses enthusiastische Urteil ist vollberechtigt, dennaus vollendeter Kraft blicket die Anmut hervor"; ich kann jedoch in der genialen Autfassung und Darstellung Gottes bei­leibe nichts Urrussisches erblicken, ich bin viel­mehr davon durchdrungen, dass die Phantasie der Ries eine unpersönliche, allumfassende, all - eine Gottheit vorzauberte, dass sie die Einheit von Natur und Gott, den Pan­theismus in Stein ge­brannt hat.

Es sei noch erwähnt, dass ihre Porträtbüsten sehr gesucht sind. Sie fallen durch die Kraft der Charakteristik, durch einen Zug ins Grosse auf, der durch eine seltene Treffsicherheit im Punkte der Aehnlichkeit wirksam unterstützt wird. Sie be­obachtet so scharf, dass sie in wenigen Sitzungen einen Menschen, wie er leibt und lebt, wie er fühlt und denkt, .fest­zaubert. Sie gehört zu den seltenen Menschen, die mit einer solchen Be­obachtungsgabe ausge­stattet sind, dass man sie Beobachtungsorgane nennen könnte. Kunst und Natur fliessen in den von ihr gefertigten Büsten ineinander über, die Kunst spiegelt die Natur in vertiefter Weise wieder. Die vollendetste Büste, die bisher aus den Händen der Ries hervorgegangen, ist wohl die des Grafen Hans Wilczek, die im Vestibül der freiwilligen Rettungsgesellschaft ^ auf­gestellt ist, die er im Verein mit dem unvergesslichen Baron Jaromir Mundy ins Leben gerufen hat und deren Protektor er ist.

LUCIFER.