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ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT

FÜR DAS GESAMTE JUDENTUM.

Herausgegeben und redigiert

LEO WINZ.

Alle Rechte vorbehalten.

Heft 12.

Dezember 1913.

XIII. Jahrs:.

DIE JUDEN IM OEFFENTL1CHEN LEBEN DEUTSCHLANDS*)

Von Stadtrat Dr. Ludwig Haas. Mitglied des Reichstags. (Nach einem vom Autor durchgesehenen Stenogramm.)

Meine Damen und Herren! In der Stadt Gabriel Riessers soll ich vor Ihnen sprechen. Wir alle gedenken an diesem Tage des aufrechten Mannes, dessen Lebensarbeit dem Kampf für die Gleichberechtigung der deutschen Juden gewidmet war. Unsere Hamburger Freunde aber werden heute seiner mit ganz besonderem Stolze und mit ganz besonderer Freude gedenken, weil er einer der ihrigen war. Nun könnte ich Ihrem guten Hamburger Stolz und Ihrer guten Hamburger Freude einen ebenso guten badischen Stolz und eine ebenso gute badische Freude gegenüber­stellen, wenn ich Ihnen sage: Im Geburtsjahre Gabriel Riessers, im Jahre 1806, wurde unter der Regierung des ersten badischen Grossherzogs Karl Friedrich die Grundlage zur Gleichberechti­gung der badischen Juden mit den anderen Staats­angehörigen geschaffen. Vom Geburtsjahre Gabriel Riessers an gab es im Lande Baden keine jüdischen Schutzbürger mehr, von da an waren die badischen Juden badische Staatsbürger. Aber, meine Damen und Herren, das führe ich in Wirk­lichkeit nicht etwa deswegen aus, um ihnen zu sagen, dass schon anno 1806 im Lande Baden manches anders und besser war als anderwärts, sondern ich möchte in Ihnen einen anderen Ge­danken auslösen. Im Jahre 1791 hat Frankreich die Menschenrechte und die Gleichberechtigung aller Konfessionen proklamiert. 1796 hat Holland seine Juden zu Staatsbürgern gemacht. Vom Jahre 1806 bis 1812 hat eine Reihe deutscher Staaten die Grundlagen für die Emanzipation der Juden gelegt. Und 25 Jahre, nachdem der erste deutsche Staat die Emanzipation durchgeführt hatte, 25 Jahre später war der Kampf Gabriel Riessers um die

*) Vortrag, gehalten in der fünften Hauptversammlung desVerbandes der Deutschen Juden" in Hamburg am 9. No­vember 1913.

Gleichberechtigung der deutschen Juden nötig geworden, jener Kampf, in dem wir selber noch mitten drin stehen. Ein Rückschlag war erfolgt nach den Freiheitskriegen. Man hatte zum Teil wieder jene Gesetze rückgängig gemacht, zum Teil hatte man die Gleichberechtigung der deut­schen Juden, die in den Grundlagen festgestellt war, absichtlich nicht mehr weiter ausgebildet, zum Teil aber hatte man die gegebenen Gesetze in der Praxis nicht beobachtet.

Hier will ich nun sagen: Es ist uns vielleicht am Anfang des vorigen Jahrhunderts zu gut ge­gangen. Meine Damen und Herren! Wir hatten uns unsere Rechte nicht erkämpft, sondern man hatte sie uns als ein Geschenk gewährt, als ein Geschenk aus philosophischen und staatspolitischen Erwägungen heraus. Aber die Weltgeschichte lehrt oft, dass nur die Rechte dauernd Bestand haben, die erkämpft sind, nur die Rechte, hinter denen Massen stehen, erfüllt von dem starken Bedürfnis nach diesen Rechten, Masseh und Volks­schichten, die gewillt sind, Alles einzusetzen für die Erringung und für die Erhaltung dieser Rechte. Und wir können sagen, so sehr uns jede Rechtsbeugung schmerzlich berührt, und so sehr wir über viele Kränkungen zu klagen haben: wir wollen froh sein, dass dieser Kampf geführt werden musste; denn, meine Damen und Herren, vielleicht hat er doch in unserer Gemeinschaft ganz besondere Werte hergestellt und. es wäre bei uns manches anders und meines Erachtens schlechter, wenn uns dieser Kampf nicht aufge­zwungen worden wäre.

Noch etwas anderes möchte ich in der Er­innerung an Gabriel Riesser sagen. Wenn sein Lebenswerk restlos von Erfolg begleitet gewesen wäre, dann könnte man ja über das Thema, über das ich vor ihnen sprechen soll, in Wirklichkeit