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]>ie Juden iu Rumänien.

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Fälle dieser Art sind vielfach vorgekommen. Allen heimgeschickten Soldaten war ohne Umschweife ge­sagt worden, dass diese Massregel nur deshalb gegen sie erlassen war, weil sie Juden sind. Man beschimpfte die jüdischen Soldaten, indem man sie mit der Begründung von den Festungen fernhielt, dass sie Fremde wären unddie Forts an den Feind verkaufen" könnten. Dieser Schimpf wurde Soldaten angetan, den Männern, die freimütig herbeigeeilt waren, um ihr Leben für das Vaterland zu opfern; man hat sie der schlimmsten Schmach, des Verrats und der Spionage, fähig ge­halten.

Noch ein anderer Fall. Im 7S. Infanterie-Regiment, das in Dobroesti bei Bukarest steht, sind jüdische Sol­daten aus der Zulassungsliste zur Korporal-Prüfung gestrichen worden. Man befolgt also auch in Kriegs­zeiten das alte System, dass eingeborene Israeliten nicht einmal zu den unteren Graden befördert werden. Seit zwei Jahren haben wir wiederholt bei den zu­ständigen Behörden gegen diese Ausnahmeverord- nungen protestiert, ohne eine Aenderung dieser Un­gerechtigkeit zu erlangen.

Wir hatten gehofft, dass der Krieg diesen Zu­ständen ein Ende machen würde; dass die Begeisterung, mit der die eingeborenen israelitischen Soldaten dem Ruf des Vaterlandes gefolgt sind, alle Vorurteile und alle Gegnerschaft entwaffnen würde. Die oben ange­führten Fälle, die wir A^orher für unmöglich gehalten hätten, beweisen den wahren Stand der Angelegenheit. Diese Vorgänge haben die eingeborene jüdische Be­völkerung aufs tiefste verletzt. In ihrem Namen pro­testieren wir energisch gegen die Abweisung der jüdischen Freiwilligen, gegen die Beschimpfungen denen die jüdischen Soldaten vor den Festungen aus­gesetzt waren und gegen den fortgesetzten Ausschluss der Juden von jedem Avancement. Die schreiende Ungerechtigkeit, die jüdischen Soldaten als einer fremden Nation angehörig zu betrachten und ihnen Vaterlandsverrat zuzutrauen, muss dieJuden schmerzen, die in ihrem Herzen gute Rumänen sind.

Wir bitten Sie, verehrter Herr Premierminister, gegen diesen unerträglichen Zustand einschreiten zu wollen. Wir verlangen es als Rumänen für rumänische Soldaten, für Männer, die freudig in den Krieg gezogen sind und die nun die Beschimpfung erleben müssen, als Fremde angesehen und behandelt zu werden. Wir überreichen Ihnen unsere Bitte voller Vertrauen und in der Ueberzeugung, dass die alten Fehler und die Fort­setzung der alten Ausnahmepolitik in der neuen Aera unseres Landes keinen Platz mehr finden werden."

Dieses Dokument beweist zur Genüge, dass nach kurzer Pause die antisemitischen Feindseligkeiten wieder aufleben und dass die Juden selbst in der Er­füllung ihrer Militärpflicht als verdächtig behandelt werden. Auch die rumänischen Zeitungen haben einen neuen Feldzug eröffnet, um den bedeutenden Eindruck der Artikel hervorragender Männer wie Luzzatti und Glemenceau abzuschwächen. Die einflussreichen Or­

gane üben einen heftigen Druck auf die Regierung aus, machen auf die angebliche Gefahr der jüdischen Emanzipation aufmerksam und wollen selbst die Ab­sicht der Naturalisierung der jüdischen Mobilisierten zu Falle bringen. Die derzeitigen Zwistigkeiten zwischen den beiden herrschenden Parteien, der konservativen und der konservativ-demokratischen Partei lassen die baldige Wiederkehr der Liberalen an das politische Ruder voraussehen. Sollte diese Eventualität eintreten, so würde alles wieder in Frage kommen, denn diese Partei hat sich jederzeit den Israeliten sehr feindlich entgegengestellt. Ihre, einflussreichsten Führer haben sich bereits gegen die Gesamtnaturalisierung der mo­bilisierten jüdischen Soldaten ausgesprochen. Sie mei­nen, dass die Judenfrage in ihrer Ganzheit gelöst werden müsse und dass dies erst nach der Erledigung zweier grosser innerer Reformen geschehen könne; das sind das Wahlgesetz und die Agrarfrage.

Aber selbst wenn die mobilisiert gewesenen Is­raeliten zu rumänischen Bürgern gemacht würden, so wäre mit dieser Massregel, so bedeutsam sie erscheinen mag, die Judenfrage in Rumänien doch noch nicht gelöst. Auf den ersten Blick mag dieser Fortschritt verführerisch erscheinen, denn er würde mehreren Tau­senden von Israeliten mit einem Schlage das Bürger­recht verleihen, während in den vierzig Jahren nach der Erklärung der Unabhängigkeit Rumäniens nur ein paar hundert Juden naturalisiert worden sind. Aber 35 000 bis 40 000 Familienväter, die in Rumänien geboren sind und hier alle Pflichten erfüllen, werden doch noch immer weiter ausserhalb des Gesetzes bleiben. Jedenfalls wird Rumänien durch diese eine Massregel nicht von den Verpflichtungen befreit, die der Vertrag von Berlin und seine eigenen den Mächten gegebenen Versprechungen ihm auferlegten.

Gegenüber dem bekannten Artikel von Luigi Lie zatti imCorriere della Sera" machte der rumänische Minister des Innern Take Jonescu geltend,dass die Frage des Artikel 44 des Berliner Vertrags keine Frage des internationalen Rechtes mehr ist". In einem neuen in demselben Blatt am 12. August d. J. erschienenen Artikel antwortet der hervorragend italienische Staats­mann auf diese Behauptung, was folgt:

Die Unabhängigkeit Rumäniens wurde von den Signatarmächten des Berliner Vertrags unter dem ausdrücklichen Vorbehalt anerkannt, dass die rumänische Regierung die formelle Verpflichtung einging, den Artikel 44 des Berliner Vertrags durchzu­führen; von der erfolgten Abgabe dieser Verpflichtung haben die Mächte Kenntnis genommen. Folglich ist und bleibt die Emanzipation der rumänischen Juden eine dauernde Vorbedingung für die Un­abhängigkeit Rumäniens."

Auf diesem Gebiet muss die Frage stehen bleiben; Rumänien kann weder mit halben Massregeln noch mit der Zubilligung der Bürgerrechte an eine noch so beträchtliche Anzahl rumänischer Juden seine Unter­schrift zu Ehren bringen.

BRIEF AUS SOFIA.

Sofia, 3. November 1913. Die Zivil- und Kirchenbehörden von Sofia haben dieser Tage zwei so interessante Beispiele religiöser Tole­ranz und- nationalen Einheitsgefühls gegeben, dass ich Ihnen davon Mitteilung machen muss.

Ende voriger Woche fand sich an den Strassenecken der Hauptstadt folgender offizieller Anschlag:

Stadtrat von Sofia, Erlass Nr. 14 232." Einladung.

Am 20./2. November um 10y 2 Uhr vormittags wird in der israelitischen Synagoge der Strasse ,,Exarch Jossif" ein Trauergottesdienst für die aus Sofia stammenden jüdischen Offiziere und Soldaten