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S. Lublinski: Ein jüdischer Roman.
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Endes nur als ein Produkt der vornehmsten Feinfühligkeit erscheint. Gewiss, man kann sich denken, wie gerade auf der Seele einer solchen Natur die Judenfrage lastet. Er will heraus, er will sich selbst erlösen, will im Deutschtum, das er so innig liebt, restlos aufgehen. Freilich hat er schon andere Entwickelungsstadien durchlaufen. Es gab eine Zeit, wo er sich der internationalen Sozialdemokratie ganz in die Arme warf. Er erwartete in - jugendlicher Zuversicht von dieser Partei die Verwandlung des grauen und schmutzigen Lebens in einen freudigen und weihevollen Festsaal. Die Enttäuschung, die kommen musste, kam, und nun erwacht mit neuer Stärke die Liebe zum Deutschtum. Natürlich ein „reines Deutschtum", ein erst noch zu begründendes und zu erringendes Ideal, an dem er, Emil Zlotnicki, nach Kräften und mit dem Aufgebot seiner Seele mitarbeiten will. Durch diese Mitarbeiterschaft erwirbt er sich alsdann die Berechtigung, sich öffentlich als Deutscher zu bekennen, und überbrückt die Kluft, die zwischen Deutschtum und Judentum noch klafft. Vergebens. Emil überwindet diese Hindernisse nicht und endigt in wehevoller, tief schmerzlicher Resignation.
Er hat einen Freund. Hans Förster leidet im Grunde an der gleichen Krankheit und an dem gleichen Vorzug, wie Emil: an Hyper- sensibilität und Feinfühligkeit. Freilich, er ist Christ, er ist Germane. Und wenn er lür den Schmutz und Schmerz des Lebens nach einer Ursache sucht, dann findet er oft eine Antwort, die Emil nie finden kann: die Juden sind daran schuld — wer sonst? So er giebt sich ein wunderliches Verhältnis zwischen den beiden Freunden: gleiches Leid führt sie zusammen, und die Judenfrage, die unsichtbar zwischen ihnen steht, zwingt sie doch immer wieder, sich wechselseitig zu verwunden und tödlich zu kränken. Hans Förster ist in mancher Beziehung männlicher als Emil. Er besitzt die Fähigkeit, die Dinge zu Ende zu denken —- bis zu jenem Ende, wo die Verzweiflung lauert. Und er besitzt nicht Emil's warmen und liebevollen Wirklichkeitssinn, der den Folgerungen einer abstrakten und unerbittlichen Vernunftlogik Halt zu gebieten vermag. So geht Hans Förster, der nicht resignieren kann wie Emil, zu Grunde. Und es wirkt ergreifend tragisch, dass gerade Emil, als wieder einmal die Judenfrage zwischen sie getreten war, dem schon schwankenden Freunde den seelischen Todesstoss versetzen muss.
Inhaltsangabe erledigt. Mehr darf man nicht sagen.. Denn ein Kritiker hat nicht zu Nutz und Frommen bücherfauler Leser die Werke der Dichter und Schriftsteller einfach auszuschreiben.
Also soll über die Einzelheiten des Romans nichts weiter verraten werden. Ohnehin wird man schon herausfühlen, dass ein solcher Inhalt in Hülle und Fülle Gelegenheit bietet, tiefste und innigste und ergreifendste Seelenschmerzen dichterisch zu gestalten, In der lyrisch-analytischen Darstellung solcher intimer Leiden erweist sich Robert Jaffe als ein Dichter von ungewöhnlichem Können. Und wo er sich lediglich auf diesem Gebiet bewegt, da giebt es nur einen Ausdruck dafür: meisterhaft! Emil's anmutige Erlebnisse in Or- chowo, sein wonniges Entzücken im Kreise der Künstler, sein Phantasieleben in einem reinen Deutschtum, während gleichzeitig ein wundervoller Herbst zu Ende geht — das alles sind Stimmungen, Schilderungen, Episoden, die des grössten Dichters würdig wären.
Aber Robert Jaffe ist kein Epiker, am wenigsten ein Zeitepiker. Die Zeitprobleme hat er freilich als denkender Mensch sehr wohl erfasst und als Lyriker zuweilen tiefseelisch in sich durchlebt. Zumeist wurzelt aber doch das Zeitleben in der objektiven Aussenwelt, die nun einmal episch gestaltet sein will. Hier kommt man mit feiner Lyrik schlechterdings nicht aus, und hier liegt zweifellos die Grenze von Jaffe's Kunst. Wo er Epiker sein soll, offenbart er eine manchmal rührende Hilflosigkeit, keucht schwer nach Worten und ringt mit dem Ausdruck, während doch der lyrische Analytiker Jaffe die feinsten und verschwebendsten Stimmungen noch im Worte festzuhalten weiss. So finden sich denn oft dicht nebeneinander Sätze und Seiten in dem Buch, von denen man nicht begreifen kann, dass derselbe Mann sie schreiben konnte: Meister zugleich und Dilettant. Gewiss, dadurch wird eine leichte und flüssige Lektüre des trotz alledem hochbedeutenden Romanes sehr erschwert, und wer bequeme Unterhaltungslektüre sucht, der wird vor Robert Jaffe's „Ahasver" reichlich siebzigmal in Verzweiflung geraten. Mag er es, wir gönnen es ihm.
Es giebt aber noch andere Leute, die nicht Unterhaltungslektüre suchen, sondern Bereicherung ihrer Seele, selbst wenn es ihnen Zeit und Mühe kosten sollte. Weil der Riss, den ich erwähnte, durch die Dichtung Jaffe's geht, so ist sie freilich kein die Zeiten überdauerndes Kunstwerk. Aber Seelenleben ist in ihr in Fülle enthalten, und kein deutscher Jude, der sich die einiger- massen schwere Lektüre nicht verdriessen lässt, wird das Buch ohne innere Bereicherung aus der Hand legen.
Ich wiederhole, was ich ähnlich schon im Litterarischen Echo ausgesprochen habe, dass es die Pflicht eines jeden ist, dieses Werk zu lesen, dem es auf eine psychische Erkenntnis der Judenfrage ankommt.