63
64
„JUDA".
Von Dr. Theodor Zlocisti.
Die Neugestaltung der sozialen und staatsrechtlichen Stellung, die uns graue Billigkeit' — und „Fortschritts " -Theorieen in verächtlichem Mitleid geschaffen, hat in uns selbst starke und stolze Eigenheiten zerbrochen; unser äusseres Geschick und unsere sichtbare Aussenseite haben die grossen Linien eingebüsst. Es hat das wehmütig blickende "Auge fremdnationaler Dichter und Sänger, welche die Tragik eines vieltausendjährigen Volkes zu unserem Leide zog, von uns abgewendet. Und das ist ein schwerer Verlust, wie leicht er auch scheine! Denn das Herz eines Volkes sind seine Dichter. Seit Lord Byron in seinen Hebrew Melodies der Tragödie unserer Heimatlosigkeit erschütternden Ausdruck geliehen, seit Janssen das lastende Leid unseres Stammes mit blutender Seele besungen und die Enterbten zu Makkabäer-trotziger Art emporzubegeistern versucht hatte, seitdem ist nur hier und da ein verstohlener Sang des Mitleidens erklungen. Sonst ist alles stumm. Stumm? Uns grinste noch die höhnische Lust des Satyrikers entgegen. Erst als die immer wuchtiger andrängende Wasserflut der Taufe den starken Wall der Angefaulten und Ueberreifen zum grossen Teil fortgeschwemmt hatte, konnten auch dem Aussenstehenden die reineren, höheren, stolzeren Naturen, die das Judentum in seinem Innern barg, sichtbar werden. Die uralte Idee eines geeinten jüdischen Volkstums, neu erwachte Heimatssehnsucht und Zukunftshoffnungen hatten einen jungen trotzigen Männerstamm in Juda geschaffen. Die Sterbe- Sehnsucht war da gestorben! Und dahingesunken war jene armselige Knechtsal, die um die Anerkennung der Menschenrechte bettelt. Bei vielen! Das blühende Gefühl, starkgeistiger Ahnen ein Enkel zu sein, Hess die junge Kraft nicht mehr an innerer Heimatlosigkeit müde verdämmern. Da wir in die Vergangenheit blickten und uns als die Glieder einer stolzen Heldenreihe wiederfanden, quoll es in uns auf wie der Stolz alter Aristokratie. Die man mit Füssen trat als heimatlose Bettler, hatten ihren uralten Adel entdeckt:' einen lebendigen Adel mit reinem Herzen und hoheitsvoller Geberde und geraden Worten und treu, aber trotzig blickenden Augen ....
Und es kam wie -ein Naturgesetz: Die schon in den ersten zarten Regungen unserer Stolzbewegung die aristokratische Linie spürten, waren selbst alten Adels cdele Sprossen. Freiherr Zoege von Manteuffel, Gundakkar von Suttner, Bertha von Suttner, die niemals rastende Künderin des Friedens, Fürst Wrede. Nun ist dem neuen Judentum in den Reihen des Adels auch ein Sänger erstanden, der das Sehnen unserer Seele mitlebt und mit munterndem Zuruf zur That uns anfeuert: Börnes, Freiherr von Münchhausen.
„Juda" nennt er sein Buch. Fünfzehn, zumeist
grössere Gedichte hat er darin aneinandergefügt. Sie sind in einer langen Reihe von Jahren entstanden. Man sieht es ihnen an. Nicht nur an der stetig wachsenden Kraft, die Gestalten plastisch herauszuarbeiten, den Stimmungsgehalt aus den Ereignissen herauszuheben und festzubannen. Vielmehr — und das hat etwas ungleich stärker Lockendes als dem rein künstlerischen und poetisch-formalen Entwicklungsgang zu folgen! — man sieht, wie sich alimählich das. rein stoffliche Interesse an den Geschehnissen jüdischer Vergangenheit zu persönlichster innerer Anteilnahme an dem Geschick unseres Volkes und unserer lebendigen Hoffnung wandelt, wie aus dem Epiker, den in unserer Geschichte die überragende Persönlichkeit unserer Helden, den die Thaten ihrer Kraft und die Kraft in ihren Thaten, ihre gigantische Struktur reizen, der Lyriker herauswächst.
Von Joab, der den Amasa tückisch durchstach, zieht es ihn zu Jesaia's würgendem Schmerze. Die blutende Seele unseres Propheten liegt vor uns. Wie die Sorge ihn innerlich zerriss, da er das mordende Unheil heransausen sieht auf die blinden Kinder des Tages - es ist Münchhausens verinnerlichtestes Gedicht. Es weht durch seine Strophen ein Hauch von dem Zauber der grossen Jesaia-Reden.
Da er in das gram- und angstdurchwallte Prophetenherz schaut, wächst ihm das Leid des Sehers zu einem Elempulärgefühl empor, das in allen Tagen und Landen lebte in jener einsamen Schar der Stolzen, die mit thränenden Augen die lächelnde Sorglosigkeit ihrer dem Untergange entgegentaumelnden Brüder sieht. Es sind die seelischen Voraussetzungen der Zionssehnsucht. Münchhausen hat versucht, sie in sich lebendig zu machen. Er blieb dabei nicht stehen. Aus dem nachempfundenen Schmerz formt sich ihm der Ruf zur Selbstbefreiung /
Und wer an seiner Sandale der Riemen einen erst band, Der wand're ohne den andern in seiner Väter Land, Warte nicht auf Bruder und Vater, verflucht sei Ruh und Rast, Was brauchst Du Vater und Bruder, wenn Du die Heimat hast ?
Und wenn die heilige Heimat leuchtet im Morgenlicht, Von den ewigen Höhen zu Heah das blaue Glänzen bricht, Dann sinken wir schauernd nieder am schimmernden Jordanstrand
Und küssen mit durstigen Lippen das Vaterland.
Diese Verse sind für Münchhausen^ dichterische Art bezeichnendes Beispiel. Wie er mit Vorliebe den Rhythmus der alten. Nibelungenstrophe meistert, so liegt auch etwas von dem Schwung, der Kraft und dem Trotze alter Nibelungen in ihm. Er verliert sich nicht in psychologischen Subtilitäten. Seine Welt ist die Welt der Heroen mit tönenden Herrenworten, graci-