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-Dr. Theodor Zlocisti: „ Juda"
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Das ist das heitere Passahfest mit seinen Hoffnungs- rufen. Lilien's Passah schaut anders aus. An des Niles Ufern erheben sich gross, kalt, stolz die Pyramiden, Mizraims — des Landes unserer Knechtschaft. Auf ihre ewige Majestät fallen die letzten Strahlen der gewaltigen, glutleuchtenden Sonne Zions. Der Jude aber, der dornumrankte, sieht sie nicht. Der Schmerz der Knechtsäligkeit lastet mit zermürbender Wucht auf seiner Seele. Die schwarze Tragödie unseres Volkes ist kaum je tiefer erfasst worden als in dem Kopfe dieses Juden. Vielleicht in der Leidgestalt Jeremias auf den Trümmern Jerusalems, wie ihn Bendemann gemalt hat.
So könnte man Bild für Bild durchgehen. Ihre Vergleichung mit dem entsprechenden Gedichte wird zwei verschiedene Welten offenbaren, und bis in die letzten Feinheiten durchgeführt aus den Schöpfungen zweier so markanter Individualitäten, so monumentaler Rassentypen, letzten völkerpsychologischen Problemen Aufschlüsse geben. —
Allein: wenn man nur die typographische Wiedergabe der Münchhausen'schen Verse ins Auge fasst und die ganze Ausschmückung des Buches, so, hat man den Eindruck seltener Einheitlichkeit. Das ist aber alles Lilien's Werk. Alles passt zu einander, Deckel, Vorschlagblätter, Leisten und Papier. Es giebt keine noch so scheinbare Aeusserlichkeit; sie ist beabsichtigt und wird so zur Innerlichkeit. Die Farbe des Deckel mit dem rosen- und dornenumkränzten, die hebräischen Typen köstlich nachbildenden Titel ist tiefblau und weiss: die Farben des Judentums. Die Vorschlagblätter mit den stilisierten, siebenarmigen Leuchtern sind gelb gehalten: in der Farbe unserer ganzen Schmach. Sonst ist alles schwarz und weiss, ohne die Glut der Farbe! Und doch wie viel Leben ist in diesem Schwarz und Weiss. Die Zeichnung „Kraft und Schönheit", welche die Gesänge des „Jehuda" einführt — im Grunde nur schwarze und weisse Flächen und grosse Striche, doch wie viel satte Farben leuchten aus den beiden prächtigen Akten und der Waldseelandschaft hervor!
Lilien hat die Schwarz-Weiss - Kunst zu erstaunlicher Höhe emporentwickelt. Am bezeichnendsten für seine Technik ist das Bild Enak von Gomorrha mit seiner weiten Fläche, aus der Enak, auf hohem Kamel, das Zelt und das prächtige Flussgewinde hervortreten.
Aber auch rein zeichnerisch wird die Art Lilien's vorbildlich sein. Er ist nicht Maler, dessen Zeichnungen sich von Gemälden nur durch die — Farblosigkeit unterscheiden. Lilien benutzt den Stift nicht wie einen Pinsel. Er schattiert nicht und tönt nicht ab. Nur durch ein paar Striche und Linien — aber die charakteristischen — wird die Eigenart der Objekte und der
seelische Ausdruck seiner Gestalten festgehalten. Lilien, der Plakatkünstler, arbeitet immer darauf hin, dass seine Zeichnungen nicht nur wirken, sondern dekorativ wirken. Man denke nur an die wundervoll stimraungsreichen, stillen Ruinen von Sodom, an seine Wolkengebilde, an die breiten windverwehten Flammenbänder, geschlungen um die abgrundtiefe Gestalt Jesaias, der die bäum- und strauchbeugende Sturmnähe ahnt, dieweil im sorglosen Tanze sich Juda's Jugend windet. Das -ganze Werk ist eine dekorative Meisterarbeit. Ausser den Vollbildern locken immer wieder die Zierleisten, deren köstlicher Zauber den gewählten Typensatz umrahmt. Blätter und Blumen, Trauben und Feigen, aufgerollte Thorarollen, segnende Priesterhände, hoch aufschauende Lilien, durch deren Gerank musizierende Engel schreiten, sind — in ihrer rein ornamentalen Eigenheit gefasst — um die Verse geschlungen. Am * glücklichsten zeigt sich Lilien's dekorative Begabung in dem Rahmen, der hier in Verkleinerung wiedergegeben ist. Wohl zum erstenmal ist hier der Versuch mit glänzendem Erfolge gewagt, menschliche Köpfe — hier sind es die scharfen, geistvollen Rassenzüge unserer grossen, jüdischen Gelehrten — zu einer Schmuckleiste zu vereinen.
Man könnte Bild um Bild, Vignette um Vignette, ja Strich um Strich besonders behandeln. Je mehr man sich in dieses einzige Werk vertieft, umso zartere, geheimere Schönheiten spriessen uns auf, umso reinere Empfindungen, umso tiefere Gedanken sprechen zu uns. Lilien ist Symbolist, nicht weil es just so Mode, sondern wie jeder grosse Künstler, der in der vergänglichen Welt und dem wie Wellen dahinrauschenden Leben nur Symbole sieht. Er hat nichts hineingeheimnist, was, der Allegorie entkleidet, sich schamhaft als schwindsüchtiger Gedanke zeigte. Wie tief: in des Jesaia wallendes Gewand sind vier verflammende Herzen eingewirkt .... —
Durch fast alle Zeichnungen Lilien's drängt sich immer wieder ein Motiv — die Dornenranke. Durch Schmerzen hat er sich seinen Weg gebahnt und Dornen. Er ist der Künstler mit den Dornen im Wappen.
Der Dorn — das ist die Tragödie des Judentums, die den jüdischen, frei in die Höhe strebenden Künstler zuerst in ihrer ganzen zermalmenden Wucht packt und zu Boden schmettert. Dornen! Wir hoffen die jüdische Kunst, die den Dorn nicht mehr kennt, die jüdische Kunst, die sonnenberauschte.
Dornen. Im Dornbusch ist uns einst der Ewige erschienen. . .
„Juda", Gesänge von Börnes Freiherrn von Münchhausen, — Zeichnungen von E. M. Lilien. F. A. Lattmann's Verlag, Goslar.