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Fabius Schach: Der deutsch-jüdische Jargon und seine Litteratur.
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Jargon müsste geregelt, grammatikalisch geordnet und dann mit lateinischen Lettern geschrieben werden. Das wäre der einzige Weg, der diese Sprache bei den Kulturvölkern, namentlich den germanischen, mit einem Schlage populär machen würde. Eine bindende Sprech- und Schreibweise, die möglichst einfach sein müsste, ist das, was dem Jargon dringend not thut.
Ist dieses erreicht, dann wird jeder gebildete Jude es für seine Pflicht halten, diese Sprache zu erlernen. Es wird sich dann alles, was jüdisch fühlt, um diese Sprache gruppieren, und je mehr die Litteratur bereichert wird, desto vornehmer und mannigfaltiger wird dann die Sprache werden. Eine grosse Anleihe bei den anderen Sprachen wird wohl nötig sein, aber
sie wird gute Zinsen tragen. Wer für das Volk arbeitet — und das thut jeder Dichter und jeder Künstler —, der muss zum Volke hinabsteigen, um es dann zu sich erheben zu können. Er muss daher die Sprache des Volkes sprechen. Ist die Sprache arm, dann
Zwei komische Typen aus dem humoristischen Teil der von GoMfaden 1887/88 herausg. „New-Yorker illustr. jüd. Ztg.".
muss er sie bereichern, ist sie hart, dann muss er sie verfeinern. Wer an die Zukunft des Jargons nicht glauben will, der mag sich erinnern, dass nicht nur Friedrich der Grosse das Deutsch noch als etwas Rohes betrachtete, sondern auch Lessing ursprünglich seinen Lao- koon französisch schreiben wollte, weil er fürchtete, für die Feinheiten der Kunst keine Ausdrücke in der deutschen Sprache zu finden. Jede Sprache wächst eben mit dem Volke. Der Jargon trägt alle Keime einer gesunden Volkssprache in sich, und wenn die heutige Renaissancebewegung in Russland ihre natürliche Entwicklung nimmt, dann wird mit ihr der Jargon zu einer gesunden Sprache eines gesunden Volkes.
Den jüdischen Gelehrten in Deutschland aber, denen das innere und äussere Leben der russischen Juden noch immer ein Buch mit sieben Siegeln ist, kann ich nur raten, die Jargonlitteratur zu studieren. Sie werden erst dann die Juden des Ostens kennen und lieben lernen.
Kopfleiste des humoristischen Teils einer von Goldfaden im Jahre 1887/88 herausgegebenen „New-Yorker illustrierten jüdischen Zeitung".
Hber die Sterne?
Von S r Frug.
(Dem Jüdisch-deutschen nachgebildet von Theodor Zlocisti.)
Es glänzt der Mond. Es glänzen die Sterne In wallender Nacht über Berg und Thal ... — Und wieder les' ich die uralten Blätter; Ich las sie tausend und tausende Mal.
Und wie ich lese die heiligen Werte, Hält mich eine Stimme gebannt:
„Mein Volk, Du wirst sein, wie die Sterne am Himmel, „Wie am Meeresgestade der Sand."
Ich weiss es, mein Gott: Von Deiner Yerheissung Wird sich erfüllen das leiseste Wort. Ich weiss es, mein Gott: Es sucht nur Dein Wille Die richtige Zeit, den richtigen Ort.
Und eines hat schon die Erfüllung gesehen. Ich halr es mit allen Sinnen gefühlt: Wir sind zu treibendem Sande geworden, Von jeglichem Fusse durchwühlt . . .
Es hat sich erfüllt! . . Wie Sand und wie Steine Zerstreut und zerstoben zu Schande und Spott! . . . Yun aber die Sterne mit leuchtendem Scheine, Die Sterne, die Sterne, wo sind sie, mein Gott? . .