Herausgegeben unter Mitwirkung von Prof. Dr. Hermann Cohen (Marburg), Prof. Dr. Ludwig Geiger, Prof. Dr. D. Joseph, Prof. L.. Kellner (Wien), Prof. Dr. M. Lazarus, Prof. Dr. Martin Philippson, K. K. Baurat Wilhelm Stiassny (Wien), Prof. Dr. Otto Warburg, Dr. S. Bernfeld, M. Buber, Dr. Heinrieh Meyer Cohn, Dr. Moses Gaster (London), Robert JaffS, S. Lublinski, Dr. Rudolph Lothar, Dr. Max Nordau (Paris), Dr. Alfred Nossig, Nahida Remy, Dr. J. Sadger, Dr. Ernst Tuch, Jacob Wassermann, Dr. S. Werner
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Heft 6
Juni
1901
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SOZIALE KUNST IM GHETTO.
Von Dr. med. Theodor Zlocisti.
Als vor etwa acht Jahren der Ada Negri leidenschaftliches und leidemeiches Gedichtbuch Fatalitä erschien, war es wie eine Offenbarung. Eine neue Kunst sprach zu uns in neuen Worten. Es war kein Neuland, das sich uns erschloss. Nur ungeahnt schaurige Winkel thaten sich uns auf, da uns die düstre Italienerin unbekannte, schwierige Wege führte. Es war nicht Zola's sorgsam fügende Art, die treu bis zur Brutalität und kalt soziales Elend zeigte. Ein trotziges Weib, vom Kampfe erhitzt und verbittert, weinte ihren Schmerz, raste ihren Hass in lodernden Versen aus. Es waren Arbeiterlieder. In den dunklen Schacht leuchtete sie hinein, wo harte Frohnde das Erz aus dem Felsen schlägt; in das Tausende zermürbende Triebwerk der Fabriken. Und der Jammer jener, die hinsiechen im Giftdunst der Reisfelder, schrie aus
ihren Versen. Es klang wie der" gellende Hall des Weltgerichts, wenn sie die grausige Tragödie des Ausstandes, wenn sie den Jammer jener Heimlosen in den öffentlichen Asylen sang, welche neuem Hungertage entgegenbeben. Die Rache reckt sich empor. Zerschlagen muss man die alten Säulen, damit auf neuem Grunde die neue Menschheit — die Menschheit der Gerechtigkeit — erstehe.
Ada Negri ist sicher nicht die erste, die soziale Nöte künstlerisch verwertete. Karl Beck und Hartmann sind ihr voraufgegangen. Und auch unter den neueren Poeten finden wir bedeutsame Ansätze einer sozialen Lyrik. Was aber den Siegeslauf der Italienerin sicherte, das war jenes bei jedem Leser aufspriessende Gefühl, dass ihr das Elend nicht totes Studienobjekt ist, das sie mit dem Auge des Künstlers belauscht und gestaltet. Man