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Hrbeiterlieder**)
Von Morris Rosenfeld. (Aus dem Jüdischen übersetzt von Berthold Feiwel.)
j (Nachdruck verboten.)
Die OXerhetatt.
Es sausen und brausen so wild die Maschinen, So wild — ich vergess' oft selbst, dass ich bin. Ein schrecklicher Taumel. Ich geh' drin verloren, Ich bin nicht ich selbst mehr, bin nur noch
Maschin'.
Arbeit auf Arbeit, — wer rechnet die Arbeit? Ich schaffe und schaffe und schaff ohne Zahl: Wofür? Und für wen? Ich weiss nicht, ich frag
nicht, —
Denkt denn auch eine Maschine einmal? ....
Tot jedes Gefühl, tot jeder Gedanke, — Die bittere, blutige Arbeit erschlägt Das Edelste, Beste, das Reichste, das Höchste, Das Schönste, was Menschenherzen bewegt. Es schwinden Sekunden, Minuten und Stunden, Und Tage und Nächte zieh'n pfeilschnell hinweg: Ich treibe das Rad, als wollt' ich 5 s erjagen, Und jage drauf los, ohne Sinn, ohne Zweck.
Die Uhr in der Werkstatt, die steht nicht stille, Zeigt an und tickt und schlägt und weckt. Mir sagte einst einer die eigne Bedeutung, Die in dem Ticken und Schlagen steckt. Fast traumhaft kommt mir ein seltsam' Erinnern, — Die Uhr weckt in mir Leben und Sinn Und noch was, — doch was? Ich hab' es
vergessen,
O fragt nicht, ich weiss nichts, ich bin nur
MaschinM . . .
Doch manchmal versteh' ich die Uhr ganz anders. Und anders spricht's von der Wand zu mir her, — Mir ist's als riefe der Unrastpendel: „Arbeite! Arbeite! Mehr, noch mehr!" Als hört' ich des Herren zornige Worte; Und wenn ich die beiden Zeiger seh', So ist's mir, als säh' ich zwei böse Augen, — Die Uhr aber schreit: „Maschine dort, näh!" . .
*) Aus dem im Drucke befindlichen Buche: „Lieder des Ghettos".
Nur dann, wenn stiller das wilde Getümmel
Und der Meister fort ist, zur Mittagszeit,
Da kommt wieder Klarheit in meine Sinne,
Ich fühl' meine Wunden, es regt sich mein Leid, —
Und bittere Thränen und heisse Thränen
Benetzen mein mageres Mittagsbrot, —
Es würgt mich, ich kann nicht mehr essen, ich
kann nicht! O schreckliche Arbeit! 0 bittere Not!
Es scheint mir die Werkstatt zur Mittagsstunde Ein Schlachtfeld, auf dem das Kämpfen ruht: Ringsum im Kreise, da liegen viel Tote, Es schreit von der Erde zum Himmel ihr Blut. Geduld, — bald läutet die Glocke zum Sturme, Die Toten erwachen, anhebt die Schlacht, Es kämpfen die Körper für Fremde, — für Fremde, Und streiten und fallen und sinken in Nacht.
Ich blick' auf den Kampfplatz mit bitterem Zorne, Mit Schreck und mit Hass und mit höllischer Pein, Die Uhr — jetzt versteh' ich sie richtig — sie
weckt mich:
„Genug schon der Knechtschaft! Ein Ende muss
sein!"
Sie weckt meine Sinne und reizt die Gedanken Und zeigt mir, wie eilends die Stunden entflieh'n: Ein Elender bin ich, solange ich schweige, Verloren, solange ich bleib', was ich bin.
Der Mensch, der in mir geschlafen, erwacht jetzt, Der Knecht, der in mir gewacht hat, schläft ein. Jetzt ist die richtige Stunde gekommen! Genug schon des Elends! Ein Ende muss sein! . . Da plötzlich — ein Pfiff — der Meister —
ein Lärmen! — Irr wird mein Sinn, ich vergess', wo ich bin, — Man kämpft — ein Getümmel — ich geh' drin
verloren,
Ich weiss nichts, mich schert nichts, ich bin nur
Maschin'! . . .