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DIE JUEDISCHEN STUDENTENVERBINDUNGEN IN OESTERREICH.

Von Dr. Siegmund Werner.

Eine Studentenverbindung. Welch eine Fülle von fröhlichen Erinnerungen taucht da in jedem gewesenen Akademiker auf, der einer Verbindung angehört hat! Erinnerungen, wie von goldigem Lichte verschönt. Ist es ja die Jugend, die uns grüsst, fröhlich, strahlend und doch wie in einen wallenden Schleier gehüllt, aus der Ferne winkend, weit, weit.

.Und eine jüdische Studentenverbindung erst. Sind denn die jüdischen Studenten so wie die anderen? Die bewusst jüdischen wenigstens? Da giebt es auch Jugend, Fröhlichkeit, dumme Streiche, Schlägereien, für Ideale begeisterte, lächerlich unbeholfene, ehrliche Jungen, die gerne die ganze Welt umkneten wollten, damit sie vor ihrem überraschend fixen und, wie sie meinen, unfehlbaren Urteile bestehen könne, ganz so wie bei den anderen, aber ... Ja, es ist eben ein Aber dabei. In alle diese rührend lächerliche Flegelei, Unerfahrenheit und Bravheit, in all dies ernste Be­mühen und wirklich aufopferungsvolle Sichhingeben, das sie mit den anderen gemein haben, das den Tüch­tigen und Ehrenhaften beider Lager eigen ist, schwingt bei den jüdischen Studenten ein Klang hinein, der diese fröhliche, erquickende Melodie des Studententums modifiziert, der die hellen Pfeifen des Frühlings­orchesters, Studentenzeit genannt, herabstimmt, die jubelnde Freude dämpft, die köstlichsten Ulke schliess­lich verzerrt, ja sie oft mit einem Misston ausklingen lässt ihr spezifisches Leid als Juden.

Wie wenn einer auf freier, sonniger Höhe steht, und zu seinen Füssen liegt lachendes Gefilde. Und es steht einer neben ihm und sagt:Sieh, wie schön! Da darfst auch du arbeiten mit den anderen und dich freuen mit den anderen und das Beste geben und empfangen. Aber nimm dich in acht! Du bist doch eigentlich nicht wie die anderen, und sie könnten es dir einmal sagen, es dich fühlen lassen, im Scherz oder Ernst!" Da wird sich der wohl freuen und auch mühen, aber mitten in der besten Freude und in der segensreichsten Arbeit, da wird ihm auf einmal ein Wort, etwas Grosses oder irgend eine Kleinigkeit oder viel­leicht auch nur die Angst davor den Aufschwung lähmen, und er wird mit Thränen lächeln oder mit trüberem Sinn arbeiten und sein Bestes verbergen oder auch gar nicht an den Tag bringen können. Und nur wenn er wirklich ein Mann ist, wird er's mit Würde tragen und hoch darüber hinauswachsen und grösser werden als sein Leid und wird das erst adeln. Und das wollen die jüdischen Verbindungen.

Die jüdischen Verbindungen da sind die bewusst jüdischen gemeint. Was man sonst wohl auch als jüdische Verbindungen zu bezeichnen pflegte, d. h. Ver­bindungen, in denen die Juden eine Majorität^oder eine bedeutende Minorität bildeten, das ist in Oesterreich so

ziemlich verschwunden. Die Studentenverbindungen Oesterreichs Burschenschaften, Corps, Landsmann­schaften und sonstige wehrhafte Verbindungen sind mit ganz verschwindenden Ausnahmen judenrein und stramm antisemitisch. Aber nicht dieser Antisemitismus­ist es, der den jüdischen Studenten ihr Judentum eia- bläuen musste, wenigstens nicht allen. Die älteste jüdische Verbindung, dieKadimah" entstand, bevor noch der Antisemitismus in Oesterreich seine Triumphe feierte. Gerade die Geschichte derKadimah" ist charakteristisch genug für die Entwickelung der jüdischen Verbindungen, um sie ganz kurz zu er­zählen.

Es war zur Zeit der grossen Judenaustreibung aus Russland, im Jahre 1882, damals, als auch den west­europäischen Juden eine Ahnung aufzutauchen begann, dass es um die jüdischeGlaubensgemeinschaft" keines­wegs so glänzend bestellt sei, als man es ihr von berufener und unberufener Seite weis machen wollte. Da traten in Wien jüdische Studenten aus Russland,. Galizien und Rumänien zusammen, um einen Verein zu bilden, der sich die Pflege des jüdischen Stammes- bewusstseins, der jüdischen Geschichte und Litteratur, vor allem aber die Pflege des Bewusstseins der Zu­sammengehörigkeit aller Juden, gleichviel in welchen Ländern sie auch leben mögen, zum Ziele setzte. Perez Smolensky gab dem Vereine den Namen Kadimah" (Vorwärts-Ostwärts).

Dr. Pinsker'sAutoemanzipation" war das Buch, welches die Kadimahner als eine Art Glaubensbekenntnis verehrten. Mit der bedingungslosen Anerkennung dieses Buches hatte dieKadimah" ihrem Programm einen neuen Punkt angefügt: die Kolonisation der Juden, um ein jüdisches Centrum und eine Zufluchtsstätte für die heimatlosen Brüder zu gründen. Von allem Anfang an wollte dieKadimah" dieses Centrum nur im Lande der Väter, in Palästina. Mit der Veröffentlichung dieses Programmes hatte der Zionismus seinen Einzug in die Wiener Universität begonnen.

Es waren schwere Zeiten, welche die erste jüdische Verbindung Oesterreichs durchzumachen hatte. Jüdische Studenten weinten Lachthränen, als die ersten Plakate derKadimah" in deutscher und hebräischer Sprache an dem schwarzen Brett der Aula angeschlagen wurden. Die Wiener Juden hatten nur Spott und Hohn für die jungen Leute. Als sich diese aber weder durch die einen noch durch die anderen beirren Hessen, da wurden die jüdischen, damals noch ganz der Assi­milation ergebenen Studenten und Bürger die grimmig­sten Feinde dieses jüdischen Vereins.

Während aber die Wiener Juden derKadimah" so wenig Verständnis entgegenbrachten, fand sie bei den russischen Juden, die am eigenen Leibe die Zu-