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Dr. Ernst Tuch: Jüdische Bauern auf deutschem Boden.

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schaftlichen Genossenschaften. Sie setzen den Bauer in Stand, nicht nur billiger Rohstoffe einzukaufen, seine Produkte vorteilhafter zu ver­werten, sie verschaffen ihm nicht nur Kredit, versichern sein Vieh u. s. w., sondern sie geben ihm erst die Möglichkeit, im vollen Maasse Maschinen zu verwerten, zahlreiche Meliorationen, wie z. B. durch Drainage, auf seinem Besitztum durchzuführen, wovon ohne diesen Zusammen- schluss gar nicht die Rede sein könnte. Sie erst gestatten mit einem Worte gesagt Gross­betrieb auf Kleinbesitz.

Wenn man alles dieses in Betracht zieht, wird man wohl kaum die Behauptung von der Unrentabilität unserer heimischen Landwirtschaft, von ihrer Unfähigkeit, der auswärtigen Konkurrenz Stand zu halten, aufrecht erhalten können, und man wird den Worten zustimmen müssen, welche am 25. Januar 1900 der damalige Landwirtschafts­minister von Hammerstein im preussischen Abgeordnetenhaus in Uebereinstimmung mit den bedeutendsten soziologischen Autoritäten sprach: Wenn es gelingt, die Landwirtschaft in technischer Hinsicht nur auf eine mittlere Höhe zu bringen* dann, möchte ich glauben, wäre allein schon aus dem jetzt bewirtschafteten Areal eine so grossartige Steigerung aller landwirtschaftüchenErzeugnisse zu erzielen, dass die Produktion selbst einer noch steigenden Bevölkerungszunahme parallel laufen könnte."

Aber, könnte man einwenden, wenn auch zugegeben wird, dass unter diesen Gesichts­punkten wohl die Landwirtschaft ihren Mann er­nähren wird, so ist es doch sehr fraglich, ob sich mit dem doch immerhin nicht allzu grossen Einkommen, welches sie abwirft, die Juden zu­frieden geben werden.

Man hört und liest gar viel von einem jüdischen Volkscharakter, der die Juden, als spekulative Menschen, geeignet machen soll zum Handel, ungeeignet zum urproduktiven Schaffen. Zumeist wird diese famose Theorie verkündet von Judenfeinden, oft aber auch, und das ist das eigentlich schlimme, gedankenlos nach­gesprochen von Juden selbst. Der Drang nach möglichst schnellem Erwerb soll den Judenan­geboren" sein, soll in ihremVolkscharakter" liegen. Wie leicht ist dies ausgesprochen, wie wenig Wahrheit liegt in dem Satze, und wie unendlich verhängnisvoll ist seine stete Wieder­holung uns Juden geworden!

Die erste Pflicht für denjenigen, der eine

Untersuchung anstellt, mag diese nun philosophisch, chemisch, physikalisch, soziologisch oder völker­psychologisch sein, ist doch wohl die,reine" Verhältnisse herzustellen, d. h. alle diejenigen Momente auszuschalten, welche das zu beob­achtende Objekt in irgend einer Ausnahme­stellung erscheinen lassen. Nun frage ich um alles in der Welt: Wer hat seit 1800 Jahren den jüdischen Volkscharakter seinem Wesen nach beobachten können? Niemand! Immer nur sehen wir ihn beeinträchtigt, verkleinert, verunstaltet durch zahllose äussere Zwangseinflüsse. Niemals sah man ihn sich frei entwickeln. Die Juden im eigenen Lande waren gute Ackerbauer, aber schlechte Händler, darin wurden sie bei weitem von den Phöniziern übertroffen. Am besten scheint mir das Unterfangen, überhaupt von einem jüdischen Volkscharakter nach der Geschichte der letzten 18 Jahrhunderte zu sprechen, durch folgenden Vergleich illustriert zu werden: Ein Knabe fand einst eine Pflanze in einem dunklen Keller vor. Pfui, rief er aus, welch ekles Ding, welch lange, dünne, schwache Stengel, was für winzige, kleine, gelbe Stümpfchen, das kann doch kaum eine richtige Pflanze sein. Hierauf der Vater:Urteile nicht zu schnell: diese Pflanze hat im normalen Zustande ebenso schöne, saftige Stengel, ebenso grosse, grüne Blätter, wie die übrigen Pflanzen. Aber ein schlechter oder thörichter Mensch hat sie hier im Keller stehen lassen, so konnte das Licht nicht auf sie ein­wirken, konnte sich in ihr nicht der grüne Farbstoff, das Chlorophyll, entwickeln, und so war sie zum Siechtum verdammt. Bring' sie ans Licht hinaus und Du wirst sie wieder aufatmen sehen. Man darf nicht nach dem Schein urteilen."

Gleichen wir Juden nicht wirklich dieser Kellerpflanze? Wie kann man, da uns fast zwei Jahrtausende das Licht entzogen war, aus den verunstalteten Zügen auf die jüdische Volksseele schliessen wollen?

Wie jenes PfLänzchen lange, gierige Aermchen ausstreckte nach Luft und Licht, die es nicht gerade liebenswürdig erscheinen Hessen, so haben auch die Juden mancherlei äussere Züge an­genommen, die wahrlich nichts weniger alsan­geboren" sind, hat sich in ihnen derspezifisch­jüdische Geschäftsgeist" entwickelt.

Aber man lasse sie nur frei sich regen, und erst, wenn sich nach langer Beobachtung er­weisen sollte, dass sie mit dem Ergebnis der Arbeit ihrer Hände nicht zufrieden sind, dass