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£>r. Ernst Tuch: jüdische Bauern auf deutschem Boden.
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sie von der Landwirtschaft zum aulregenden Erwerb des Städters zurückzukehren wünschen, dann fange man an, von jüdischem Geschäftssinn zu sprechen, und leiste endgültigen Verzicht auf die Schaffung eines gefestigten jüdischen Bauernstandes auf deutschem Boden.
Solange aber dieser Beweis nicht erbracht ist, wäre es geradezu verbrecherisch gehandelt, wollte man auf blosse Vermutungen und Vorurteile hin nicht alles daransetzen, die Juden der urproduktiven Arbeit zuzuführen. Der Versuch muss unter allen Umständen gemacht werden; gelingt er, so ist er von unberechenbarer Wirkung.
Viele raten dennoch davon ab aus der Ueberlegung heraus, dass eine Ansiedlung von Juden auf dem Lande den Antisemitismus noch mehr entfachen würde, dass die chauvinistische Ereiferung der landbesitzenden Klassen mit erhöhter Bitterkeit sich gegen diese neue Anmaassung Judas wenden würde. Abgesehen davon, dass eine derartige Ueberlegung uns niemals abhalten dürfte, das zu thun, was wir für die wirtschaftliche und soziale Hebung der Judenheit für recht und wertvoll erkannt haben, können wir doch soviel behaupten, dass, selbst wenn diese befürchtete Wirkung eintreten sollte, sie jedenfalls von keinem grossen Einfluss auf die jüdischen Bauern sein würde. Wer den charakteristischen Unterschied kennt zwischen der Industrie, den Gewerben und dem Handel einerseits und der Landwirtschaft andererseits, der weiss, dass der Bauer vor allen Dingen für seinen eigenen Bedarf arbeitet, der Städter hingegen für den Verkauf. Während der Kaufmann abhängig ist von seinen Kunden, von der Konjunktur des von ihm geführten Artikels, ist. der Bauer hiervon zum grossen Teil unabhängig. So viel, wie er für sich und seine Familie braucht, arbeitet er immer aus dem Boden heraus, was er verkauft, ist weniger für seinen. Lebensunterhalt, als für seinen Luxus erforderlich. Demnach würde der Antisemitismus, der sich gegen den jüdischen Bauer richten sollte, ihm bei weitem nicht so viel Schaden zufügen können, als dies in den anderen Berufen der Fall ist. Im übrigen aber glaube ich,, dass die ganze Befürchtung grundlos ist; denn so weit auch die antisemitischen Machenschaften sich ausdehnen, sie werden es nie erreichen können, etwa den jüdischen Bauer zu boykottieren, wie dies dem jüdischen Kaufmann gegenüber durch den Ruf: „Kauft nicht bei Juden" zu geschehen pflegt, denn Getreide wird stets Abnahme finden. So wird
der jüdische Bauer einerseits dem Antisemitismus fast unangreifbar gegenüber stehen, andererseits für die Judenheit die feste Grundlage bilden, auf der hsic die übrigen Berufe aufbauen werden.
Denn auch die Lage der in den Städten verbliebenen Juden würde durch eine derartige Gestaltung der Verhältnisse wesentlich verbessert werden. Sie würden, von einer grossen Konkurrenz befreit, erleichtert aufatmen können; auch sie würden nicht annähernd so stark unter der antisemitischen Verhetzung zu leiden haben, da sie ja in einer konsumfähigen jüdischen Bauernschaft ein äusserst ergiebiges Absatzgebiet haben würden.
Es zeigt sich erst von diesem Gesichtspunkt aus die ganze Grösse der erstrebten Umwandlung. Alle anderen Hilfsmittel, welche vorgeschlagen werden, wie Ueberführung zum Handwerk oder zur Industrie und Technik u. d. m. kommen im besten Fall denen zu gute, für die sie Anwendung finden. Einzig die Landwirtschaft würde allen jüdischen Kreisen zum Segen gereichen. —
Das Ziel ist verlockend genug, allein wie wird es zu verwirklichen sein? Das eine ist jedenfalls wahr: Nicht durch Geld allein, und wenn es uns in ungezählten Millionen zur Verfügung stände, aber auch nicht mit stürmischem Enthusiasmus lässt sich gewaltsam das Gewünschte erzwingen. Organisch nur kann ein neuer Stand heranwachsen. Tastend zuerst und versuchend können wir nur zögernd das neue Land betreten, viele Fehler werden gemacht werden — kein Zweifel —, aber allmählich werden wir, gestützt auf zahlreiche Erfahrungen, den sicheren Weg finden, der uns unserem Ziele zuführen wird.
Die Absicht, Juden in Deutschland zum Ackerbau überzuführen, ist nicht so ganz neu. Schon vor mehr als 50 Jahren hatte der Rabbi Salomon Eiger den Plan, Juden in Posen anzusiedeln. Er fand grosse Unterstützung hierin sowohl von Seiten der wohlhabenden Juden, wie auch von der Regierung, leider wurde das ganze Projekt, das schon recht weit gediehen war, von Grund aus lahm gelegt durch die Revolution des Jahres 1848. An diesem bisher wenig beachteten Punkte vermögen wir die Zweischneidigkeit dieser berühmten Freiheitsbewegung für uns Juden zu erkennen; was sie uns mit der einen Hand verlieh, entriss sie uns mit der andern, sie gab uns die politische Freiheit, sie nahm uns die wirtschaftliche. Man mag wohl sagen, dass,