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Dr. Theodor Lessingt Ludwig Jakobowski.
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Windung. Aber musste vielleicht die beste Kraft an die schweren Wege vergeben werden? — Es blieb ihm immer die stille Melancholie seiner Dichtung, denn die lichtlose Kindheit giebt auch dem Manne das Gepräge.
So aber werden Dichter ....
Es steht ein Baum in San Salvador, Toluifera Pereira, nach seinem ersten Ausbeuter Herrn Perez (oder Pereira) genannt. Er gab weiten Ländern den Namen: Costa del Balsamo. Man behandelt ihn als
das köstlichste Landesprodukt--Man klopft zuerst
mit Hämmern unablässig die Rinde weich. Sie ist sehr zähe und es dauert oft lange, bis man sie so weit gelockert hat, dass man mit Feuerspänen ringsum sie absengen kann. Nun endlich liegt das Holz da, nackt und bloss. Der Baum müsste sterben. Aber er besitzt eine wunderliche Fähigkeit, „eine natürliche Schutzvorrichtung vermittels organischer Reservekräfte", schreibt ein berühmter Botaniker.
Er sondert nämlich aus dem tieferen Marke ein Harz ab, das strömt überall aus den Wunden und heilt sie. Es ist rotbräunlich und duftet süss, man nennt es Perubalsam. Wenn der Baum endlich seine Wunden mit dem wundervollen Harze überzogen hat und wieder dasteht, unversehrt, nach langen Monaten, dann kratzt man mit Eisenlörfeln, welche möglichst scharf sein müssen, das Holz ringsum wieder bloss.
So gewinnt man den Balsam, und man zwingt dadurch den Baum, von neuem seinen harzigen Schutzpanzer zu erzeugen. Manche Bäume können das nur zwei- oder dreimal, dann sind sie erschöpft und man schlägt sie ab, benutzt sie als Brennholz und pflanzt neue. Andere sind sehr dauerhaft; es giebt sogar hochgeschätzte Bäume, welche jahrzehntelang unaufhörlich ihren Balsam ausbluten, ein ausgezeichneter Handelsartikel, wie Londoner und Hamburger Kaufherren wohl wissen. Auch sehr beliebt bei den Chemikern als Grundlage zu wohlverwendbaren Synthesen und in der Medizin trostreich gebraucht, sowohl gegen Schwindsucht als bei einigen Hautleiden.
Es ist ein sehr angenehmer Baum, und wir Dichter sollten statt des kalten, unfruchtbaren Lorbeers eigentlich diese arme Toluifera als die unsrige anerkennen ...
Der Appetit des kleinen Jakobowski war grösser als die Butterbrote, die der Vater für ihn hatte; und dem späteren Leben fehlte das persönliche häusliche Glück, das allein den Menschen vollenden und den Dichter reifen kann. -
In einem Gedichte an seine Brüder Albert und Heinrich schildert er schlicht seine Kindheit:
Der Vater lief von Haus zu Haus Und lief sich fast die Seele aus, Fünf Jungens satt zu kriegen. Mit einem Fünfzigpfennigbrot Da hat man seine liehe Not . . . Zehn Kilo müsst es wiegen.
Die Mutter immer bleich und krank, Das ging so jähr- und jahrelang; Wir schlichen nur auf Zehen. Nur manchmal um ihr Bett herum Da sassen wir und hörten stumm Die alte Wanduhr gehen. .<
Dann polterte ein Saig herein, Der zog den zweiten hinterdrein Und den schob gleich ein dritter. Die Tischler hatten guten Lohn, Die Totengräber grüssten schon Und gar die Leichenbitter.
Zwei Brüder sind der ganze Rest;
Die andern hält die Erde fest, •
Die wird nichts wiedergeben.
Wir drei, wir schau'n uns oft so an . . .
Wer weiss, wer morgen von uns dran —
Prost Brüder, Ihr sollt leben!
Mit 19 Jahren kam Ludwig Jakobowski auf die Universität, erst in Berlin, dann in Freiburg, dort promovierte er 1893. Er hat auch Fuchsen- und Studentenlieder geschrieben; aber das kann Bierbaum besser; sie kamen nicht recht natürlich heraus.
1893 sass auch ich in Freiburg, unreif, ein ganz illusionärrischer Jüngling, der ein unmögliches Welterlösungswerk „Komödie* schrieb. Wir kannten uns nicht, obwohl wir wahrscheinlich bei denselben Lehrern hörten: Philosophie bei Riehl und Rickert, Nationalökonomie bei Phiiippovich und Adler, Literaturgeschichte und Geschichte bei Kluge und Simson.
Jakobowski schrieb eine Untersuchung über Klinger und Shakespeare; aber er hatte damals schon seine ersten Gedichte drucken lassen, das übliche Erstlingsbuch bei Pierson, selbst bezahlt natürlich, an tausend kleinen Freuden abgedarbt.
Bald folgte ein zweiter Band „Funken" und eine Arbeit über die Anfänge der Poesie, zu der er gediegene ethnologische Studien machte, zumal über das Kisuaheli und die Litteratur der ostafrikanischen Neger.
Seitdem er 1893 die Studien abgeschlossen hatte, arbeitete er in Berlin als freier Schriftsteller, rastlos, als habe er gewusst, wie wenig Zeit ihm gelassen sei.
Er erwarb als Litteraturkritiker sein Brot, wurde Redakteur der „Gesellschaft" und sammelte nun die litterarische Jugend um sich, alles, was in Deutschland hoffnungsreich und gesund ist.
Fast jede Nummer der Zeitschrift brachte einen Essay oder eine Kritik von ihm, nie unvornehm absprechend, doch scharf und klug und stets gerecht und fein.
Daneben unaufhörliche Arbeit für künstlerische Volksbildung, im Vorstande der Berliner Volksbühne und vor allem als erster Herausgeber ganz billiger Sammlungen unserer grössten Litteraturwerke.
Dabei wuchs der Künstler. Es erschien „Werther, der Jude", ein wunderliches Buch, drei Sammlungen Gedichte, zwei kleine und das grössere Drama „Diyab der Narr", zwei Novellenbända und der schöne Roman „Loki", sowie Essays und zwei Anthologien, die eine die romantische Lyrik, die andere neue Volkslieder sammelnd.
Bis zuletzt gärte diese unermüdliche Kraft. Acht Tage vor seinem Tode schickte er mir sein letztes Buch r Glück" und nannte es „das tiefste, das in mir emporgekeimt ist", und danach noch eine diktierte Karte, nur der Name selbst geschrieben und dahinter in Klammern rührend das Wörtchen „krank".
Bis zuletzt wehrte er sich. Sein letztes Gedicht war ergreifender, wunderschöner Dank für ein paar Blumen, an meine Schwägerin gerichtet, und noch auf dem Totenbette fertigte er mit fieberkiarer Schärfe einen Nationalthersites ab, Herrn Adolf Bartels, einen tiefhässlichen Litteraten.....
2.
Wir wollen fragen, ob sein Werk Leben hat und welche Mächte dieses Leben bewegen.
Was sind schliesslich ästhetische Werte? Ballkugeln zumeist, mit denen grosse Kinder spielen. . . .
Moral und Wissenschaft aber gehören nicht in die