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Dr. Theodor Lessing: Ludwig Jakobowski.
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Kunst. Ein Kunstwerk steht'über Moral und Wissenschaft, freilich nicht sein Schöpfer.
Bei ihm haben wir nach dem Gepräge zu fragen, nach fester, einheitlicher Lebenshaltung und Gesinnung. Auch fordern wir Yom Dichter dieser Tage Beherrschung unseres gesamten positiven Wissens.
Die Litteraten reden gerne von „Persönlichkeit". Die einen sagen, er sei eine, die anderen sagen, er sei keine. Was sie damit bezeichnen, wissen die einen nicht und die anderen nicht. Es ist gleichgültig; die Psychologie hat mit solchen Verlegenheitsphrasen gründlich aufgeräumt.
Jakobowski's Werk ist Leben. Er imitiert und experimentiert mir zu viel, aber er schrieb doch niemals
ein unehrliches , erlogenes Wort. Von wem kann man das heute sagen? Dieses Leben hatte ein Problem. Es kehrte wieder in allen
Entäusserun- gen. Ich will es kurz nennen : Ueber- windung der
Hässlichkeit
unterdrückter Seelen.
Man hat den kleinen Jakobowski tief gequält und er trug zu lange seine Doppellast: Judentum und Armut. Aber er trug das schliesslich wie seinen Schmuck, wie eine Lebenskrone, und tausend begabtere Menschen sind durch diese Last erdrückt worden.
Man denke sich einen armen Teufel, hochstrebend, ehrgeizig, körperschwach, schlecht gewachsen, ganz ohne Reichtum und Macht, nur mit einer Seele so voll, so übervoll von feuriger Menschenliebe und dem festen Willen, stark, rein, vornehm und tüchtig zu bleiben. Und überall Schranken, überall Zurückweisung und Schmacb. Sein offenes, weiches, kindliches Herz will sich lebendig erschliessen; aber schon der Knabe wird
auf sich zurückgeworfen: Du bist nicht wie die anderen, du gehörst nicht mit dazu. Das Kind hat noch naive Thränen; aber der Mann würgt sie hinab und wird bitter, wo Liebe war.
Als Kind verlacht
Mit dunklem Sehnen,
So fand die
Nacht Mich oft in Thränen. Nun bin ich
Mann, Und muss wohl
schweigen, Um dann und
wann Die Stirn zu neigen.
So erfährt er schnell die Grenze seiner Kraft und mit den Schranken die seelischen
Tiefen des Pariatumes, all das Krampfhafte, unnötig Verworrene, die Beimischung von leiser Rache, verzweifelter Selbstbesinnung, Hassgefühl, Grüb- lertum, die sich ansammeln in
verzweifelt unterdrückten Seelen.
Nie konnten Hebbel oder Kleist, oder alle, die aus der Tiefe kamen, dies Entstellende ganz verwinden ; es gab der süssesten Frucht Gift bei.
Die stagnierende Milch der Menschenliebe läuft sauer an; der
zu lange Leidende erfährt, dass die Welt einem Elendgeborenen noch Peitschenhiebe obenein giebt, um hinterher seine Wundenmale für Schandmale auszugeben. Der Jude insbesondere ist wund an Märtyrerstriemen, die man ihm einbrannte und die er nun als Sklavennarben deuten hört, und selber deuten muss.....
Aus diesen dunklen Gründen wuchs Jakobowski's erstes Buch „Werther der Jude", rein und unrein, schuldig und schuldlos. Ein armer Mensch, der in Spuren uralter Väterleiden eingeboren, zur Schönheit will und hässlich werden muss.