Schulfrage die wichtigste . Die Zionisten vergangen nicht t
nur die Mische Volksschule , sie wollen das gesamte Er - :
ziehungswesen , d . h . auch Kindergärten , höhere Schulen '
und Hochschulen konfessionalisieren und hebräisieren ; die ,
Weltgeschichte müsse vom jüdischen Standpunkt gelehrt '
werden . Die Orthodoxen erblicken in der Einrichtung von i
jüdischen Schulen die einzige Möglichkeit zur Durchführung 1
der Sabbatruhe . Für Hebräisch sind acht Pflicht - und zwei i
wahlfreie Stunden vorgesehen . Sogar die liberalen jüdi¬
schen Lehrer fordern die jiidische Volksschule , allerdings i
nur so lange , als es auch sonst konfessionelle Volksschulen <
gibt . Als hauptsächlichste Gründe für die Einführung der
jüdischen Schule werden der Antisemitismus der Lehrer 1
und das schlechte Verhältnis zwischen den jiidischen und
christlichen Kindern ins Feld gefiihrt . Professor Türk hält 1
diese Zustände nur für eine Folge der Revolution und daher ,
für vorübergehend ; er ist nicht davon überzeugt , daß mit
der Einführung der jiidischen Schule nun eine Gewähr da -
fiir geschaffen sei , daß unsere Kinder mit echt jüdischem
Geist erfüllt werden , und daß sie , die in der Schule die
Möglichkeit haben würden , den Sabbat zn heiligen , dies
auch im späteren Leben in der von den Orthodoxen ge¬
wünschten Weise tun wiirden . Gemeinsame Erziehung mit
den andersgläubigen Kindern sei schon deshalb erforder¬
lich , weil die Gegensätze durch nichts eher ausgeglichen
werden können , als durch frühzeitiges gegenseitiges Kennen¬
lernen und Berstohenlernen . Wo sich dies nicht ermög -
lichen lasse , da könnten die Kinder dann schon dazrl erzogen
werden , sich gegen antisemitische Anfeindungen zu wehren .
Wer in Deutschland leben wolle , wolle seine Kinder auch
in deutsche Schulen schicken . Die Unterstützung national -
jüdischer Wünsche und die völlige Absonderung der Juden
von der Mitwelt sei Wasser auf die Mühle der Antisemiten ;
die Zahl der Austritte würde erschreckend zunehmen , wenn
die Zionisten und die Orthodoxen die Mehrheit in der Ge¬
meindevertretung erhalten würden . Gegen die Einführung
der jüdischen Volksschule haben sich die liberale Fraktion
der . Repräsentantenversamnttung und die Arbeitsgemein¬
schaft der jüdisch - liberalen Jugendvcreine ausgesprochen .
- Im Anschluß hieran behandelte Frau Martha Henschke
das Thema „ Frauenarbeit und jüdische Gemeinde " . Trotz
aller sonstigen Fortschritte sei die Frau noch nicht zur Ge¬
meindevertretung zugelassen . Die jüdische Frau solle aber
auch , wenn ihr dies durch Aufhebung des Gesetzes von 1847
erst gelungen sei , vor allem dafür sorgen , daß ihr Haus ein
wirklich jüdisches sei ; dazu müsse sie im allgemeinen ihr
jüdisches Wissen erweitern , sie solle sich aber auch weiter
gemeinnützig betätigen und dazu helfen , daß der Jdeälis -
nurs wieder zu seinem Rechte komme . Der Liberale Verein
müsse dazu beitragen , dgß das Gesetz von 1847 möglichst
bald aufgehoben werDe . — An dritter Stelle sprach Dr .
SaMlionski iiber „ Aufbau und Abwehr " . Nachdem die
Jiidische Gemeinde durch die Kriegs - und Nachkriegsjahre
heruntergewirtschaftet sei , miissen die Liberalen für den
Wiederaufbau sorgen ; die anderen seien dazu nicht so ge¬
eignet , da die Jüdischnationaleu politische Ziele verfolgten
und die - Orthodoxen zwischen diesen und den Liberalen hin
und her Wenn uns die augenblickliche Situa¬
tion nicht günstig zu sein scheine , so sei es in großen Dingen
oft schon - etwas wert , das Gute gewollt zu haben . Das
liberale Judentum wolle modernes , religiöses Leben er¬
wecken , eS wolle aber nicht nur Neuerungen einführen und
das abschassen , was seinen inneren Wert verloren habe ,
sondern auch das erhalten , was heute noch wertvoll sei .
Außer auf religiösem Gebiet könne sich der Liberalismus
auch sonst fördernd betätigen . Das jüdische Bildungswesen
müsse durch Vereinheitlichung der Rabbinerseminare ver¬
bessert werden , das Gesetz von 1847 müsse aufgehoben
werden , zahlreiche soziale Aufgaben harren ihrer Lösung .
Berlin . Auswanderer nach Argentinien . Das
Zent r a l b u r e a u f it n j ü d i s ch e A u s w an¬
der u n g s a n g ele g e n h e i t en des H i l f s v e r -
eins der Deutschen Juden schreibt uns : „ Es
kommt in letzter Zeit öfters vor , daß Emigranten mit
dem Reiseziel Argentinien in unserem Bureau
erscheinen , um Beistand in folgender Angelegenheit nach¬
zusuchen . Sie können nämlich die Weiterreise nicht an -
treten , weil sie cs verabsäumt haben , sich die für sie not¬
wendige R e i s e e r l a u b n i s s e i t e ns d e r argen -
MM - ikliMrlilWll einer Allen im .
1 . Fortsetzung . -
Ich war mittlerweile in die Klelnkmderschule gekom¬
men , vie Knaben mtd Mädchen zusammen besuchten , wäh¬
rend meine jüngste Tante , die durchaus ein „ Wunderlind "
aus mir machen wollte , mich nebenher unterrichtete , sodaß
ich . schon mit sechs Jahren Sätze „ Subjekt und Prädikat " ,
machen mußte . Dabet spielte ich leidenschaftlich gern mit
Puppen und tat dies auch noch bis ins sechzehnte Jahr .
Am 1 . März 1855 starb Kaiser Nikolaus 1 . von Rußland ;
dies las ich in der „ Posenev Zeitung " , die mein Vater ,
später die „ Nationalzeitung " , mit dem Nachbar hielt ; bcti
Luxus einer eigenen Zeitung gestattete man sich damals noch
nicht . In dieser Zeit erlitten meine Eltern einen großen
pekuniären Verlust . Mein Vater besuchte zum Wareneinkaus
die Messe in Frankfurt a . d . O . , die Ware , die er dort er -
. . standen , wurde auf dem Wege zu Wasser durch den Eis -
- gang der Oder arg beschädigt ; aus der berühmten Fabrik
. von Nasenach brachte er stets kleine bunte Holzschachteln mit
Zuckerwerk gefüllt und Pfefferkuchen mit . Wenige Monate
später wurde mein Bruder geboren und die Freude der
Eltern und Großeltern war sehr groß . Meine Eltern waren
ungemein bescheiden , fleißig , anspruchslos und aufopfernd
. für ihre Kinder . Mein Vater tpar für die damalige Zeit
. sehr gebildet ; er hatte das Gymnasium bis 1839 besucht
* und blieb für sein ganzes von geistigen Interessen und für
- alle die Welt bewegenden Zeitfragen erfüllt , wie er unent¬
wegt viel und gern las . Meine Mutter hatte die Mädchen¬
schule des jüdischen Lehrers Bernhardt besucht , dort Fran¬
zösisch gelernt - las ebenfalls viel und gem und schrieb na
mentlich sehr schöne Briese ; auch war sie sehr geschickt '
allen weiblichen Handarbeiten und eine ausgezeichnete Haus¬
frau . Sie war der Liebling ihrer Eltern, , wurde topfn ihrem
tinischcn E i n w a n d c r u u g s b e h ö rd e n in
Buenos Aires rechtzeitig von ihren Angehörigen in
Argentinien zu beschaffen . Ohne diese Einreiseerlaubnis
aber erhalten sie nicht das Visum des argentinischen Kon¬
suls . Diese Unterlassung rächt sich oft schwer . Die Emi¬
granten sind gezwungen , sich — was sehr erhebliche Kosten
verursacht — telegraphisch mit ihren Verwandten in Ar -
gentinieit in Verbindung zu setzen , und es vergeht eine ge¬
raume Zeit , bis Nachrichten und Papiere aus Argentinien
eintreffen . In der Zwischenzeit müssen die Emigranten
aber in Berlin bleiben , um auf die Papiere zu warten .
Dieser nicht vorausgesehene Aufenthalt ist , insbesondere
wenn es sich um Familien handelt , mit vielen Kosten und
Unannehmlichkeiten für die Emigranten verknüpft . Wir
sehen uns daher gezwungen , wieder ausdrücklich auf die
zurzeit geltenden Bestimmungen hinzuweisen : Folgende
Personen brauchen eine Spezialerlaubnis der argentini¬
schen Einwanderungsbehörden in Bllenos Aires für die
Einreise : Alleinreiseiche Kinder unter 15 Jahren , allein -
rcisende Personen über 60 Jahre , alleinreisende scksivangere
Frauen , alleinreisende Frauen mit Kindern unter zehn
Jahren und Familien ohne Familienoberhaupt oder Vater .
— Reisende nach Argentinien , die zu den vorgenannten
Personen oder Kategorien gehören , müssen sich also , um sich
große Unannehmlichkeiten zu ersparen , ehe sie sich in
Bewegung setzen , durch ihre Verwandten in Argen¬
tinien die geforderte Einreiseerlaubnis unbedingt zu¬
schicken lassen .
Hamburg . Deutsche Sprache und Sitte bei den
deutschen Juden im Mittelalter . Alls Einladung der Ge¬
sellschaft für Jüdische Volkskunde , Hamburg , hielt Landes¬
rabbiner Dr . R reger - B r a u n s ch w e i g im stark
besetzten . Saal des Mlsenms für Völkerkunde einen Vor¬
trag über den Anteil der delltschen Juden an der Geschichte
der deutschen Sitte uniö Sprache , der eine wertvolle Er¬
gänzung eines von Dr . Rieger im Oktober v . I . hier ge¬
haltenen Vortrages iiber das Heimatrecht der deutschen
Juden bot , in den : er ans die geschichtlich nachgewiesene
Tatsache hingewiesen hatte , daß die Inden bereits seit 1600
Jahren in Deutschland in organisierten Gemeinden gelebt
und sei wem am kulturellen Leben des delltschen Volkes den
ernstesten Anteil genommen haben .
In seinem weiteren Vortrag ging der Redner von dem
Gedanken aus , daß die Muttersprache zu den ausbauenden
Kräften der Nationalität gehört , daß mit der Einordnung in
die Muttersprache auch das Einleben in die Kultur des betreffen¬
den Volkes beginnt , und sagte dann etwa folgendes : Der ge¬
schichtliche Nachweis ist erbracht worden , daß die jüdischen
Deutschen seit einen : vollen Jahrtausend in der deutschen Mutter¬
sprache gedacht und gedichtet und an der Entfaltung der deutschen
Sprache tätigen Anteil genommen haben . Das Hebräische ,
das neben der deutschen Muttersprache von ihnen gepflegt
wurde , trug den Charakter einer Kirchen - und Gelehrtensprache ,
während das Deutsche bei ihnen seit einem Jahrtausend durch¬
aus als Muttersprache bezeichnet werden darf . Schon die Namen¬
gebung der Kinder bei den Juden in Deutschland zeigt , daß
eigentlich so gut wie alle in Deutschland gebräuchlichen Eigen¬
namen bei ihnen üblich waren . Die hebräischen Namen wurden
durch Anpassung dem deutschen Sprachgeist so angeähnelt ,
daß sie nicht mehr als fremd empfunden werden konnten , ein ,
Vorgang , der sich auch bei der christlichen Bevölkerung Nach¬
weisen läßt . Solche biblischen Namen , wie Hanna , Mirjam ,
Elischewa erhielten die Form Anna , Maria , Lisbeth . Besonders
aber zeigt sich die Anteilnahme an der deutschen Sprache in den
zahlreichen Uebertragungen der Gebete und der jüdischen Texte
in die deutsche Landessprache . Deutsche Gebetumdichtnngen
erscheinen sogar in der deutschen Fastnachtsdichtung , z . B . bei
Hans Pfalz Balbirer . Sehr bald aber gewinnen die Juden
eine derartige Gewandtheit in der Behandlung ihrer Mutter¬
sprache , daß sie ganze Werke der althebräischen Literatur in oft
geradezu ausgezeichnete deutsche Umdichtungen übertrugen .
Ein vorzügliches Beispiel solcher dichterischen Leistungen bietet
die in einer Handschrift der Hamburger Stadtbibliothek er¬
haltene Uebertragung der Samuelbücher in deutschen Nibe¬
lungenstrophen , deren Verfasser Lima ( Lowe ) von Regensburg ,
zu den besten deutschen Dichtern des 14 . Jahrhunderts gezählt
werden darf . Fast alle Bibelbücher erscheinen bald im gleichen
poetischen Gewände in deutscher Sprache , entweder in der be¬
liebten Nibelungenstrophe oder in Ottava rima ( Achtgesetz ) .
Aber auch selbständige Werke in deutscher Sprache erscheinen
sehr früh . Unter ihnen ist eine Reihe von Moralschriften , das
Buch von der Zucht des Simeon den Jehuda und das Gärtlein
des Jsaac von Worms besonders zu rühmen . Unter den selb¬
ständigen jüdischen Dichtern verdient allerdings den ersten
Platz der Minnesänger Süßkind von Trimberg , dessen Lieder
zu den besten Erzeugnissen aus dem Anfang des 13 . Jahr¬
hunderts gezählt werden müssen , aber neben ihm steht eine nicht
unbedeutende Anzahl von Verfassern von Volks - und Gesell¬
schaftsliedern . Von drei derartigen Sammlungen erzählte
der Redner eine größere Reihe von Einzelheiten , aus denen
Manne angebetet , ihre Geschwister und alle Verwandten ver¬
ehrten sie , ja , die ganze Stadt , alle Frauen ohne Unterschuß
von Stand und Bekenntnis priesen sie als musterhafte , vor¬
bildliche Gattin , Mutter , Tochter , Schwester und Hausfrau ,
denn sie war gleichermaßen tüchtig im Geschäft wie in der
Wirtschaft und hat sich namentlich ihren Eltern in ver¬
schiedenen schweren Krankheitsfällen außerordentlich bewäbrt .
In ihren Mußestunden fertigte sie für ihre Kinder feine
Sliaereien zum Schmucke von Kleidern und Wäsche und
diese lvurden in der Schule stets als Muster von Sauberkeit
t ) ngestcllt . Meine Eltern lebten nur für ihre Kinder und
lein Opfer schien ihnen für diese zu groß .
Einen breiten Raum in meinen Erinnerungen nehmen
die Freitagabende , die Sonnabende und Feiertage ein . Da
tvar das Geschäft geschloffen und die weihevollste Feststim -
» nung herrschte im Hause . Im Sommer wurde Nachmittags
ein Spaziergang nach Löwy ' s Garten oder auch nach Wolss -
ruhm gemacht ; da gab es „ Bierkalteschale " mit Korinthen
darin , die gar herrlich schmeckte ; Wochentags ging es zu¬
weilen in die „ Kirschallee " oder nach Anionshof Milch trin¬
ken . Herrlich war der Seder - Abend ! Da sagte einmal mein '
Vater , als er in dem weißen Gewand mit den wunder¬
baren Hohlsäumen und breiten Spitzen an den Aermeln ver¬
ziert , dem weiß - seidenen Käppchen , mit der breiten silbernen
Tresse an die weißen Kiffen gelehnt saß , mit einem ver¬
klärten Liebesblick aus die Mutter : „ Kinder , heute ist d
Mama eine Königin ! " Und so erschien es uns in der Tcn
— Noch bei weitem schöner war , wenn möglich , der große
Neujahrsempfang bei den Großeltern - » in der „ blauen Stube " .
Nach dem Abendgottesdienst , der das Neuiahrssest etnge -
läutet halte , ' versammelte sich die ganze Familie bis in di
entferntesten Glieder dort , und die Großeltern , der Gro߬
vater , eine imposante , ehrsurchtgebieiende Erscheinung , im
langen , feinen schwarzen Tuchrock mit dem schwarzen Sam¬
metkäppchen ans dem ehrwürdigen Haupt , die Großmutter ,
deren Bedeutung für die deutsche Literatur hervorging . Eine
nicht unbedeutende Anzahl der deutschen Heldensagen , Liebes -
erzählungen und « Schwänke hat ebenfalls schon recht frühzeitig
eine selbständige Bearbeitung seitens der Juden erfahren , sodaß
die Geschichte ihres Anteils am deutschen Schrifttum als nicht
unwesentlich bezeichnet werden kann . Bei den Sitten der
deutschen Juden läßt sich eine eigenartige Gegenseitigkeit in¬
sofern feststellen , als deutsche Sitten in jüdischen Kreisen eine
Neugestaltung erfuhren und jüdische Sitten unter den Christen
Ausnahme fanden . Der Redner verweist besonders auf die
bemerkenswerte Tatsache , daß die deutschen Juden in allen
ihren geselligen Betätigungen , vor allem aber in ihrer Freude
am Waffenhandwerk von ihrer christlichen Umgebung sich nicht
unterschieden haben . Streitbare Juden werden während des
ganzen Mittelalters in allen Teilen Deutschlands genannt .
Selbstverständlich beteiligten sich die Juden auch an allen Hand¬
werken , bis ihnen das Zunftwesen eine weitere Betätigung
auf diesen Gebieten unmöglich machte . Seit dem 11 . Jahr¬
hundert sind die Juden am Geldhandel beteiligt , nachdem sie
vorher den Großhandel und vor allem die Aus - und Einfuhr
aus und nach dem Orient gepflegt hatten Trotz aller Gehässig¬
keiten , von denen uns das Mittelalter berichtet , lassen sich doch
zahlreiche Züge Nachweisen , aus denen hervorgeht , daß weite
Kreise der christlichen Bevölkerung sich von jeglichem Juden¬
hasse ferngehalten haben . Der Redner erwähnte vor allem
Reuchlins Augenspiegel und Luthers klassische Schrift von 1523 ,
daß Jesus Christus ein geborener Jude gewesen sei .
Mit einem Hinweis darauf , daß die deutsche National¬
literatur gerade dem Eintreten Moses Mendelssohns für
ein deutsches Schrifttum uneMich viel zu verdanken habe ,
schloß der Redner seine von einem dankbaren Publikum
von Anfang bis zu Ende mit gespannter Aufmerksamkeit
verfolgten Darlegungen .
Spandau . Amtliche Judenhetze . Hier erscheint
das „ Spandauer Tageblatt " , an dessen Kopf gedruckt
steht : „ Amtliches Organ für ortspolizeiliche Verordnungen
und Bekanntmachungen mit verbindlicher Kraft für das
Publikum und sämtliche Behörden " . Dies Blatt bringt in
seiner Nr . 118 einen Leitartikel „ Börsenfchlachten und
Heldenmut " , der mit dem Satze schließt : Wir fordern ein
rücksichtsloses Judengesetz " . Diese Forderung wird be¬
gründet mit allerlei Phantasien , wie sie wirklich nur einem
kranken antisemitischen Gehirn entspringen können . U . a .
wird behauptet , der englische Minister Churchill habe bei
Skagerrak „ die Niederlage der deutschen Flotte durch ge¬
schickte Manöver vermeiden lassen " , weil er von Sir Ernest
Cassel im Interesse von Börsenspekulationen bestochen ge¬
priesen sei ! Ein Blatt , das so etwas schreibt , würde sicherlich
selbst bei den Insassen von Dalldorf nur teilweise auf
Glauben stoßen . Aber der Spandauer Polizei erscheint es
als Publikationsorgan passend .
Hohenlimburg . Jüdische Schule . Die jüdische Ge¬
meinde hat mit Rücksicht auf ihre bedeutenden Zuschüsse
zu den Schullasten ihrer Privatschule den Antrag gestellt ,
die Stadt möge einen Zuschuß geben . Der Antrag wurde
abgelehnt , aber der jüdischen Gemeinde anheimgegeben ,
einen Antrag zu stellen , ihren Lchrer in den Schuldienst der
Stadt übernehmen zu lassen und die Kinder in > die all¬
gemeinen Volksschulen einzugliedern .
Stuttgart . Israelitische Landeskirchenversammlung
Württembergs .
Die verfassunggebende israelitische Landes -
k i r ch e n v e r s a : n m l u n g trat zur Beratung der neuen
Kirchenverfassung zusammen . Präsident B a e l z ,
der im Namen der Oberkirchenbehörde die Versammlung er -
öffnete , betonte , daß die Beschlüsse in wichtigen Fragen , näm¬
lich der des Besteuerungsrechtes und des Austrittes aus der
Religionsgemeinschaft , nur vorläufige sein konnten , da sie durch
das im Winter zu erwartende Gesetz über die Kirchen voraus¬
sichtlich zum größten Teil entbehrlich würden . Der vorgelegte
Verfassungsentwurf lehne sich weitgehend an das Jsraeliten -
gesetz von 1921 an , das sich sehr gut bewährt habe . Die hierin
verbliebenen Rechte des Staatskirchentums müßten nach der
Reichsverfassung zum größten Teile wegfallen . Württemberg
sei das einzige deutsche Land , das eine israelitische Landes¬
kirchenorganisation besitze ; diese solle aufrecht erhalten und zeit¬
gemäß fortgebildet werden . Alterspräsident H e u m a n n
( Laupheim ) bemerkte , es sei das erstemal , daß ein Landtag der
Israeliten zusammentrete , um der jüdischen Religionsgemein¬
schaft eine Verfassung zu geben . Bei den Wahlen wurde zum
ersten Vorsitzenden Fabrikant Julius Rothschild , zum
zweiten Rechtsanwalt Dr . H a y u m - Tübingen gewählt .
Regierungsrat Dr . Nordlinger hob die wichtigsten
Aenderungen des Entwurfs : Wahl des Vorsitzenden des Kirchen¬
vorsteheramtes , Neuregelung der Bestellung der geistlichen
Beamten , Leitung der Angelegenheiten der Religionsgemein¬
schaft durch die Oberkirchenbehörde und die Landeskirchen¬
versammlung hervor . An der Gesamtorganisation der württem -
bergischen Israeliten soll festgehalten werden . Ob die Organi¬
sation des Allgemeinen Israelitischen Gemeindebundes sich
eine zarte , sanfte Frau , im seidenen Kleide , mit der Blon¬
denhaube , die breite lila Bandschleisen zierten , hielten
Cercle . Erem Jom Kippur zwischen Mincha und dem
A bend gölte Menst , ehe man zu „ Kol nidre " in die Synagoge
: wallfahrte , ging wieder die ganze große Familie zu den
Großeltern „ wünschen " . Im Winter 1855/56 verlobte sich
wieder eine meiner Tanten ; sie blieb am Erle und kam
in eine Familie , die an Einbildung aus ihr „ Jichus " noch
die unsere bei weitem überlras . Ich wollte mich schier lot¬
lachen , als die Großeltern und die Schwiegereltern der
Tante sich „ Machutten " und „ Machteneste " titulierten . Mehr
als fünfzig Jahre später hat der verewigte Vater unserer
teuren Schwiegertochter meinen Mann und mich gleicher -
t maßen unter Scherz und Lachen angeredet !
In demselben Winter lernte ich auch schon Französisch
bei meiner Tante . Der „ Pluriel " der Deklination „ le rot "
: wollte durchaus nicht in meinen Kopf und da ein Ktnder -
i ball staltftnden sollte — die Schneiderin war schon bestellt ,
= die mir eist rgsa Bar ^ geckleid mit Krausen und
: rosa Atlasbändern machen sollte — drohte die
> Tante „ Du darfst nicht zum Kinderball gehen , wenn Du
: den „ Pluriel " nicht kannst . " Vergebens bat der Großvater ,
. sie solle das „ Kind " nicht so sehr mit dem Lernen quälen ,
i sie beharrte bei ihrer Drohung und diese half auch endlich ,
der „ Pluriel " flog in meinen Kops und der Kinderball war
wunderschön ! Die „ Großen " gingen öfters zum Ball oder
Kränzchen in die „ Ressource " , dort wurde auch zuweilen
- Theater gespielt , auch meine jüngste Tante wirkte in die
, „ Hochzeitsreise " von Bendix mit und dort empfing ich auch
- meinen ersten Theatereindruck . Im August 1856 fand die
Hochzett meiner Tante statt , bet ä » er ich ein Gedicht als
. TirHlerin vortrug und im Herbst kam ich in die höhere Töchter¬
schule von Fräulein Killer . ( Fortsetzung folgt . )