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Organ -er Bereinigung für das liberale Judentum e. V.

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Rr.l9

Berlin, 7. Mai 1926

6. Jahrgang

Warum Wahlen?

Aermttche Parolen.

Warum Wahlen zur Reprasentantenversammlnng? Gerade jetzt, da die Wogen der Erregung im politischen Kampf besonders hoch gehen, da uns die Not des Tages kaum für einen Augenblick freiläßt. Jedes Mitglied der Berliner jüdischen Gemeinde wird sich diese Fragen vorgelegt haben, als es las. daß am 16. Mai die Gemeindevertretung neu gewählt werden soll.

Auch die verantwortlichen Stellen der liberalen Partei haben sich diese Fragen mit allem Ernst vor­gelegt. Und sic haben alles getan, nm diese Wahlen vermeidbar zu machen. Tagelang haben sie mit den anderen Parteien am BerkmndlungStisch gesessen, haben sich die maßlosen Forderlurgen der anderen an- gehürt, die nicht mehr und nicht weniger wollten, als das Berliner Ergebnis der Wahlen znm Preußischen Landesverband jüdischer Gemeinden und den dabei ; zum Ausdruck gekommenen Willen der Wähler zu fälschen, und die verlangten, daß die Liberalen sich mit der Minorität begnügten. Damit konnten wir uns nicht einverstanden erklären. Es hätte einen schweren Verstoß gegen den von uns stets hochgehaltenen demo- krattfchen Gedmiken und eine Vergewaltigung der nn- aeHynren liberalen Mehrheit der Berliner jüdischen Wähler bedeutet. Trotzdem sind wir bis zum Aeußer- . sten gegangen. Noch als der Wahlkampf längst von den Zionisten mit maßlosen Angriffen gegen die ver­dienten liberalen Führer im Gemeinde Vorstan d und Repräsentanz eröffnet war. haben mir uns noch einmal an alle jüdischen Parteien mit der Aufforderung ge- rvandt,der jüdischen Allgemeinheit im jetzigen Augen­blick einen Wahlkampf zn ersparen". Wir haben ihnen sogar einen Vorschlag unterbreitet, der ihre Forde­rungen zur Grundlage hatte Wir stellen vor der Berliner jüdischen Oesfentlichkert fest, daß wir nicht einmal einer schriftlichen Antwort gewürdgt worden sind. In freventlicher Verblendung haben die Jüdische Volkspartei (Zionisten) und die von ihnen gegängelten Konservativen und jene Mittelpartei, die in phrasenhaften Flugblättern für Frieden und Ein­heit in der Gemeinde einzutreten vorgibt, ihre Hand dazu hergegeben, daß in diesem Augenblick größter jüdischer Not Unsummen für eine Wahl vergeudet werden, die uns au allen Ecken und Enden in der jüdischen Wohlfahrtspflege fehlen werden. Und warum? Weil es ihnen" gar nicht so sehr nm das Wohl der Berliner jüdischen Wählerschaft geht, als vielmehr darum, ihren persönlichen Ehrgeiz zu be­friedigen. Sie betonen immer wieder i h r jüdisches Gefühl und geben vor. den jüdischen Gedanken in Erb­pacht genommen zu haben, und gleichen damit doch nur jenen Dentschnationaleu, die auch immer die Liebe znm deutschen Vaterlande für sich allein in Anspruch nehmen.

So ist es zu diesen Repräseutanienwahleu gekom­men. Tie jüdische Wählerschaft wird am 16. Mai wie ein Mann an die Urne eilen und diesen Jüdisch- Nationalen und den mit ihnen durch eine Liften Ver­bindung vereinten Konservativen und den Mittel­parteilern, die den Gemeindefrieden stören, die ge­bührende Antwort erteilen. Und sie wird eine Absage sein au jene, die an die Stelle jüdischer Arbeit das Schlagwort fetzen, und die Bejahung der jüdisch liberalen Politik, die die Berliner jüdische Gemeinde zu einer Gemeinschaft vorbildlicher sozialer Arbeit and religiösen Fortschritts gemacht hat.

Noch etwas anderes aber wird die jüdische Wähler­schaft am 16. Mar dadurch zum Ausdruck bringen, daß sie geschlossen für die jüdisch-liberale Liste stimmt, die mit dem Namen Instizrat Sonueufelds. des Vor kämpff^s gegen den Judenhaß beginnt. Sie wird sich damit -wwenden von der gehässigen Art. mit der jene den Wahlkampf führen, mit der sie Euch als un jüdisch beschimpfen, und mit der sie sechs Fahre lang. Sitzung für Sitzung in der Berliner Repräsentantenversamm­lung. zum Fenster hinausgeredet haben Und so war das: Wenn einer jener liberalen Männer aufstand, die Euer Vertrauen in die Repräsentantenversammlung geschickt hat und die in fahre- und jahrzehntelanger auf­opferungsvoller Arbeit die Gemeinde nach dem Willen der jüdischen Wählerschaft verwaltet haben, dann wurde er beschimpft. Und wenn einer jener großen jüdisch- liberalen Führer genannt wurde, die die Wissenschaft des Fndentums geschaffen und das jüdische Leben in.

Deutschland aufgebaut haben, daun wurde sein jüdisches Gefühl bestritten. Und wenn von den jüdisch-liberalen Männern die Rede war, deren Namen auch in der deutschen Politik und in der Wissenschaft einen guten Klang haben und die alle Zeit zur Vermehrung der Ehre des jüdischen Namens gewirkt haben. Sann wurde er lächerlich gemacht. Denkt daran, Wähler, daß ei'.t vor wenigen Wochen der Listenführer der indischen Volkspartei, Dr. Klee, in einer Sitzung der Repräsen­tanten aps ge stau den ist und den Schöpfer der deutschen Rcichsversassnng, den liberalen Juden Pros.HugoPreuß. mit dem Artisten Breitbart verglichen bat. daß er ihn nicht für würdig befunden hat. in der Ehrcnreiye des jüdischen Friedhofs beigesctzt zn werden. Isis jüdische Art. über große jüdische Tote zn spotten? Und wir

keine positive Leistung aufzmvcisen haben, die sich auch nur entfernt messen könnte mit den Großtaten Liberalismus in der Berliner jüdischen Gemelnoe: dem Ausbau eines würdigen und weihevollen Gottes­dienstes. der Einführung der deutschen Predigt, dem Ban von Waisenhänfern und Heimen für Eure alten Tage Weil sie der liberalen Wohlfahrtspolittk, von der so oft an dieser Stelle die Rede war. nur jenes klägliche Versagen entgegenzustetten haben, das den armen jüdischen Erwerbslosen in ihren Versammlun­gen nur Worte der Trauer, der Beschämung und -rxr Empörung abringt. Weil sie. statt die jüdische Reli­gion Mt fördern, immer nur versuchen, die jndtzche Gottesgemeinde ;\u einer nichtssagenden politischen

haben es ihnen auch nicht vergessen, daß ihre Läster­zunge nicht haltgemacht hat vor demGuten Ort", jenem Flecken Erde, wo Eure Väter und Mütter zur letzten Ruhe bestattet sind, jene Männer und Frauen, mit deren Leben der Aufbau der Berliner jüdischen Gemeinde uuzertreünlich verknüpft ist. Und Ihr werdet ihnen am 16 Mai sagen, ob Ihr wünscht, daß Orgel und Elior und deutsche Predigt ans unseren libe­ralen Bethäusern verschwinden. Ob Ihr gewillt seid, weiterhin von zionistischen und konservativen Reprä­sentanten Eure Orgelsynagogen. wo Eure Väter gebetet haben, wo Ihr an Sabbaten und Festen Stunden wahrer Erhebung findet, und wo Eure Ä'nrder vor dem einig-einzigen Gotte der Väter in jüdischer Weise ihr Herz ausschütten sotten, als u »jüdische Statten schmähen zu lassen.

Und s o führen sie den Wahlkampf. Unter Billigung ihrer konservativen Freunde und der religiösen Mittelpartei, die kein Wort der Mißbilligung für diese unjüdische Art finden, behaupten sie. sie hätten den Liberalen das demokratische Wahlrecht in schweren Kämpfen abgerungen und den Frauen das Stimmrecht gegeben. Und dabei ist das genaue Gegenteil richtig. Das demokratische Wahlrecht und die Mitarbeit der jüdischen Frau in der jüdischen Gemeinde sind eine alle Forderung der Liberalen, die diese gegen das ver­altete Iudengesetz von 1817 einer zögernden Staats- regierimg abgerungen haben. Und wenn es so lauge ! gedauert hat.' bis unsere jüdischen Schwestern, die dem ! Judentum stets so hingebungsvoll gedient haben, zur i Wahlurne treten dürfen, um ihren Willen zum reih i -stufen Fortschritt zu bekunden. so ist niemand anders ! daran schuld, als jene mit den Zionisten verbündeten ! Konservativen, die die Stellung der jüdischen Frau i weiterhin nach vergilbten talmndischeu Satzungen be­urteilt sehen wollen, und der zionistische Ministerialrat / Tr. Badt. der^ das jüdische Franenwahlrecht bis zur > endgültigen Schaffung eines evangelischen und katho i lischeu Staatskircheurechts verschoben haben wollte. In - allen ihren Wahlversammlungen kehren diese ihre ttn j Wahrheiten wieder. Und darum soll bei dieser Gelegen- ! heit gleich noch einer anderen Wahllüge der Kops ab- j geschlagen werden. Sie behaupten, die liberalen Re i Präsentanten hätten sich schützend vor den Prediger Tr. Rosenthal gestellt, der die Ostjuden beschimpft j haben soll. Und was ist die Wahrheit? Alle liberalen ; Repräsentanten, die Gulmanu. Türk. SonnenselL und ! ihre Freunde haben erklärt: Wenn Roseuthal einen i jüdischen Bruder beschimpft hat, gleichviel ob einen , oft jüdischen oder einen deutschen. dann weise» wir das ; Zurück: Und in einer echt-jüdischen Rede hat der ; Spitzenkandidat der Liberalen. Instizrat Sontteufelo. : zn dcu zionistischen und konservativen Repräsentanten : die bedeutungsvollen Worte gesprochen:Maßgebende ! Zengen haben bekundet, daß Rosenthal niemand be- I schimpft hat. Anssage steht geeu Anssage. Ta gebietet 1 ku* unser jüdisches Gerechtigkeitsgefühl, in einer jüdisch-religiösen Vertretung nicht aus wahlagitatori­schen Gründen ein Schuldig zn spreclxm. wo nur ein Fragezeichen bleibt. Denn sonst können wir nicht reinen Gewissens gegen die Antisemiten kämpfen und von unseren Richtern Gerechtigkeit verlangen!" So handeln die Liberalen nach dem Worte des Propheten: Der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit sollst Du uach- jageu. auf daß Tn lebest."

Zhr jüdischen Wähler werdet Euch gefragt haben, warum unsere Gegner den Wahlkampf in dieser Weise führen und immer nur das Trennende und Negative betonen. Ihr werdet Euch selbst die Antwort geben können. Weil sie in all den Fahren, seit sie von einer Minderheit der Berliner Wählerschaft gewählt wurden,

Jüdische Wähler! Ihr werdet ebensowenig das wollen, wie Ihr wünschen könnt, daß die Vertreter der religiösen Mittelpartei in die Repräsentanz ern- ziehcn. von denen Ihr bei der Wahl znm Landesver­band nur Phrasen gehört lmbt. die nicht mit offenem Bisir kämpfen, und von denen Ihr nicht nsißt, welche Ziele sie in der neuen RepräsentautenVersammlung verfolgen rverden. Und darum werdet Ihr den Män­nern und Frauen Eure Stimme geben, die bisher Eure Interessen vertreten lmben, den Männern und Frauen des jüdischen Herzens und der jüdischen Tat,, den Kämpfern für religiösen Fortschritt und für eine auf- bauende Gemein bearbeit. Bringt alle Eure Freunde am 16 Mai zur Wahl.

Ans zur Wahl! Wählt liberal! «. 2.

Umschau.

Die Wahlen zur Repräsentantenversailunlullg der Btt- liitcr Jüdischen Gemeinde nehmen, wie billia. das Interesse der Parteien in ihren Verösfenllichuugen hauptsächlich in Ansprnck. Natürlich ist das allgemeine Feldgeschrei:Zer­trümmerung der liberalen Mehrheit der Repräsentanteu- versammlnng!" Dazu ist zunächst zu bemerken, daß scham­haft verschwiegen wird, daß bisher eine liberale Mehrheit in der Nepräsentantenvcrsammlnng überhaupt uicht be­standen hat, eine solche daher nicht zertrümmert werden kann. Es hat zehn liberale und zehn uicht tiberale Repräscutanteu gegeben und zwischen ihnen hat der Vertreter der Hand­werker als sraktiouslvses Mitglied gestanden. Dieser 21. Re­präsentant,das Zünglein an der Wage," gehörte keiner Fraktion, auch nicht der liberalen, an. Er hat nie einer Frraktivnssitziing der Li beraten beigewohm und in manchen wichtigen Fällen gegen die Liberalen gestimmt. Wir erinnern uns z. B., daß er in der Frage des gesonderten Friedhoss- ieldes und auch in der Schnlirnge einen Standpunkt eiu- nahm, der von dem der Fraktion grundsätzlich verschieben ivar. Man kann also, auch rvenn sich der Betreffende für die Neitwahl derl Liberalen angeschlvssen hat, für die Vergangen­heit keineswegs nun einer liberalen Mehrheit in der Re- präsentatttenversamittlring sprecheti. Im iidrigen weiß auch jeder Kenner der Lache, daß eine zisternmäßige Mehrheit von eine r Stimme schon deshalb sehr oft sich in eine Minder­heit verkehrt, weil die Liberalen zuletzt nur einen Stellver­treter hatten und im Behindernngssalle tnehrerer Reprä- seiitattreri tatsächlich oon ihrer vollen Mandatszahl nicht Ge­brauch machen konnten, zumal der Vorsitzende der Reprüseu- tantenversammlnng von seiner satznngsntäßigcn Ansschlagß- stimme itl den letzten Jahren überhaupt nicht Gebrauch ge­macht hat. Es ist aber heute überhaupt einnral an der Zeit, rnit dem Geschwätz ausznränmen, daß urrter der liberalen Herrschaft der Vergangenheit die Gemeindeversumpft sei", daß ihr Lebe» einunfruchtbares" sei, daß kein jüdischer byeist in ihr gelegen habe, nsw. Demgegenüber ist zunächst daraus hrnzniveisen, daß es schon eine Tat ist, eine Ge­meinde in dem vollen llmsange und Ausmaß ihrer gottes- dienstlicheir ititö sozialen Einrichtungen durch die letzten zehn Jahre, durch Kriegs- und Nachkriegszeit, Inflation und De­flation, durchzithalten. Das ist gelungen, und »venu wirklich die Liberalen die Mehrheit batten, so haben sie ein großes Wert geleistet. Im übrigen braucht man ja nur statt aller Redensarten darauf hinziuveifen, daß die Liberalen eS waren, die die gewaltigen lind großartigen WvhlfahrtSeitt- richtungen der Jüdischen Gemeinde zn Berlin ans dein Boden gestampft habett. Und man braucht nur sestznstellen, daß das ungeheuer schwierige Schnlwerk durch liberale Fachlente in einer, wie allseitig anerkannt wird, ansgezeich­neten Weise verbessert wurde, wenn freilich das liegt in der Natur der Sache auch hier noch nicht alle Wünsche restlos erfüllt sind. Dabei kann ganz unberücksichtigt bleiben, daß ja schließlich auch tu den großen andern Organisationen des deutschen Indelltums all der Spitze die führenden Geister Liberale sind und gewesen sind, daß das Werk eines Fuchs, eines Horwitz. eines Salvmvn Kalischer, eines Timen« dvrfer, eines Baeck, die Lebensarbeit großer liberaler Füh­rer darstellt, von dessen Ergebnis auch'alle anderögsrichieten Inden Stutzen, Förderung unb Erhebnng gefunden haben.