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Nr. 21
Berlin. 27. Mai 1927
7. Jahrgang
Das ««gekannte Judentum
«Jüdische Frömmigkeit".
Bon Gemernderabbiner Gustav Cohn, Leipzig.
Es hat ohne Zweifel sein Gutes, wenn -er um feine Religion ringende Jude nicht nur die Gänge anderer religiöser Lehrgebäude forschend betrachtet, sondern auch von Vertretern anderer Bekenntnisse sich sagen läßt, wie sich ihnen jüdisches Glaubensgut darstellt. Bisweilen erkennt der Außenstehende Vorzüge und Mängel einer Sache mit einem einzigen kurzen Hinschauen, während der, dem sie dauernd vor Augen stand, nicht zu einem klaren Urteil gelangen kann. Wir haben alle Veranlassung, dankbar anzuerkennen, daß die protestantische Theologie durch ihre Darstellungen der jüdischen Religion zur Läuterung jüdisch-religiöser Erkenntnis manche wertvolle Anregung gegeben hat. Beispielsweise: Es ist gewiß nie verkannt worden, welche hohe Bedeutung der Religion der Propheten in unserer religiösen Anschauung zugesprochen werden muß,- aber fraglos hat ihre Würdigung in neuerer Zeit eine wesentliche Steigerung erfahren, weil wir sie, im Anschluß an christlich-theologische Forschung, mit stärkerer Vertiefung betrachten lernten.
Aber es hat auch sein Bedenkliches, Aeutzerungen von nichtjüdischen Gelehrten zu Dingen jüdischen Denkens und Fühlens ohne ernstliche Prüfung für die Klärung unserer Stellung zu unserem Judentum heranzuziehen. So manche dieser Darstellungen hat denn doch gezeigt, daß es für einen Nichtjuden nicht so ganz leicht zu sein scheint, sich in unsere Anschauungen ein- Lufühleu. Der Hemmungen, die da im Wege stehen, gibt es mancherlei: Die einen übersehen, daß man über unsere Religion nicht sprechen kann, wenn ausschließlich das „Alte Testament" zugrunde gelegt werden soll, daß vielmehr auch das rabbinische Schrifttum als Quelle herangezogen werden muß. Andere bedenken nicht, daß auch das Judentum den Gesetzen der Zeit unterworfen ist, und deshalb zu seinem Verständnis die gesamte spätere jüdisch-religiöse und religions- philisophische Literatur, auch des Mittelalters und neuerer Zeit, beachtet werden muß. Wieder andere lassen sich, oft unbewußt, biswellen aber auch ganz bewußt, von grundsätzlicher Gegnerschaft gegen alles Jüdische wegwerfende Urteile diktieren. Uno nur selten ist eine dieser nichtjüöischen Darstellungen ganz frei von einer Voreingenommenheit, die das Judentum nur so sehen läßt, wie man es sehen möchte: als die mindere Religion, die, und nicht nur äußerlich, von der Tochter besiegt worden ist. Deshalb kann nicht eindringlich genug davor gewarnt werden, Klarheit über das Judentum, auch nur vorzugsweise, in jenen Schriften zu suchen, in denen mchtjüdische Gelehrte, und seien sie auch Träger noch so berühmter Namen, über jüdische Dinge sprechen.
Doch noch anderes als die Befürchtung, daß Mische Leser durch solche Literatur verwirrt werden könnten, verpflichtet uns, sie in der Oeffentlichkeit zu besprechen: sie ist ja von ihren Verfassern am allerwenigsten für jüdische Leser gedacht. Und gerade darin liegt eine nicht geringere Gefahr. Tausende von christlichen Lesern schöpfen aus solchen Schriften ihre einzige Kenntnis vom Judentum, da sie keine Gelegenheit suchen oder gar sie meiden, es in persönlichem Verkehre kennenzulernen da, wo sie es lebendig sehen könnten. So gewinnen sie eine Anschauung vom Judentum, die weit entfernt ist von wahrem Judentum, tragen diese schiefen Urteile in inriner weitere Kreise und schaffen damit eine Einstellnna zu unserer Lehre, die ihr nie gerecht werden kann. Darum dürfen wir nicht müde werden, immer wieder die Forderung zu erheben, daß gerade jene christlichen Forscher, die einen anerkannten Namen in die Wagschale zu werfen haben, die heilige Pflicht wissenschaftlicher Gerechtigkeit besonders streng erfüllen, daß sie sich, in dem Bewußtsein ihrer hohen Verantwortung, besonders vor der Gefahr hüten, Jrrtümern anheimzufallen.
Ein Beispiel, wie ein Forscher von Namen, dessen ehrliches Streben, in das Wesen der jüdischen Seele «einzudringen, nicht angezweifelt werden kann, den rechten Weg nicht gefunden hat, bietet die jüngst erschienene Abhandlung des Leipziger Pfarrers uns Dhe- ologieprofesfors Dr. A. Jeremias über „Jüdische Frömmigkeit" (Religionswissenschaftliche Darstellungen für die Gegenwart von D. Dr. Alfred Jeremias, Professor der Theologie in Leipzig, Leipzig 1027, I. E. Hmrichs'schen Buchhandlung),
Würde man die Schrift nur äußerlich beurteilen, so könnte man fast geneigt sein, den Verfasser im Lager der Antisemiten zu suchen. Die völkischen Schlagwörter, von der „zersetzenden Kritik" des Juden, „die seinem Wesen entspricht, vom „jüdischen Weltherrschaftsge- danken" u. ä. spuken mehrmals herum. „Der Internationale Finanzgeist symbolisiert den jüdischen Welt- ÜerrschajtAgeöanken, und er hat im jü-islch-orientali- schen Sinne religiösen, ,messtanischet Inhalt." Er beruft sich auf Spenglers Urteil von der germanischen Abneigung gegen die zersetzende Intelligenz und gegen den Geschäftsgeist der Juden". Und dieser Eindruck könnte noch durch den Bericht gestützt werden, den Jeremias in den „Leipziger Neuesten Nachrichten" über die „Weltkonferenz über die Stellungnahme der evangelischen Christen zur Judenfrage" veröffentlicht hat. Scheint er sich danach doch die längst ad absurdum geführte Anschauung zu eigen gemacht zu haben, als ob die „bolschewistische Welle", die unmittelbar nach dem Kriege über die Länder kam, von Juden angetrieben worden wäre, als ob sie die „schwarze Hand" seien, die „in unseliger Verblendung den Weltbrand schürten".
Aber wenn man tiefer schaut, so findet man ein so aufrichtiges Sichversenken — und Verstehenwollen, daß an eine Feindseligkeit nicht gedacht werden darf. Als Familienerbe ist ihm „&ie Neigung des Herrnhuter zum biblischen Realismus" überkommen, „ein tiefes Mitgefühl mit dem Volke des Alten Testamentes", „innere Anteilnahme an Geschick und Wesen des Judentums". Und dann: wer so ehrlich von dem religiösen Leben der Juden in der Synagoge und im Hause ergriffen sein kann, wer wiederholt in so begeisterten Worten den Eindruck wiedergibt, den die wöchentliche „Freuden- seier der Sabbathbegrüßung" auf ihn gemacht hat, der kann nicht in der Gemeinschaft derer stehen, die in ihrem Herzen Haß gegen die Juden tragen.
Und dennoch ist die Zeichnung, die Jeremias von der jüdischen Frömmigkeit gibt, nicht gelungen.
Schuld daran trägt ein fundamentaler Irrtum, der ihn die jüdische Seele — er nennt es „Volksseele" — im Osten „in Reinkultur finden läßt. Infolge eines dienstlichen Auftrages hatte er während der letzten Kriegszeit Gelegenheit, das religiöse Leben der Juden in Polen eingehend kennenzulernen. Wie der übergroßen Mehrheit der christlichen Theologen liegt auch ihm der Gedanke fern, daß jüdische Frömmigkeit sich durchaus nicht in äußerem Tun erschöpft, sondern seelische Kräfte in unvergleichlicher Stärke bewegt. So konnte er sich dazu verleiten lassen, in dem religiösen Leben der Ostjuden das reine Bild jüdischer Frömmigkeit in unserer Zeit zu suchen. Was er dort sah, war in der Tat stark in äußere Erscheinung tretendes jüdisches Leben. Beginnend beim Talmud- Thora-Studium in Cheder und Jeschibah, seinen Rhythmus zeigend im „gemeinsamen Erleben des jüdischen Kirchenjahres", durch alle Verhältnisse des Lebens sich bekundend: Geburt, Ehe. Tod.
All dies hat Jeremias genau beobachtet. Aber wie erstaunlich: es fehlt auch nur der schüchternste Versuch, all dies jüdische Leben nachzuerleben. Einmal nahm er „deutsche Offiziere mit zur Sabbathbegrüßung in einem kleinen engen Rathaus. Sie waren nicht gut auf die Juden zu sprechen und vielleicht zum Spotten geneigt. Als wir heim waren, kam erst kein Gespräch in Gang. Die Herren waren offenbar tief ergriffen. Schließlich brummte einer vor sich hin: da ist man nun drei Jahre hier und ahnt nicht, daß es sowas ßi&t". Hätte nicht ein solches Erlebnis Anlaß bieten sollen, über die Seele nachzusinnen, die hinter diesen Hebungen steht? —
In Jeremias Darstellungen der jüdischen Fröm- miAeit fehlt jeder Hinweis auf jüdische Gläubigkeit, jüdisches Gottvertrauen, jüdische Demut, fromme Ergebenheit und Bescheidung in göttliche Schicksalssü- ung. Es scheint nach diesen Blättern, als wüßte der de nichts von einer seelischen Unsterblichkeit. Nichts Jeremias von der seelischen Leistung, die die jü- ische Lehre bei der Reinigung von Sünde fordert. Er sah nur die Uebung, die Oberfläche, gelangte aber nicht zum Kern. Er hätte auch das sicherlich im Osten erkennen können. Aber mußte er wirklich erst nach Polen kommen, hätte er nicht auch in Deutschland „in die jüdische Volksseele" eindringen, hätte er nicht in Leipzig, dem Orte seiner geistlichen und seiner wissenschaftlichen Sehhrtätigkeit jeden Einblick in lebendiges jüdisches Leben tun können? Hätte ihn nicht rein literarisch — beispielsweise — das treffliche Buch von Weigl (einem
am
Ju
christlichen Kenner) über das Judentum WH die Beseeltheit jüdischer Frömmigkeit hinlenken müssen?, Hätte er nicht so manchen wertvollen Aufschluß etwa in Baecks ausgezeichnetem „Wesendes Judentums" oder bei Coblenz, Jüdische Religion gefunden?
Aber — und hier zeigt sich eine weitere Sonderbarkeit in seiner Einstellung — derartige Schriften scheint Jeremias nicht zu beachten,' denn er verhält sich schroff, ablehnend gegen die liberale Richtung im Judentum. „Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts hat die Assi- milierung der Juöenschaft mit den Wirtsvölkern (l) Europas geschaffen .... Der ,/msgeklärte" Jude hat die Religion seiner Väter und damit im allgemeinen alle Religion verloren." So urteilt derselbe Jeremias, der an anderer Stelle hinweist ans die ^Kahlheit der Talmudgelchrsamkeit, die keine originellen Gedanken anregt, sondern nur spitzfindige Hin- und Herrederr^ der die Umgehungen unbequemer ritueller Vorschriften als mtt Religion und Frömmigkeit nicht mehr vereinbar kennzeichnet, der in dem obeneckvähnten Bericht von der Aufgabe spricht die Juden „vom Talmud Thora zurück zu ihren eigenen Propheten, die allein ihnen die rechten Wege und Ziele zeigen könnten", zu führen. Ob wohl Prof. Jeremias Näheres vom liberalen Judentum weiß, von seiner wissenschaftlichen Begründung, seinem religiösen Wollen, seinen starken Auswirkungen? Ob er wohl weiß, daß sich gerade tn ihm jene Wandlung vollzogen hat, von kahler Talmud- gelehrsawkeit zu einem vornehmlich von den Propheten gewiesenen Judentum zu gelangen, und daß im liberalen Judentum auch der „aufgeklärte" Jude nicht nur „noch" religiös, sondern auch jüdisch-religiös ist?,
Dreißig Jahre schon widmet sich Jeremias ein* gehender Beschäftigung mit dem Judentum. Ob er immer an der rechten Stelle Aufklärung gesucht hat?. Wir übergehen so manche kleine Jrrtümer, die daran zweifeln lassen. Mer einiges Grundlegende muß erwähnt werden.
In drei Momenten erblickt Jeremias den Judenheit der ganzen Welt gemeinsamen reli Besitz: der Thora, dem Judenfriedhof und der sucht nach dem heiligen Lande, nach Erez Israel. Thora, das ist gewiß richtig gesehen. Aber der Juden* frieöhos? Eines der wesentlichen religiösen Heiligtümer?? Weil auch der „Aufgeklärte" pietätvoll da- Kaddifchgebet spricht? Oder weil „mancher moderne Jude, der längst mit der religiösen Sitte gebrochen hat, .. . den Ähritt m Verleugnung und Uebertritt nicht getan, weil ihm der Gedanke, einst nicht auf dem
§ udenfriedhof sein Grab zu finden, unerträglich ist"?.
ollte nicht hinter dieser Scheu vor dem Letzten, dem erklärten Amall, eine tiefere seelische Bindung zu suchen sein als nur der Gedanke an die einstige letzte Ruhestätte?-
Und die Sehnsucht nach dem heiligen Lande? Ob nicht Jeremias durch den Zionismus, den er erstaunlicherweise als die der Judenheit kongenialste Bewegung bezeichnet, die Hoffnung auf Zion, die sich durch das überlieferte Gebet zieht, in einem ganz falschen Lichte sieht (denn er wertet den Zionismus als rein religiöse Bewegung) ? Diese Hoffnung bedeutet für die übergroße Mehrzahl der Juden nichts anderes als die Hoffnung aus den Messias, der ein geisttges Zion her- beisühren wird, ein Zion der Einigung aller Menschen in dem Glauben an den einzigen Gott und der Verwirklichung dieses Glaubens in der abslolnten Sitten- reinheit, Gerechtigkeit und Menschenliebe.
Geradezu unbegreiflich aber muß die Feststellung einer «vierten gemeinsamen Bindung" geuennt werden: Mt allen gemeinsam tiefe Abneigung gegen das Christentum." Insofern das Judentum tttt Bewußtsein seines eigenen religiösen Inhalts sich gegen die Lehren anderer Religionen abgrenzt, ist die Ablehnung des Christentums eine Selbstverständlichkeit. Nicht anders, als wenn das Christentum den Islam, den Buddhismus und auch das Judentum ablehnt, aber auch nicht anders als etwa die Mlehnung der Sozialdemokratie durch die Deutschnationale Bolkspartei, oder allgemein gesprochen die Mlehnung einer jeden anderen durch die eigene Weltanschauung. Soll aber etwa mit der Wahl des Wortes „Abneigung" behauptet werden, das Judentum erachte es, als eine religiöse Pflicht, gegen das Christentum Abneigung gleich Haß zu nähren Herr Professor Jeremias möge auch eine Stelle in einem jüdischen Religionsbuche a»