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״Küdffche BolkSstimme"

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gegen das flämische Volk sind. Sie haben auf ihrem Gewissen Re Rückständigkeit eines großen Teils des flämischen Volkes und -die Verweige- rung seiner Rechte.

Soviel ich sehe, liegen die Verhältnisse auch genau so bei den Juden.

Ich bin entschieden für die Anerkennung der Juden als Nationalität in allen Ländern, wo sie w Massen leben und für die internationale Rege- lung der Judenfrage. Der Krieg hat deutlich ge- nug bewiesen, daß die nationale Frage jedes Lau- des alle Länder berührt. Damit die jetzige Welt- katastrophe sich nicht.wiederhole, müssen auf in- ternationalem Wege Normen für die Behandlung der Nationalitäten ׳in den verschiedenen Staaten geschaffen werden. Das Schicksal der schwachen Nationen darf nicht mehr den einzelnen Staaten überantwortet werden. Ich habe kein Vertrauen zu den Staaten. Ich habe zum Beispiel ungeachtet der ׳großen Tragödie, die Rumänien gegenwärtig durchmacht, kein Vertrauen, daß es in Zukunft den Juden Gerechtigkeit wiederfahren lassen wird׳, falls es selbstständig über das Schicksal seiner jüdischen Bevölkerung wird verfügen können. Ru- Manien ist im doppelten Sinne ein Präzedent in bezug auf diejüdische Frage: Einmal wurde hier die jüdische Frage zum erstenmal international behandelt (Berliner Vertrag 1878), dann aber verletzte Rumänien systematisch die Vereinbarung der Mächte und zwar aus dem! Grunde, weil die Mächte sich mit der Pvoklamierung eines Pvin-, zips begnügten, ohne Garantien für dessen strikte Beobachtung zu schaffen. Das darf sich nicht mehr wiederholen. Ich billige vorbehaltlos die Forde- rung der ukrainischen Delegation, die auch von der tschechischen und jüdischen Delegjation unter- stützt wurde, daß bei dem zu schaffenden interna- tionalen Tribunal ein Ausschuß eingesetzt werden müsse zur Wahrung der Rechte der Volker und daß das inlevniatiouale Tribunal zugunsten jedes Vol- kes intervenieren solle, dessen Rechte von welcher Seite immer verletzt werden.

'Die Rechte der Juden als Bürger und als Nationalität müssen auch in dem internationalen Akte festgesetzt werden, da>ß die Unabhängigkeit Polens proklarniren wird. Ich habe den Eindruck, daß die Polen ausgezeichnete Menschen sein wer- den, wenn ein !wirksames Gesetz geschaffen wird, daß sie an anderen nicht tun dürfen, was an ihnen getan worden ist. Ich höre Klagen, daß der Antisemitisimns den Geist der polnischen Gesell- schaft so vergiftet hat, daß selbst sozialistische Par- teien ihm erlegen sind. Da kann ich nur sagen: die Feindschaft gegen irgend! ein Volk ist mit den Grundsätzen des Sozialismus so unvereinbar,

nifest der neutralen Delegationen den internati- oualen Schutz für die dortige jüd. Kolonisation, lieber die Aussichten des Zionismus können die Meinungen auseinandergehen, dem jüdischen Volke muß aber nach dem Grundsatz der natio- nalen Selbstbestimmungsrechtes in! jedem Falle das Recht zustehen, sein Schicksal nach seinen eige- neu. Wünschen und Idealen zu gestalten. Wenn die jüdischen Massen in den׳ Ländern des Ostens, in Rußland, Polen, Galizien und Rumänien, in ihre Rechte eingesetzt sind, so entfalt zum großen Teil allerdings der Grund zu ihrer Unzufrieden״ heit, also auch zur Auswanderung und zur Ko- lonifation in anderen Ländern. Aber das setzt einerseits nicht nur ihre rechtliche, sondern auch ihre soziale Gleichstellung voraus und anderer- seits muß ja auch der Faktor der großen Vevölke- rungsvermehrung in Betracht gezogen werden. An Kolonisationsmaterial wird der Zionismus jedenfalls keinen Mangel haben.

Der Krieg׳ hat die große Bedeutung einer ge- sunden Landwirtschaft für den Bestand und die Entwicklung der Völker dargetan. Ich war nie- mals Anhänger des extremen Industrialismus. Der Sozialismus wird sich unmittelbar nach dem

englische Erklärung geschaffenen Lage rechnen. Irr diesen: Gefühl werde ich durch Aeußerungen des türkischen Politikers Niffin Masliach bestärkt, der in der türkischen Kammer den Wahlkreis Brussa vertritt. Herr Nazliach, der im Sommer eine Besprechung mit dem Holländisch-Skandina- vifchen Komitees gehabt hatte, besuchte mich dieser Tage wieder. Beim letzten Besuch fiel ׳m!ir bei ihm eiin Gesinnungswechsel hinsichtlich des Zionismus auf. Im Sommer hatte er erklärt, die Juden der

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genossen im Lande volle Gleichberechti- gung, den Juden des Auslandes ׳gegenüber hin- gegen habe die Türkei! keine Verpflichtungen. Diesmal verhielt er sich nicht mehr so ablehnend. Als ich ihn nach seiner Meinung über Balfours Erklärung fragte, erwiederte er, er habe den Ein- ׳druck, daß die türkische Negierung auf dem Friie- dejnskongrgß in allen Fragen ohne Feindseligkeit und objektiv auftreten werde, und auch in Bezug auf die Judenfrage und Palästina mit sich reden lassen wird, daß es nur eine Frage!gebe, in der die Türkei unversöhnlich sei, die Frage der Ka- Pitulationen.

Wie dem auch sei, die Türkei wird, falls sie Herrin Palästinas bleibt, ihr Verhalten zu der

Kriege mit dem Agrarproblem einst zu befassenj jüdischen Kolonisation, die sie auf Schritt und

haben. Er muß eine Politik der Produktionsför- derung treiben, d. h. eine bessere Organisation der Proidüktionskräfte der Menschheit anstreben. Das ist für die sozialistische Internationale ein Grund mehr, dem jüdischen Kolonisationswerk iin! Palästina freie Bahn zu öffnen.

Den Schutz der jüdischen Kolonisation in Palästina, den das Manifest der neutralen Dele- gtionen fordert, verstehe ich in doppeltem Sinne, im negativen und positiven. Es müssen einerseits Bürgschaften dafür geschaffen werden, daß. die Türkei die individuelle und kollektive jüdische Kolonisation!nicht,'mehr behindert, andererseits muß !auch der Staat für die Wohlfahrt und das Fortkommen derKolonisten sorgen als Gegenlei- stungfür das, Was sie dem Lande geben. Die Tür- ken, die eine Minderheit im Reiche bilden und selbst außerstande sind, die großen in ihren Hän- den befindlichen Gebiete zu bevölkern und zu ent- wickeln, dürfen die Tore Palästinas dem Arbeits- fleiße der jüdischen-Einwanderung nicht iperiM.

Die Erklärung Balfours , des englischen Mi- nisters desAeußeren, England beabsichtige den jüdischen Volk zur Schaffung eines!nationalen Heims in Palästina zu verhelfen, erhebt den Zi- onismus zu einem Faktor der Weltpolitik. Diese Erklärung ist eine Anerkennung der Kraft und des Einflusses der zionistischen Bewegung, die Stellung Englands wird aber rückwirkend! den

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Tritt behinderte, gründlich ändern müssen."

daß jede sozialistische Partei, die antisemitische Zionismus noch mehr stärken.Die Internationale Politik macht,^sich damit außerhalb der Interna- sich auch !nicht länger den Zionismus ge- . V. na . ״״ י o - ri Henüber indifferent verhalten. Wenn sie ihn ge-

stern !als Privätsache betrachtete, so ist das heute, Wo er «eine Rolle in der Weltpolitik zu spielen be- gönnen hat, nicht mehr möglich.

Auch die Türkei wird' Wohl mit der durch die

tionale stellt. Bei uns in Belgien ist der Antise- mitismus so fremd, daß der Mann aus dem Vol- ke ungläubig das Haupt schüttelt, wenn man ihm von Judenverfolgungen erzählt.

Was Palästina hetrift, so fordert das Ma-

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״ ־ Was habt ihr ״ geachelt"?" sage ich.

״ Geachelt? Was ich geachelt Hab? Nu, Was soll ich ׳ geachelt haben? Flasch haben wir nit, und das Flasch vom Pferd D nit koscher. Aue Kuh haben wir nit. Broit, eppes Broit" , .

״ Ein Pfund Brot bekommen Sie täglich zur Unterstützung." ״ Was arbeitet Ihr?" frage ich den Mann.

Er ist Fuhrmlcmm.aber er hat kein Pferd, und jetzt will und' darf niemand fahren. Früher ja, da fuhr man zum Bahnhof,nach Soly, wo es nach Minsk und Wiilnia geht. Aber heute?

״ Also Brot habt ihr gegessen. Und was sonst?"

Bei dem Worte ״ Brot" kommen 'auf einmal vier schmutzige Jungens ans Bett und sehen mit hellglänzenden Augen, heiß verlangend nach der'

Die Ergebnisse des Krieges für uns Juden.

Das Jsr. Familienblatt Frankfurt schreibt:

Von Ergebnissen des Krieges für uns Juden soll hier die Rede sein,wie sonderbar! Noch tobt um! uns herum der grauenhafte Krieg, noch ist nicht abzusehen-Wann der Tag der Verständigung der kämpfenden Nationen heranbricht; noch sind die Schäden auch nicht annähernd zu ermessen, und Wie kann da die. Rede von Ergebnissen des Krieges sein!?! Allein nicht die materiellen Er- gebnisse, die Verluste an Gut u. Blut, sollen hier festgestellt werden, sondern ׳die geistigen, sittlichen.

GeiviH'hat ׳der iam׳giälhr-'rge, verheerende Krieg auch' in der jüdischen Nation auf sittlichen, reli- gi'ösem Gebiet Verwüstungen cmgerichtet, Ver- Wüstungen, deren Folgen nicht so leicht zu ver- wischen sein werden, doch eins ist schon setzt mit Sicherheit zu sagen, daß dieser entsetzliche Krieg ׳auch Gutes bewirkt hat und zwar: nach der nati- onalen Seite hin, indem !er die Solidaritätunter uns Juden hergestellt hat und den GsmeinsHafts- sinn in sehr hohem Grad -wachgerufen hat. Die alten Gegensätze wurden gemildert, und alle Parteien mit wenigen Ausnahmen haben sich einander stark genähert.Das jüdische Volk hat sich wiedergefunden und seine Blicke nach der alten Heimat gerichtet!'

Doch die Völker, die Wirtsvölker, in deren

Z.Mein Bocher.

Die engen Gassen Wilnas liegen in vollem Dunkel. Wohl wegen.der Fliegergefahr. Das Volk, das den Feiertag begeht, stößt sich ans den engen Bürgersteigen, an deren Rändern Straßen- schmutz angehäuft iist. Vom Tal herauf rauscht die Wilja, Bilder von Krakau und Lemberg werden wach. Die Jungens, die mein Gepäck vom Bahn

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sind nach Hause gegangen. Die tausende von Trö- delläden fest verrammelt, die Stadt wird stiller. Auch die Kinos schließen, an deren Eingängen große hebräische Oettern kleben, die der. aufgehen- de Mond beleuchtet. Die Lichter der Stadt sind spärlich und ItoiM. Es ist Krieg und Fliegerge- fahr.

Langsam'-schlendere ich durch die Gaffen und

___ w ״״ ö .. ... .. lasse die Stadt auf mich einwirken. Aus den grö-

Hof in die Stadt tragen, sind Juden. Das Hotel, Heren Straßen komme ich. in abgeleigene Winkel,

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däs ich von der Kommandatur angewiesen be- kommen habe, ist ein jüdisches. Eine Judenstadt. Und dabei ein Sprachengewirr: Russisch, Pol- nisch, Litauisch, Deutsch und! Jiddisch. ־

Und Hebräisch! In der Philharmonie halt eine Töchterschule eist Fest ab. Zehn Mädchen spie-

Mutter, die ihnen noch von ihrem eigenen Teil len irgend ein Stück, spielen wie echte Komödian

abgiebt.

Das freundliche Mädchen benutzt die Gele- genheit, um zu verschwinden. Sie geht hinüber in die Teestube, wo die deutschen Soldaten sind, und wo man Musik macht und zu essen hat. Es ist die Tochter, die zwei Jahre -den Hunger kannte.

״Kann das Quartier belegt werden?" mischt sich ein Feldwebel ein, dev sich schon in der Stu- Le breit Macht. ״Ist es keine ansteckende Krank- heit?" und er deutet auf die vergrämte Frau, die erschöpft in die Kissen Zurückfällt.

Nein nur dev Hunger."

Drüben in der Teestube ist großer Betrieb. Soldaten machen ihre Scherze. Und ein junges, .rotblondes Mädchen lacht und lacht....

ten und sprechen ein klares, unsagbar rasches He- bräisch. Kein Souffleur ist dabei. Und Re kleinen Kinder links und rechts von mir lachen aus vol- lem Hals. Wie sie horchen und verstehen. Alle die jungen Seelchen im! großen Saal, wie sie ge- kommen sind, sprachen sie noch Russisch und Ja^ gon und jetzt rufen sie dazwischen. Aber !nur noch Hchräisch. . . .

Und die Kinder vergessen das Leid, das gro- ße Leid, das mit dem Rauschen der Wilja herauf- zieht über Re Stadt. Und sie zwitschern wie Früh- lingsvögel, Re den Lenz begrüßen und nichts wis- sen von all ׳dem, was vordem war...

JH ziehe darauf um 9 Uhr einsam durch die Stadt. Die Bettler, die an den Treppen hockten,

wo sich zwei Bo>cher über die Frage ״Jiddisch oder Hebräisch" streiten. Als ich näherkomme, verstum- men sie. _

Minutenlang treffe ich niemand mehr. Hier in der entlegenen Vorstadt -ist nicht einmal ein deutscher Soldat, der mir den Weg zurückweist. Doch am Ende der Sackgasse stöhnt irgend wer, schluchzt in dem finsteren Winkel auf, wie ein Kind, welches in der Ecke steht, Weil es Schlägebe- kommen hat. Zieht ein Weinen auf und erstickt wieder. Ich gehe darauf zu, finde aber niemand. 2 Minuten ist es wieder ganz ruhig. Und dann klingt es wieder leise Wie vordem. Ich muß das Weinen noch besser suchen. Es muH doch irgendwo sein. Und da ist schon i׳m> Toreingang ein Junge,

ein kleiner Junge. .

Vielleicht hat er etwas verloren, denke ich. Aber er sucht nicht. Vielleicht wartet er auf die Mutter, oder er hat zu Hause Schlage bekommen.

Ich gehe auf ihn zu. Aber er dreht sich mcht um, sondern wimmert nur von Zeit zu Zeit.

״Du," sage ich zu ihm und ziehe ihn a!m