Jahr«. XX.
Nummer 24
Mische Msßillme.
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Bezugspreise: * VV^.v־■•‘ v Redaktion und Administration: Brüan, Adle
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Bezugspreise:
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halbjährig ..
. Kronen 15 60
ganzjährig.
. Kronen 3fr—
Deutschland, ganzjährig . . .׳ .
. Mark 20 —
Rußland, ganzjährig ......
---׳12 Rubel .
Balkan, Frankreich .......
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Franks 84׳—
Herausgeber: Max Hickl.
Redaktion und Administration: Brümr, Adlergasse 8 Buchhändlerische Vertretung: Olt» Slem«, N-Lpziß
Inserate: dev 6-spaltige Zentimsterrxmm 2 K . Unverlangce redaktionelle Beiträge werden nicht i,ono» rtert. — Manuskripten Ist Rückport« beizufügen.
Wien—Brünn.
i2. August 1919. 26. Ad 6679
Prag—Lemberg.
M. Hickl'S «erlag, Brünn, Adlergasse S, Wien, 8. Be-., Lerchengasse 6 a.
Soeben erschienen:
Hickls Jüdischer Bolkskalender
Aus dem Inhalte: Preis 6 Kronen.
Be er mann, Dr., M.: Für stille Stunden.
— Ein kleines philosophisches Märchen für große Kinder.
Bialik CH. N.: Willst du wiffen.
Blumenthal Hermann: Unter jüd. Landstreichern.
Kahn Rüben: Auf fremder Erde.
Frischmann D.: Die kupferne Schlange.
Frug S.: SimcheS toyre.
Gelber, Dr., N. M.: Aus dem inneren Leben der jüd. Gemeinden in Polen um die Wende des 18. Jahrhunderts.
Günzig, Dr., I.: Israel Baal-Schem der Zweite u. Dritte.
Höflich Eugen: Der jüd. VolkssozialiSmuS der Ha- Poel Hazair. ׳
Jehuda Halevi. ^
Kanter, Dr., F.: Ein Rückblick auf das Jahr 8679.
» ' ״ ״ Eine Unterredung mit Haman.
König.Ed., Geheimrat: Die Patriarchen und die Biel- götterei.
Kurrein, Dr., A., Prof.: Ein fiebzehnhundertjähri- ger Gedenktag.
Müller, Dr., Ernst: Psalmen.
Müller E.: Aus jüdischem Geiste.
Neuburger, Dr., Max., Univ.-Prof.: Medizinisches aus den Werken des FlaviuS JosefuS.
Reisen A.: In a finsterer Nacht.
Scherlag Lorenz: Der blühende Baum. ^
Tartakower, Dr., CH.: Werden wir Palästina be- kommen?
Wachstein B., Dr.: Ein Regensburger Grabstein in Eferding.
W ein bäum D.: Jüdische Landtage.
Zlocisti Theodor: Erwachte Lieder.
Znr politischen Lage der Juden in Ostgalizien.
Die oftgalizische Frage ist in Paris noch nicht ge- löst worden. Die zutunstige Verfapungssorm und Staatszugeyorigtert vci weitem mcht verannt.
Dre potniicye Presse verbreitet allerdings Nach- richten, wonach Ostgauzum sur 15 Jahre unter polni- sche Verwaltung kommen, der utraimjchen Bevölkerung, die auf dem Standpuntte einer staatlichen. Unavhän- gigtmt Oirgaliziens ^We;turraiua) steht, eine breite Autonomie zugesrchert werden soll.
Im Be 1 vugr;ern aber, dag die ukrainische Bevöl- kerung der fattlsche Herr des Landes sei, befürchtet die imperiatlinlche polnische Gesellschaft, daß mit der Zeit die polnische Bevölkerung doch uüervorteilt werden tonnte und zu diesem Zwecke verlangt die seriöse pol- nische Presse auf Grund der Nachrichten aus Paris — die Zusicherung von Minoritätsjchutzrechten an die Po- len in Ostgalizien. Als Grundlage dazu erachten sie die Einführung einer breiten Auwnomie mit einem speziellen Nationalkatasler und einer WahlLurie.
In dieser ganzen Pressekampagne wird nirgends der Juden gedacht, als ob in Ostgalizien keine Ein- wohner jüdischer Nation existieren würden — oder denken gar die Polen imstillen daran, ihre alte der- brecherifche Politik fortzusetzen und dieselben Ju- den, welche sie in Polen verfolgen und boy- kottieren — als Mitglieder ihrer Nation anzusehen und auf diese Weise ihren nationalen Besitzstand um 600.000 Seelen zu stärken.
Diese Art polnischst Politik darf und wird, jetzt angesichts des starken Nationalbewußtseins der jüdi- schen Massen in Ostgalizien nicht gelingen. Die jüdische Politik hat hier in den Tagen des Verfalles der alten Monarchie den richtigen Weg eingeschlagen und ihn, dank der umsichtigen Leitung ihrer Führer, praktisch durchgeführt — ich meine das Prinzip der Neutralität, wonach wir Juden uns in den Völkerstreit zwischen
Feuilleton. '
Bor dem Untersuchungsrichter.
Bon Jehuda Steinberg.
Seine Rettung vor dem UeVerfall ist nur einem Wunder zu verdanken. Er weiß sich an alles genau zu • erinnern vom Anfang bis zum Ende, wiewohl jedes einzelne Bild abgerissen in seinem Gedächtnisse herum- ן schwirrt, atS ob damals gar keine Zeitenfolge vorhan- den wäre... j
Und aus ebendemselben Grunde ist jeder einzelne, Eindruck, der sich in sein Hirn festgebohrt/ hatte, von: seltener Klarheit und einer fast greifbaren Plastik, als ob sich das Ereignis jetzt, vor seinen Augen abspielen würdet...
Er fitzt in seinem Laden, vor dem Tische. . . Plötz- lich ein Klang zersprungenen Glases... Ein Stein sliegt geradewegs aufs Tintenfaß, welches fich" auf dem Tische befand... Die Tinte versprengt fich in kleinen Tropfen mannigfacher Gestalt und verschwindet in den Spalten des Tisches ...
Poppow... Abrikossow... Eine rote Ziffer...
Dje Aufschriften über den Teekisten und Kanditen- schachteln, ebenso die Kalenderziffer, welche in jenem Augenblicke^ zufällig an seinen Augen vorbeiflim- werte...
««•י• ■•י..... • ■
Auch an das, was damals draußen geschah weiß er fich noch zu erinnern. . . Gestalten und Stimmen fließen ineinander, aber sie verschwinden nicht. . . .
«Bei 2ydow" 1... (»Schlagt die Juden"!) Ein Schutzmann starrt mit vornübergebeugtem Kopfe einem Hündchen nach, das eben vorbeilief . . .
Erstickte Stimmen dringen durch die Fenster — von der Straße her, aus seiner eigenen Seele dringen sie hervor . . . Ein bewaffneter Soldat trottet vorüber und glatzt den Himmel an...
Schaut er, oder lauscht er? ...
Er kann's nicht unterscheiden. Und wiederum Stimmen. — Allein diese Stimmen entrisstzen sich nun- mehr seiner eigenen Brust . . . Und von da ab ist alles in Nebel gehüllt...
“י* Und er sieht sich wiederum — nicht mehr im La- den, sondern in seinem eigenen Zimmer. . . und drei Chuligans in der Wohnung... sein Weib liegt am Boden in einem unmenschlichen Zustande... zwischen ihrem Kopfe und den Schultern 'klafft ein leerer Raum. . .
Seine Tochter ringt mit zwei Chuligans... er will fich erheben und kann nicht; er will einen Lärm machen und kann es nicht zustande bringen. Deine Organe vermögen nicht mehr dem Willen zu gehorchen.
Die Tochter kämpft. . . fällt und steht wieder auf... der dritte Raufbold befühlt ihm die Taschen ... durchstöbert die Koffer...
Die Tochter fällt... ein .ausgeraufter Haarbü
״Hick'ls jüdischer Volkskalcuder"
,Polen und Ukrainer nicht mengen und nur die Inter- essen unserer Nationalität wahren.
Die Neutralität'bildet aber keineswegs ein Desin- tereffement in Hinsicht auf unsere politisch-bürgerliche Stellung. Durch das Proklamieren unserer Neutrali- tät bekunden wir nicht, daß wir auf unsere Gleichbe- rechtigung als Bürger verzichten — wie eS manche Affimilanten der Melt einzureden versuchen.
Noch vor der Entscheidung, was mit Ostgalizien geschehen soll, muß Paris mit der Tatsache rechnen, daß Ostgalizien auch von einer dritten, der jüdischen Nation bewohnt ist, die allerdings keine staatlichen Aspirationen erhebt, sondern nur das Recht frei- leben und das eigene Volkstum entwickeln zu können, in Anspruch nehmen will.
Wir wollen weder der polnischen oder der ukxaini- schen Bevölkerung zugezählt werden. Von der österrei- chischen Zeit her wissen wir, wie die polnische Gesell- schaft vor keinem Mittel, wie statistische -Fälschung, Wahlschwindel, Terrorismus der Judenmassen und dgl. scheute, um mit Hilfe der von ihnen sonst verspotteten, gedrückten Juden, die Vorherrschaft ihrer eigenen Ra- Hon zu erhalten. Und imperialistisch-chauvinistische Charakterzüge sind leider in der polnischen, vom . Geiste Dmowski's und Paderewski's inspirierten Gesellschaft, eine alltägliche Erscheinung geworben/ Wir befürchten nun, daß die Polen bei einem eventuellen ״Plebiszit" uns auf ״ihre" -Weise zum polnischen Nationalbekennt- nis zwingen werden. Die jüdischen Volksmassen, ihrer Nationalität vollbewußt, wollen aber keine Handlanger polnischer Machtpolitik werden. Die Jüdenheit in Ost- galizien fühlt fich als ein Teil der jüdischen Nation und als solche nimmt fie für fich das Selbstbestim- mungsrecht in Anspruch. Als ein Volk, will die ostgali- zische Judenheit über ihre Fragen selbst entscheiden.
Sie will fich in den polnisch-ukrainischen Streit nicht mengen und verlangt nur die Respektierung ihrer nationalen Minderheitsrechte.
Interessant ist eS, daß die Polen bezüglich der Ju-
schel klebt an ihren Händen... und dann bleibt wie- der alles verblaßt und verschwommen.
Ward bloß durch ein Wunder gerettet. c ,
Und er ist überzeugt, daß er nicht, deshalb' dem Tode entronnen, um noch eine gewisse Pfundanzahl Fleisch zu verzehren oder noch ein gewisses׳ Quantum Wein zu trinken. Nein, erlebt noch einzig und allein, um über die Mörder Zeugenschaft abzulegen.
Run steht er vor dem Richter und erzählt Tatsa- chön, Bruchstücke von Begebenheiten. Zu seiner Aussa- ge gesellte sich noch die Zeugenschaft eines Juden, wel- cher es mitangesehen hatte, wie drei ihm wohlbekannte Straßenräuber in den erwähnten Laden mit leeren Händen hinein und vollbeladen heraus gingen.
Einer von den dreien wurde dem Richter vorge- führt. Als ihn der Geplünderte erblickt hatte, taumelte er gleich zurück. Der Untersuchungsrichter sah dem Juden ins Gesicht mit der Grimasse eines unterdrück- ten Lächelns. Sr verdächtigte ihn scheinbar einer vor- gemachten, Angst.
»Hast du ihn erkannt?"
' Dieser seufzte und erwiderte kopfnickend:
״Ja, ich erkenne an ihm, daß er weder der Mörder meiner Tochter noch der meines Weibes ist."
Dem Richter verging die gute Laune.
״Erkläre, was du damit meinst!^
״Die Sache ist ganz einfach. Er konnte ja nicht morden, weil er mit dem Rauben beschäftigt war."
»Sieh ihn genauer an! Vielleicht doch? . .
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