V. b. L.

OER

DISCKE ARBEITER

Organ der jüdischen sozialdemokratischen Arbeiterorganisation Poale Zion, Wien

Erscheint zweimal monatlich

Redaktion und Administration:

Wien, IL, Btumauergasse 1/U

Postscheckkonto Nr. 38.042

Bezugspreis:

viertellahrig. S 1.20 halbjährig . . 2 40

Einzelne Nummer 20 Groschen

Nr. 4.

Wien, 20. März 1928.

5. Jahrgang.

Die Wahlen in Währing.

Die Wahlen, die seit den Juliereignissen und ins­besondere seit der Bekanntgabe der Gesetzesvorlage zum Abbaue des Mieterschutzes sind als Vorposten- Gefechte des bevorstehenden' großen politischen Kampfes zu betrachten.

Die Regierung und ihre Parteien im Nationalrate, die das Attentat auf die Volkswirtschaft und auf die Mieter ausgeheckt haben, versuchen ernstlich, der Bevölkerung einzureden, daß sie den Abbau des Mie­terschutzes im Interesse der arbeitenden Bevölke­rung, der Gesundung der Wirtschaft durchführen wollen. Die Herren der Einheitsliste glauben, daß die Wähler heutzutage noch so wenig politisches Verständnis besitzen, daß sie die Verlogenheit der Regierung und ihrer Parteien nicht .durchschauen werden.

Die Wahlen in Bruck und in Vorarlberg haben den Regierungsparteien den ersten Beweis der po- .littschen Schulung der Bürger der Republik geliefert' . Je deutlicher der reaktionäre politische Charakter der Regierungsparteien, desto enger der Anschluß der Wählermassen an die Partei des klassenbewußten Pro­letariats..._:.. ..... .....

Jetzt kommen die Wähler von Währing an die Reihe. Die Wähler, die Mieter Währings sollen be­weisen, wie sie über die Pläne der Regierungspar­teien denken. 'Bei der Wahl in Währing handelt es sich nicht bloß um die Zusammensetzung der Vertretung dieses Bezirkes', es geht vielmehr darum, den Parteien, die im Interesse der Großbanken und eines kleinen Grüppchens Hausbesitzer die Not der Mieter vergrößern will, die gebührende Antwort zu erteilen. Den Wählern Währings fällt die wichtige Aufgabe zu, die Regierungsparteien deutlich fühlen zu lassen, daß die Bevölkerung 1 . Wiens mit den Ver­antwortlichen für das Gemetzel des 1 15. Juli nichts gemein haben will, daß sie die Führer und Förderer der faschistischen Heimwehrbanden gründlich ab­schüttelt. Die Wähler Währmgis haben die Gelegen­heit, die Lügner, die an allen Straßenecken, von vielen Dächern herab in Flammenschrift versprachen:Mie­terschutz gesichert, wählet Einheitsliste!" und jetzt daran gehen, ihre Wähler zu betrügen, davonzu­jagen.

Wir sind überzeugt, daß die Wähler Währings ihre Pflicht am 25. März erfüllen werden.

Die jüdischen Wähler dieses Bezirkes wissen zweifellos, was für sie die Aufrechterhaltung des Mieterschutzes bedeutet. Sie werden sich auch gewiß darüber klar sein, welche Gefahr für die Juden auch die geringste Stärkung der Parteien, die einen Dr. Walter Riehl in den National rat kan­didiert hatten, bedeutet. Sie können und wer­den gewiß in Erinnerung behalten,, was für die gesamte J udensehaft dieser Stadt, die­ses Landes, eine Stärkung der Verbünde­ten und.Führer der H a k e n k re u z I er, des Faschismus bedeuten würde.

Das Interesse der Judenschaft gebietet den jü­dischen Wählern Währings', bei den bevorstehenden Bezirksratswahlen folgende'Parolen zu befolgen:

In diesem entscheidenden politi­schen Vorpostengefechte darf sich kein jüdischer Wähl d e r S t i m m e enthalte n!

Im Interesse der jüdischen Bevölke­rung, des Abwehrens der Gefahr des ha- kenkreuzlerisehen Faschism us alle jü­dischen Stimmen 1 der Sozialdemokratie!

Licht und Schatten.

Zum Ausgange der Wahlen in Polen.

Pilsudski siegt über die rechten bürgerlichem Parteien. Die Arbeiterschaft erringt einen großen Sieg. Die Juden verlieren 1 viele Mandate. Die schwarze Orthodoxie verschwindet vom Sejm. Die Niederlage der jüdischen Arbeiterschaft. Die UnVerantwortlichkeit desBund" und

'derLinkem Poale Zion." ' .

Das Resultat der Wahlen im Polen ist sehr lehr­reich.

Zunächst das' allgemeine Bild: Die rücksichts­lose Wahlstrategie des Marschall Pilsudski vermochte nur die alten bürgerlichen Parteien zu schwächen. Pilsudski hat die bis jetzt bedeutendsten bürgerlichen Parteien völlig niedergerungen und sich eine relative 'Mehrheit von 135 Abgeordneten gesichert. Die Ver­tretung der Arbeiterschaft aber zieht bedeutend ver­stärkt in den Sejm ein. Das ist zweifellos ein wich­tiges Aktivum. Dieses positive Moment wird nur durch die Tatsache, daß in der Hauptstadt des Landes "die Arbeiterschaft keine Erfolge zu erringen ver­mochte, getrübt. ; j' :

Ein düsteres Bild bietet uns das Wahlresultat im Lager der Juden.- Die-b^rgerlichen jüdischen Par­teien konnten von ihren früherem 34 Mandaten nur 14 retten. Es war vorauszusehen', daß durch die Beteiligung der Ukrainer an den Wahlen (die Wahlen im Jahre 1922 boykottierten die Ukrainer) sich die Zahl der jüdischen Vertreter verringern wird, aber der Verlust an Mandaten mußte nicht so groß werden. Der Zersplitterung der jüdischem Stimmen ist der jMandatverlust. in erster Reihe zuzuschreiben. Die Orthodoxen und die sonstigen Nichtzionisten lehnten ab, auf einer Liste mit den Zionisten zu kandidieren. Und auch die Zionisten untereinander konnten sich nicht einigen. Während die Zionisten Kongreßpolens auf der Liste des Minoritätenblocks kandidierten, führ­ten ihre Gesinnungsgenossen im Galizien den Wahl­kampf selbständig. Das konnte natürlich nicht ohne Wirkung bleiben.

Auf dieses trostlos düstere Bild fallen nur einige Lichtstrahlen: Die schwarze jüdische Orthodoxie, dia sich als die mächtigste Gruppe in der Judenschaft Polens gebürdete, konnte auch nicht ein einziges von ihren früheren 6 Mandaten erringen; mit ihnen fiel auch der sehr unangenehme, wandlungsfähige Po­litiker Herr Prilucki durch; die jüdischen Politiker,

Die Poale Zion in der Soziali­stischen Arbeiter-Internationale.

An der Sitzung der Exekutive der Sozialistischen Arbeiter-Internationale, die am 25. und 26. Februar in Zürich stattfand, nahm als Vertreter der Poalie- Zion Genosse J a h r b 1 u m teil.

Zum Berichte der Kommission über die Kolonial- Politik ergriff Gen. Jahrblum das Wort und führte u. a. aus:

Die Vorschläge, die. hier vorliegen, befassen sich nur mit den Kolonialländern, nicht mit dem Mandat­ländern. Das ist ein Fehler, denn die beiden Kate­gorien Länder weisen wichtig? Unterschiede auf. Das sollte die Kommission berücksichtigen. Die sozialisti­schen Parteien in den Mandatländern könnten uns im dieser Beziehung wichtige Dienste leisten.

Ich führe Palästina als Beispiel an. Die dortigen allgemeinen Gewerkschaften entfalten eine ungemein wichtige Tätigkeit auf dem Gebiete der Arbeitergesetz­gebung und der kommunalen Verwaltung. Dank der Unterstützung der Amsterdamer Gewerkschaftsinter-

cfie sich Pilsudski angebiedert haben, konnten rrflt Mühe und Not 2 Mandate erringen.

Wenn man sich aber der jüdischen Arbeiter­schaft zuwendet, erscheint das Resultat völlig trost­los.. Die zeh ntausende jüdischer Arbeiter werden auch im neuen Sejm nicht einem ei nzi ge n Vertreter haben.

Für diese Niederlage sind die zwei größten Par­teien: derBund" und dielinke Poale Zion" voll und .ganz verantwortlich. Unsere Genossen haben die größten Anstrengungen gemacht, um eine Eini-» gung aller jüdischen Arbeiter zu erzielen, die Eng­herzigkeit und .Kurzsichtigkeit desBund" und der Linken" verhinderten es. ,

Die jüdische Arbeiterschaft. Polens beantwortete . diese unverantwortliche Tat mit einer förmlichen! Flucht aus den Reihen dieser' beiden Parteien. Beide Parteien haben, im Vergleiche mit den vor . einigen Mona'en stattgefundenen Gern ein deratswahlen, große Einbußen an Stimmen zu verzeichnen. Das ist nicht die richtige Sühne..

Als Antwort auf diese Schandtat sollte die jü­dische Arbeiterschaft Polens diesen beiden Parteien, die nunmehr zum wiederholten Male dokumentiert haben, daß sie jedem Verantwortungsgefühles bar sind, völlig den Rücken kehren. Das ist die jüdische Ar­beiterschaft Polens sich selbst und clen jüdischen Arbeitern aller Länder schuldig.

Die Schande, daß im Lande der größ­ten jüd is chen Bev ölkerung der Welt keim einziger Vertreter der Jüdischen Arbei­ter in der höchste ngesetzgebenden Kör­perschaft'sitzt, daß unter den 14 jüdi­schen Abgeordneten auch nicht ein ein L zigerzurArbeiterschaftgehört, darfsich nicht mehr wiederholen.

Die jüdischen. Arbeiter Polens-sollten sich das zur Ehrenaufgabe machen. M. S.

nationale und unserer Genossen im England ist übri­gens in der letzten Zeit gelungen, wichtige Gesetze betreffend Jugend- und Frauenarbeit durchzusetzen. Auch auf dem Gebiete der kommunalem Verwaltung) sind Erfolge aufzuweisen. Diese Tätigkeit müßte na­türlich mit Unterstützung der Sozialistischen Inter­nationale, die sich mit der Lage in jenen Landern! genau befassen sollte, fortgesetzt werden.

Ich erachte es deshalb als wichtig, die Mandat­länder in dis Frage der Kolonialländer einzuschließen! und bitte, 'denselben die Fragebögen einzuschicken. Die Antworten, die die Arbeiterschaft jener Länder einschicken wird, sollen verwertet werden. Das wird von Nutzen für die ganze Sache sein."

Der Referent Genosse Vliegen stimmte dem Vor­schlage des Genossen Jahrblum zu.

Bei Behandlung der Entwaffnungsfrage ergriff Genosse Jahrblum abermals das Wort und erklärte, daß unser Verband im allgemeinen den vorgeschla- f genen Resolutionen und dem Ausführungen des 'Ge­nossen De BrouCkers zustimmt. Er hob besonders die Wichtigkeit einer allgemeinen taktischem Linie