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JÜDISCHE RUNDSCHAU

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Nummer 87 | Berlin! 1. XI. 1927

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ו׳ מרחשון תרס״ח | xxxn. Jabr ff .

Der Zionismus erstrebt für das Jüdische Volk die Schaffuna einer üffentllch - rechtlich gesicherten Heimstätte In Palüstlna. ״Baseler Programm.

Nach zehn Jahren

1 .

Haben wir schon die richtige Distanz, um das Er- eignis, das vor nun zehn Jahren in die jüdische Geschichte trat, historisch abzuschätzen? Noch stehen wir mitten in einem Geschehen, dessen Ende wir nicht voraus- zusehen vermögen, noch sind wir erfüllt von Gefühlen, die das tägliche Schicksal in uns wechselnd erzeugt. Die Bedeutung der Balfour-Deklaration wurde innerhalb des jüdischen Volkes verschieden beurteilt, von einem Teil des Volkes maßlos übertrieben, von einem Teil unter- schätzt. Für uns ist es heute wichtig, auf den Weg der letzten zehn Jahre zurückzublicken. Die Zeit ist nicht danach, in eitlen Rausch des Enthusiasmus zu ver- fallen; die Wirklichkeit ist stets nüchterner als die Träume, die in einer feierlichen Stunde mit einem großen Ereignis verknüpft werden.

Dennoch können wir einen solchen Tag nicht vorübergehen lassen! ohne uns Rechenschaft zu geben.

II.

Es ist dabei zunächst manches zu sagen, was in diesen zehn Jahren vielfach abgewandelt wurde, so daß es für unsere Ohren fast zur Phrase geworden ist Aber da in den Sorgen des Alltags oft die Neigung besteht den Wert des Erreichten zu unterschätzen, muß

III.

Was ist der Inhalt der Balfour-Deklaration, was hat sie gewollt? Ueber diese Frage wurde, nach dem Kriege, viel gestritten. Wenn w׳ir den Aeußerungen derjenigen Männer glauben sollen, die damals in vorderster Reihe für die Erfüllung der zionistischen Wünsche sich ein- setzten, dann meinte die Balfour-Deklaration die Schaffung eines Judenstaates. Freilich in einem sehr vagen, sehr unexakten Sinne, mehr als eine Parole denn als eine Realität Man nahm es in den Reden mit den Worten und

Foreign Office,

November 2nd, 1917.

Deai Lord RotbscMld,

I have much pleasure in conveying to you, on behalf of His Ma3esty»s,Government, the followlng declaration of sympatny with Jewish Zionist aspiratlons whlch has־ been snbmitted to, and approved by, the Cabinet.

Die Worte, die das Auswärtige Amt für die For mulierung der Deklaration gewählt hat, waren allerdings viel vorsichtiger. Sie enthielten nichts davon, daß Palästina so jüdisch werden sollte wie England englisch, sondern sie versprachen nur die Unterstützung der eng- lischen Regierung für die Errichtung der jüdischen Heim- statte in Palästina, wobei England ausdrücklich den Text ״Palästina als jüdische Heimstätte ablehnte. Im zweiten Teil der Balfour-Deklaration wurde mit voller Zustimmung der Zionisten, die dies sogar gewünscht haben, ausgesprochen, daß die Rechte der gegenwärtigen Bevöl- kerung Palästinas nicht beeinträch- tigt werden sollen. Der zweite Nachsatz, der sich auf die Rechte und den politischen Status der Juden in andern Ländern der Welt bezieht, suchte der Einwendung vorzubeugen, die von jüdisch-assi- milatorischer Seite erwartet wurde und sogar bereits in der englischen Presse laut geworden war, man könnte die Juden der Diaspora zwangsweise zu Bürgern eines künftigen jüdischen Staates machen wollen. Der Text der Deklaration war sehr elastisch; der von ihr ge- wählte, übrigens dem Baseler Pro- gramm entsprechende Begriff der ״nationalen Heimstätte ist in der

״Hls Majeaty*8 Government view ntb favourthe

Schreiben, das wir kurz als Bäl- four-Deklaration bezeichnen, das jüdische Volk als eine Nation an- erkannt worden, zum ersten Male ist in einem politischen Akt von dem jüdischen Volk als einer or- ganisierten Gesamtheit die Rede.

Die historischen Ansprüche des jüdischen Volkes auf Palästina werden zugegeben, das natürliche Recht jedes Volkes auf eine natio- nale Heimstätte wird auch auf das jüdische Volk erstreckt Die Freiheitsbewegung des jüdischen Volkes, vordem kaum zur Kennt- nis genommen, findet endlich ihre Bejahung. Der Gedanke der Be- freiung der kleinen unterdrückten Völker und ihres Selbstbestim- mungsrechtes, ihres Rechtes auf eigenes Leben, findet in der Bai- four-Deklaration seine Anwendung auf das jüdische Volk. Damit ist das jüdische Volk aus der Reihe der geschichtslosen Nationen wieder als ein aktiver Faktor in das Weltgeschehen eingetreten.

Die stärkste politische und wirtschaftliche Weltmacht hat ihre Bereitwilligkeit ausgesprochen, uns bei unserer nationalen Emanzi- pation zu helfen. Welche Motive dafür maßgebend waren, ist gleich- gültig. Es wird niemals ein voll- gültiger Beweis dafür erbracht werden können, ob etwa der Idealismus oder die Bibelfreundschaft einzelner eng- lischer Persönlichkeiten oder der Wunsch der Gewinnung der jüdischen Sympathien auf der ganzen Welt während des Krieges oder aber der Wunsch nach einer mora- lischen Legitimation zur Besitznahme Palästinas aus- schlaggebend war. Wahrscheinlich haben bei den ein- zelnen Persönlichkeiten diese und noch andere Gründe durcheinander gewirkt. Wichtig ist das Resultat. Die Balfour-Deklaration ist die Vorstufe des Palästina-Man- dates, in der nochmals unzweideutig die historische Ver- bund enheit des jüdischen Volkes mit Palästina und sein Anspruch auf Wiedererrichtung seiner Heimstätte in diesem Lande proklamiert wird. Diese Dokumente sind die Magna Charta der nationalen Befreiungsbestrebungen des jüdischen Volkes. In ihnen wurde verwirklicht, was das Baseler Programm des I. Zionistenkongresses als Ziel des Zionismus formulierte und was Theodor Herz! in den verschiedensten Formen zu erreichen versuchte.

esla

Jewish people, and will use the 11 best endeavours to facilitate the achievement of this ob^ect, 1t belng clearly understood that nothing shall be done whlch may pre^udice the civil and religlous rights of exlstlng non-jewish cornnunlties in Palestlne,or the rights and political Status en^oyed by Jews ln any other country״.

I should oe grateful if you would bring this deblaratlon to the Knowledge of the Zionist Federation.

i

mit Interpretationen damals nicht sehr genau; man ver- ließ sich darauf, daß in der ruhigeren Zeit nach dem Kriege alles schon irgendwie geregelt werden würde, im Wege einer natürlichen empirischen Entwicklung, zu der die Engländer ein seltsames politisches Vertrauen haben. Bei der bevorstehenden Neuordnung der Welt sollte auch die Judenfrage gelöst werden; ein idealistischer Politiker wie Lord Cecil, damals Mitglied des Kriegskabinetts, erklärte in einer großen Kundgebung am 2. Dezember 1917, es sei ein Ziel der englischen Kriegführung, daß Arabien den Arabern, Armenien den Armeniern und Judäa den Juden gegeben werde. Ganz in diesem Stile lag es, wenn Weizmann später vor der Friedenskonferenz auf die Frage, was unter dem Begriffe Jüdisches National- heim zu verstehen sei, antwortete, Palästina müsse so jüdisch werden wie England englisch, was schließlich von dem mächtigen Obersten Rat ohne Widerspruch hin- genommen wurde.

steht unzweideutig in dieser Dekla- ration: daß die englische Regie- rang sich verpflichtet, die Errich- tung der jüdischen nationalen Heimstätte zu erleichtern.

IV.

Nach dem Kriege war der Moment gekommen, wo sich der Sinn der Balfour-E>ek!aration er- weisen mußte. Nun erst wurde offenbar, welche Fülle von Pro- blemen mit ihr zusammenhing. Die Deklaration enthielt die Zu- Stimmung zur zionistischen Befrei- ungsidee, nun aber mußte sie ihrem Inhalt nicht in der Welt der Ideen, sondern im Bereich der irdischen Realitäten empfangen. Man erkannte nun schärfer als vorher, daß die Juden in einer exzeptionellen Lage sind. Es ge- nügt bei ihnen nicht eine Unab- hängigkeits-Erklärang, wie bei den Tschechen oder Polen, auch das Wort von der ״Selbstbestimmung ist wie Balfour selbst in seiner Rede in Albert-Hall ausführte auf Palästina nicht anwendbar. Hier konnte aus dem Chaos der Kriegsjahre nicht eine fertige Ge. stalt hervortreten, sondern die Idee hatte sich erst der Materie zu ver- mahlen, die Materie zu formen, und dies ist ein lang samer und mühseliger Prozeß, dessen Dauer nicht vorher Zusehen ist, wie bei jedem Wagnis und jeder Wander- schalt. Für die Juden bedeutete die Kreiierung ihres nationalen Heims nicht den Abschluß, sondern den Anfang einer Entwicklung. Praktisch gesprochen, handelte es eich um Einwanderung und Kolonisation, Schaffung jener geschlossenen Judensiedlung, die später staatsrechtlicher Träger der jüdischen Heimstätte sein kann. Alle beteiligten Faktoren sahen sich bei der Ver- wirklichung dieses Projektes Tatsachen gegenüber, mit denen man nicht gerechnet hatte. Palästina war ein wenigstens teilweise bewohntes Land, seine natürlichen Reichtümer waren vernachlässigt und mußten erst ent- wickelt werden, das Land konnte nur allmählich für einen größeren Zustrom von Menschen wirtschaftlich aufnahmsfähig werden. Die mit der Balfour-Deklaration verbundenen Parolen des Judenstaates wurden von der eingeborenen Bevölkerung mißverstanden; sie befürchtete