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JÜDISCHE RUNDSCHAU

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Nummer 88

Berlin, 4. XI. 1927

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ט , מרחשון תרס״ח | xxxn. Jahrg.

Der Zlonlsmua erstrebt fttr Oes JUdlsch« Volk Oie Schaffung einer atfentllch rechtlich gesicherten Heimstätte In Palästina. ״Baseler Programm."

eizmanm RüdfKelir am Paiäliina

Rede in Jerusalem

Wir haben in unserer vorigen Nummer Weizmanns Rede in Tel-Awiw wiedergegeben. Die zweite große Rede hielt er am 23. Oktober in Jerusalem, in einer großen Versammlung auf dem Sportplatz des Makkabi, die unter dem Vorsitz des Rabbi Ostrowski stattfand.

Weizmann besprach zunächst die Frage der Arbeits- losigkeit und der Erziehungskrise, die durch die Kürzung des Budgets entstanden ist Er führte dann aus: Wir, die Exekutive, sind an die Beschlüsse des letzten Kongresses gebunden. Ich wiederhole das in Tel-Awiw Gesagte: Wenn wir gezwungen sind, Reduktionen vorzunehmen, so tun wir dies nicht zu unserem Vergnügen. Wir machen keine Reduktionen nur um der Reduktionen willen. Wir stehen aber vor Tatsachen, die nicht wir geschaffen haben, über die wir nicht hinweggehen können. Ich kann nur versichern, daß wir nach Mitteln suchen werden, um die Lage zu mildern. Aber bis zu dem Tage, wo wir diese Mittel finden, sind wir an die Kongreßbeschlüsse gebunden. Ich glaube aber und dies ist nur eine Sache des Glaubens wie überhaupt vieles in unserer Bewegung Sache des Glau- bens ist ich glaube alscx <jaß die Teilnahme aller schöpferischen Kräfte hier in#tande an diesem Problem der Exekutive es erleicirtÄrh wird, diese brennende Frage zu regeln. Ich werde alles, was nur in meiner Kraft liegt, tun, um die Lage zu lindern, aber ich kann Jetzt keine Ver- sprechungen machen» solange ich keine Aussicht sehe, wie diese Versprechungen in nächster Zeit einzuhalten sind.

lieber das politische Problem,

soweit es die gegenwärtige Lage betrifft, will ich nur einige Worte sagen: Sre haben vielleicht die Rede des Ministers Amery in Johannesburg gelesen. Sie zeigt, daß in der Stel- lung der englischen Zentralregierung keine Aenderung ein- etrflen ist. Wenn man $ber va!|: den al!§.en«i«ft 1 Linien er Politik zu ihrer Verwirk fle h ung 1m Carole Über- geht, so zerfällt diese in tagtägliche größere und kleinere Tatsachen, und da zeigt sich, daß die Verwirklichung immer schwerer ist als die Konzeption des Ideals selbst. Wir können aber eine immer größere Beteiligung der Regierung an der Aufbauarbeit verzeichnen, und ich hoffe, daß dies in der nächsten Zeit noch mehr der Fall sein wird. Die Regierung beteiligt sich direkt und indirekt an der Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit, und wir hoffen, sie dahin zu beeinflussen, daß sie die Durchführung der öffentlichen Arbeiten, die auf der Tagesordnung stehen und die für die Entwicklung des Landes erforderlich sind, beschleunigt. Die Stellungnahme ,der Regierung hängt freilich von ihrer finan- ziehen Lage ab. Auf dem Kongreß fielen scharfe Aeuße- rungen über die Ueb er schüsse in der Regierungskasse. Ich habe mich nach Prüfung der Frage an Ort und Stelle überzeugt, daß diese Gerüchte in hohem Maße über- trieben sind. Wenn man daher große Hoffnungen auf diese Ueberschüsse gesetzt hat, so waren diese Hoffnungen vielleicht nicht vergeblich, aber ein wenig übertrieben. Ich hoffe, und ich bin dessen fast sicher, daß es uns gelingen wird, in der nächsten Zeit unter gewissen Bedingungen eine größere Zusammenarbeit zwischen uns und der Regierung bei den durchzuführenden Arbeiten zu erreichen. Wir werden uns selbstverständlich bemühen, die besten Bedingungen zu erzielen. Dies hängt aber nicht nur von uns ab. Es wird gegenseitiges Verstand- n i s erforderlich sein, um diese Mitarbeit zu erleichtern. Das sind aber alles nur provisorische Dinge, Palliativmittel, um die gegenwärtige Lage ein wenig zu lindern. Die einzige zentrale Lösung ist aber, die produktiven Kräfte, die jetzt vergeudet werden, für ständige produktive Kräfte beim Auf- bauwerk zu verwenden. Meines Erachtens ist dies der Zen- tralpunkt, nämlich daß wir die Regierung auch dahin be- einflussen, daß sie sich nicht nur an provisorischen Arbeiten beteiligt, sondern auch an unserer zentralen Arbeit, d. h. Ueberfßhrung einer größeren Zahl von Menschen aus ihrem gegenwärtigen Zustande zu ständiger produktiver Arbeit beim Aufbauwerk. Die neue Exekutive wird an all ihren Plänen von d i e s e r Richtlinie geleitet. Keine Exekutive wird Erfolg haben, wenn sie nicht alle ihre Kräfte anstrengt, um der Vergeudung der Kräfte unserer jungen Menschen, die ins Land kamen, voll Sehnsucht nach produktiver Arbeit, ein Ende zu setzen.

Noch einige Worte über eine weitere brennende Frage, die der

Industrie.

Die palästinensische Industrie ist noch sehr jung. Ueberall, wo die Industrie sieh noch im ersten Stadium ihrer Entwich- lung befindet, muß man Wege suchen und im Dunklen tappen. Oft pflegen Gesetze geschaffen zu werden zur Förderung des Schutzes der Industrie. Aber über den Wert solcher Gesetze bestehen immer noch große Meinungsver- schiedenhciten. Es liegt aber gar kein Grund vor anzu- ' nehmen, daß die Regierung systematisch die Entwicklung Jer Industrie stören würde. Im Gegenteil, sie will alles , mögliche unternehmen, um der jungen Industrie im Lande 1 zu helfe n. Was nun die Erregung über den Handels- vertrag mit Syrien betrifft, so kann ich doch, wenn ich ' auch noch keine feste Versprechungen geben kann, da es sich hierbei um eine internationale Sache handelt, die nicht ,׳ allein von der palästinensischen Regierung abhängt, sagen, daß wir unsererseits alles getan haben, um Schäden dieses I Vertrages für die einheimische Industrie zu vermeiden. Ich 1 glaube, daß unser Einfluß groß genug sein wird, um diese ij Schäden auszumerzen.

Weizmann schloß seine Rede rnit folgenden Worten:

In zwei Tagen verlasse ich Palästina, um von Land zu Land zu gehen, und die Eindrücke, die ich hier gewonnen habe, wiederzugeben. Diese Eindrücke sind folgende: Wenn es auch zeitweilig ernste und große Schwierigkeiten gibt, so sind doch große Möglichkeiten vorhanden. Seitens des Jischuw, seitens der Exekutive und auch seitens der Re- gierung herrscht der ernste Wille, diese schwere Zeit ihrem Ende zuzuführen, eine Periode der Arbeit herbeizuführen, eine Periode der Erweiterung der Arbeit, Erweiterung der Kolonisation Und des Beginns einer geordneten großen Ein- Wanderung. Ich hoffe, daß, wenn wir uns Wiedersehen, diese bessere Zeit angebrochen sein wird und daß wir dann einander werden erzählen können von der schweren Zeit, in der wir jedoch alle Leiden voll Verantwortung getragen haben.

Wichtige Beratungen

Wie ״Dawar״ mitteilt, fand am 21. Oktober in Jerusalem die angekündigte Konferenz zwischen der zionistischen Exe- kutive mit der Arbeiterorganisation statt. Von der Exekutive waren anwesend Dr. Weizmann, Sacher, Van Vriesland, Bawli und die anderen Sekretäre. Von seiten der Histadruth: Aronowicz, Beilinson, Golomb, Harzfeld, Jawnieli, Berl Katznelson, Kaplansky, Sprinzak, Schkolnik. Die Sitzung dauerte mehrere Stunden und war vor allem der Frage der Umwandlung der Arbeitslosenunterstützung in Arbeit sowie der geplanten Sonderaktion gewidmet. Ferner wurden die Be- Ziehungen der zionistischen Exekutive zur Arbeiterorganisation sowie einige brennende prak- tische Fragen besprochen, darunter die Frage der Erfüllung der verschiedenen Verpflichtungen der Exekutive gegenüber den Arheiterinstitutionen. Elite endgültige Antwort wurde seitens der Exekutive noch nicht gegeben, und die Verhand- lungen werden in einer kommenden Sitzung fortgesetzt werden.

*

״Dawar" berichtet über eine Sitzung des Präsidiums des Waad Leu m i mit der zionistischen Exekutive, worin Dr. Lurie erklärte, das Minimalbudget des Erziehungs- Wesens müsse £ 67 000 betragen. Entweder man müsse also eine Spezialaktion für einen Erziehungsfonds gewinnen oder die Hadassah müßte das Budget der Kindergärten von £ 13000 übernehmen. Dr. Weizmann berichtete, er habe eine Sitzung mit der Unterrichtsabteilung der Regierung gehabt und es bestehe die Hoffnung, das Erziehungswesen im Rahmen des vorgesehenen Budgets von £ 53 003 zu regeln; aber die Sache erfordere einen Monat Zeit. Der allgemeine Eindruck scheint gewesen zu sein, daß der einzige Ausweg in der Uebernahme der Kindergärten durch die Hadassah ist.

In derselben Sitzung wurde auch über die Lage auf dem Arbeitsmarkt gesprochen, wobei besonders der Umstand hervorgehoben wurde, daß die Stadtverwaltung der in ihrer Mehrheit von Juden bewohnten Stadt Jerusalem keine Arbeit an Juden vergibt. Herr Sacher versprach, diese Frage demnächst in einer speziellen Beratung mit den Ver- tretern der Arbeiterorganisation zu besprechen.

Die erste zionistische Konferenz in Australien

Aus Melbourne wird uns geschrieben:

Auf die Initiative von Dr. Alexander G 0 1 d s t e i n , dem zionistischen Delegierten aus Australien, wurde am 19 . Sep- tember die erste australische zionistische Konferenz in Mel* bo u rn e abgehalten. Es war dies die erste jüdische Konferenz überhaupt, der Delegierte der verschiedenen Staaten Austra- liens angehörten. Die zionistischen Verbändealler Staaten sandten Delegierte. Nach einem Referat von Dr. Alexander Goldstein wurde die Bildung einer australischen zio- nistischen Föderation mit einem Exekutivkomitee in Melbourne einstimmig beschlossen. Mr. Alex Masel legte die Statuten vor, die angenommen wurden. Hierauf fand eine Dis- kussion über zionistische Propaganda sowie über die Arbeit des Keren Hajessod und Nationalfonds in Australien statt und es wurden eine Reihe von Beschlüssen angenommen. General Sir John Monash, der während des Krieges Oberbefehls- haber der australischen Armee war, gab seine Zustimmung, zum Ehrenpräsidenten gewählt zu werden. Zum Präsi- denten wurde M. Zeltner gewählt. Die Konferenz beschloß, Dr. Alexander Goldstein als Gründer der australischen zionisti- sehen Föderation in das Goldene Buch eintragen zu lassen. Die nächste Konferenz wird 1928 in Sidney abgcnalten werden.

Die Frauenorganisation Hadassah in Kanada hat der Ktipath Cholini (Arbeiterkrankenkasse) in Palästina den Beschluß ihrer letzten Versammlung mitgeteilt, wonach sie für Errich tting eines zweiten Stockwerks auf dem Arbeiter-Erho- lungsheim in Mozah einen Betrag von £ 1000 zur Ver- fügung stellt, nachdem sich die kanadische Hadassah bereits früher an den Kosten der Möblierung des ersten Stockes mit 2000 Dollar beteiligt bat ,

Arbeitsreiche Tage

Palästina-Exekutive und Jischuw

Ein neuer Experte

RW, Berlin, 3. November.

Dr. Weizmann hat nach vierwöchentlichem Auf enthalt Palästina wieder verlassen und kehrt nach Londot zurück, wo er zu dem Bankett, das dort anläßlich des zehnten Jahrestages der Balfour-Deklaration am 10. No- vember stattfinden wird, erwartet wird. Er hat eine Zeit schwerer Arbeit hinter sich. Wer in den palästinen- sischen Zeitungen das tägliche Arbeitsprogramm Dr. Weizmanns verfolgt hat, wer gesehen hat, wie er von Siedlung zu Siedlung, von Stadt zu Stadt und von Sitzung zu Sitzung jagen mußte und überall schlichtend und beruhigend zu wirken hatte, kann sich einen Begriff davon machen, welche Anspannung der Kräfte und Nerven zur Absolvierung dieses Pensums gehörte. Wäre die Stimmung in Palästina eine bessere, dann wäre diese physische Anstrengung sicherlich leicht zu tragen gewesen. Aber Weizmann kam in einer Zeit der De- pression. Der Winter naht heran, die Arbeitslosenkrise dauert besonders in Tel-Awiw weiter an, und die Enttäuschung des Jischuw über den Kongreß, von dem man eine befreiende Tat erwartet hatte, äußert sich in allgemeinem Räsonnement. Man ist in Palästina leicht geneigt, die Ursache für wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht in objektiven Faktoren, nicht in dem Mangel an Kapital und produktiver Initiative, sondern in dem Ver- sagen zionistischer Instanzen, etwa des Kongresses oder der Exekutive, zu sehen. In Zeiten der Not set?t man übertriebene Hoffnungen auf den Kongreß, ohne zu be- denken, daß im heutigen Stadium der zionistischen Ent- Wicklung der Kongreß wenig Entscheidendes für den unmittelbaren Aufbau des Landes tun kann. Die Ein- setzung der neuen Exekutive hat, wie der Korrespondent der ״Times hervorhebt, besonderes Mißfallen erregt, weil sie ״anglo-atnerikanisch ist und keine Vertretung des früher in der Bewegung vorherrschenden Ostjuden- tums enthält. Es ist charakteristisch für die herrschende Verwirrung, wenn diese Exekutive, die von den Arbeitern scharf bekämpft wird, von den bürgerlichen Elementen z. B. Herrn Suprasky in seinem Kongreßreferat als eine verkappte Arbeiterregierung bezeichnet wird. Die Exekutive beginnt ihre Tätigkeit mit einem stark gekürzten Budget, dessen Durchführung gerade zu Beginn des Jahres natürlich auf große Hindernisse stößt. Ihr da- durch erzwungenes Verhalten trägt nicht dazu bei, sie populär zu machen.

Es war ein glücklicher Gedanke Dr. Weizmanns, unmittelbar nach dem Kongreß selbst Palästina zu be- suchen und bei der Amtseinführung der neuen Exekutive anwesend zu sein. Dr. Weizmann wird viel bekämpft, seine politische Tätigkeit wird oft scharf kritisiert, aber er besitzt die Liebe und das Vertrauen des Volkes, das eine feine Empfindung für seine elementare nationale Leidenschaft hat. Er wurde gleich bei seiner Ankunft als der Freund apostrophiert, der mehr Verständnis und mehr Gefühl für die Nöte des Jischuw haben müsse als die Anglo-Amerikaner. Dieses Vertrauen zu bekräf- tigen und es auch auf die neue Exekutive zu erstrecken, war der Sinn und das Bestreben von Weizmanns Tätig- keit. Dr. Weizmann versuchte dem Jischuw klarzu- machen, daß es nicht böser Wille der Exekutive ist, wenn heute an eine Umgestaltung des Budgets und der zionistischen Verwaltung geschritten werden muß. Unser ganzes politisches Prestige steht auf dem Spiele. Gerade in den westlichen Ländern gilt der Grundsatz der ״ge- sunden Verwaltung, die sich darin ausdrückt, daß die Ausgaben streng im Rahmen der Einnahmen gehalten werden, als Prüfstein politischer Reife und Mündigkeit. Wir Juden haben darin noch zu wenig Erfahrung, und wir begannen vor sieben Jahren unsere Arbeit als eine Gleichung mit mehreren Unbekannten. Heute aber muß die Periode des versuchsweisen Vorwärtstastens abge- schlossen und unsere Verwaltung stabilisiert werden, da- mit wir jenen Apparat einer Leitung bekommen, der allein geeignet ist, erfolgreiche, ständig fortschreitende Arbeit zu leisten und katastrophale Erschütterungen und Rück- schlage so weit als möglich zu verhüten. Diesen Ueber- gang herzustellen, ist die Aufgabe der neuen Exekutive, und Dr. Weizmann versuchte, das Verständnis des Jischuw für diesen Sachverhalt zu gewinnen. Es ist .sicherlich ungeheuer schwer, nach jahrelanger öewöh-