JÜDISCHE RUNDSCHAU
SCHAWITOTII-BEILA^E
Nr. 44/45, 3. JUNI 1938
Das Gebet des Propheten Habakkuk
Psalmen
Von Arthur Silbergleit
I.
Wenn ich zwischen den Rebenbündeln Deiner Weinberge Hang an Hang zu Dir emporschreite und über mir den Riesenkelch Deiner Sonne gerundet schaue, bete ich zu Dir, o Herr aller Weltenherrlichkeiten: Wölbe auch mein Herz zu einer Riesentraube, aus der die Winzer zu Deinem Cinaden- fest alle Sülle meiner Träume keltern und sie Dir in Sonnen- schalen und Sternen bechern kredenzen. Sei Du mir Stab und Pfeiler, an dem ich Frucht und Blätter emporranke und Deinem ewigen Lenz in meinen grünen Laubgewinden eine hauchgewiegte Girlande der Schönheit flechte. Ueberblaue mich mit der Leuchtkraft Deiner veilchenfarbcncn Himmel, hülle mich in die weißen Schabbatgewänder Deiner Frie- denskleider, Morgenwolken und Monde! Lasse mich in Deinen Abendröten das zu Dir in Myriaden Purpurfontänen ätherwärts emporgeströmte Blut aller Herzen benedeien, die gleich dein meinen der Winzer Schmerz kelterte und gib, daß auch mein roter Lebensfeuerstrom einmünde in den Becher aller Becher: in Deine Meere und den Traum jeder Traube ausschöpfende Riesensecle.
II.
Manchmal dämpfen die Seemöwen über Deinen Ozeanen das Rauschen ihrer Fittiche, um in den Psalmen Deiner ab- grundtiefen Gewässer Deine Ewigkeitsstimnie zu vernehmen, und sie flügeln so leise über alle Riesenvveiten Deiner Fluten dahin, als wollten sie auch die geheimnisvolle Musik Deiner Märchen und Deine Jahrtausendsagen in den Gesängen der Muscheln, der bunten flutgeschaukelten Traum wiegen Deiner Perlen, erlauschen und die Symphonien aller Welten, aller in Deine Meere eingeströmten Bergwaldbäche, Fontänen und Menschentränen erhorchen. Dann scheinen sich die Tauben die weißen Schwingen ihrer Luftgefährtinnen, der Wolken, zu leihen, um leiser und nur von Geheimnissen aufschauernd über Deine mystischen Reiche andachtsvoll dahinzugleiten, über die einmal der Messias irn lichten Friedensgewande wie über einem Ewigkeitsteppich hinschreiten wird. Und die Oel- Wälder Deiner Meerestifer erschimmern in gew׳cihter Klar- heit, als wollten sie Deinen Locken schon die Ahnungen ihres reinen Salböls schenken, und alle Gestirne funkeln Dir williger als je ihre Bereitschaft, sich als Stirnband um Dein Haupt zu schmiegen. Du aber, o Herr, lächelst Dein Sonnenlächeln aus den Fenstern Deiner Feste, Deiner blauen Himmelsburg, über die Sehnsucht Deiner geflügelten Kinder, und es er- glänzen sodann alle Ozeane wie lichte Spiegel Deiner inner- liebsten Seelenlieiterkeit, und selbst die schwarzen Sklaven- galeercn auf Deinen Ozeanen erscheinen wie Lustbarken seliger Hochzeitspaare bunt geschmückt, und der Morgen- und Abendwind in ihren Segeln hallelujat die Hosiannas Deiner Herrlichkeit.
III.
fn mannigfachen Byssustrachten, Purpurkleidern und gold- durchwirkten Festgewändern nahen wir Dir, 0 Weltenfürst, aber am Tage, da die Posaune des jüngsten Gerichts auf- donnert, hüllen wir uns in die lichten und dunklen Linnen unserer Sterbehemden und ein jeder von uns, Ahasver und zugleich wohl Priester seiner Sehnsucht, fühlt auf seinem Herzen eine Bundeslade ruhen, deren beschwichtigende See- lenkraft unser wildes Märtyrerblut sänftigt, daß wir nicht jäh erschüttert Klage um Klage ausstöhnen. Aber durch die Versammlung unserer Totcnklcider braust uns das Gewand Deines ewigen Lebens Segensweisen und Trostmelodien zu, und durch die großen Trachtenhallen, wo wir Mittcr- nacht um Mitternacht unsere Sterbehemden auf Ständern aufgereiht träumen, stürzen Deine Himmelswinde ein, die unsere Hüllen bauschen und die Deine Hohenlieder auf- rauschen lassen. Einmal jedoch wirst Du, uns zuweilen im Gesicht des Mondes Sichtbarer, Dich vermummen, Dich in eines unserer Sterbehemden schmiegen und mitten unter uns, von blauen Ampelfluten gebadet, in einem uralten Ge- betsstuhl sitzen. Aber wir werden trotz Deiner Verklei- düng Deine Nähe erfühlen und vor Glück aufschauern, daß Du noch in unseren Sterbehemden, Unsterblicher, uns gegen- wärtig bist. Und alle Tempelkcrzen werden vor Uebcrwonne schluchzen, und alle Davidspsalmcn werden Dir rauschend noch einmal rhapsodieren. Und alle goldenen und erzgetrie- benen Kelche voll süßen und herben Traubensaftes werden sich Deinen Lippen entgegensehnen und entgegendehnen, und die Muster aller Tempelteppiche werden hunfe Reigen um Deine Fiiße schlingen. Und wir werden Dich zu Deinem Allerheiligsten geleiten, und der Hohepriester wird ehr- furchtsvoll und dienstbereit vor Deiner Majestät zurücktreten, wenn Du uns aus einer Deiner Gesetzesrollen Deine Ewig- keitsworte liest. Und alle Opfersteine werden vom Blut jun- ger Zicklein und Widder dampfen. Und die Hauchsäule un- seres Odems wird Dir nachsteilen, wenn Du uns in dersel- ben Geheimnisnacht, in der Deine Herolde auf den Zinnen Deiner Veste die Frevler mit der Wucht ihrer Posaunen- stoße erschüttern und zu Dir bekehren, die sanfte Jericho- rose Deines Herzens erschließt.
IV.
Ich war einst o Ewiger, Gast in der Herberge Deines Himmels, vor dessen blauer Pforte das Sonnenschild groß und gülden aufblinkt. Engel wurden meine Diener, wuschen meine Seele mit Morgentau, kleideten mich in Deine aetherischen Gewänder, schenkten mir ihre Lilienzepter und schmiegten mein Haupt in deine weichen Wolkenkissen. Und manchmal dünkte mich im Traum, daß sie mir ihre narzissenweißen Fittiche geschenkt hätten und daß meine aufrauschenden Schwingen in ihrem Hall durch die Himmel mit den Lüften und Vögeln Zwiesprache hielten. Und zuweilen klopfte ich ganz leise und andachtsvoll mit dem Zepter einer Lilie an Deine Pforte: O Herr, erschließe meiner Pilgersehnsucht zu Dir als Allerheiligstes Deine Sele, vor deren Traumherriich- keiten die windgewiegten sieben Geheimnisschleier wimpcIn und wandle mich zu einem Deiner Seraphe und Cherubine, die früh und abendlich mit ihren wie zum Gebet gefalteten Schwingen vor Deines Herzens Tempeltiefen andachtsvoll niederkauern, und deren Augen wie Sterne in der Finsternis Deine tiefsten Abgründe suchen, auf daß ich in selbsterwähl- ter Frohn vor Dir meiner Freude Ucberfreude empfange, wenn längst die Hallelujalaute und die Hosianuachöre der Lerchen, Deiner Wolkentänzerinnen, von den schrillen Sehn- suchtsschreien Deiner Bergadler übergellt wurden! Lasse mich auf den Felsenkanzeln Deiner Geier im Zephirhauch das leiseste Geläut Deiner Glockenblumen und in den Tiefen Deiner Täler Deine majestätisch brausenden Hochwaldwasscr- psaimen und die alten, sagenhaften Tropfenabgesänge Deiner regenbogenbunten Grotten vernehmen! Schenke mir in einer Deiner kleinsten irdischen Aetherschwestern, einer schma- len blauen Enzianblüte, alle Herrlichkeitsahnungen Deiner Himmel. Lasse mich auch unter Deinen grünen Laubwölbun- gen alle heimlichen Zwiegespräche der Rehe mit dem Wald- eist erlauschen und gib meinem eigenen Gesang die silberne timme eines Quells, der noch ersterbend im Geröll und Haldensand bis zuf Heimkehr zu seiner großen grünen Mutter-Stille immer wieder Deinen Namen flüstert
Zur Haftara am 2. Tag Sdiawuoth
Iin Talmud-Traktat ״ Megillah“ wird außer der üblichen Thora-Vorlesung für das Wochenfest auch der Pro- phcten-Abschnitt des zweiten Festtages, nämlich das driltc Habakkuk-Kapitel, angegeben. Es ist das Gebet des Pro- phtten, ein typischer Psalm, der den Inhalt der Haftara bildet. Im Zusammenhang mit dem dreiteiligen Pronhetcn- buch (dem achten der ״ Zwölf kleinen Propheten“) haben die 10 Verse dieses lose angehängten Schlußkapitcls ( ״ I lehruf Chabakkuks des Künders nach der rasenden Weise“, wie Buber תפלה לחבקוק הנביא על שג 4 נ 1 ת übersetzt) von jeher be- sondere Schwierigkeiten für das Wort- und Sinnverständnis geboten.
Die bisherige reiche Literatur zu ״ Habakkuk“ (der Name ist nicht hebräisch, deckt sich mit dem assyrischen harn-
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Haftara zum 2. Tag Schawuoth
Mag denn die Felge ntdit blöhn,
kein Ertrag an den Weinstöeken sein,
der Trieb des Oelbaums versagen,
die Flur Speise nicht treibe«,
die Schafe der Hürde entrissen
und kein Rind mehr sein In den Ställen:
Ich, (reuen will Ich midi SEIN,
Jubeln des Gölls meiner Freiheil.
ER, mein Herr, ist meine Madil,
er lä&l meine Füße wie der Hindinnen werden,
über meine Kuppen läßt er midi schreiten.
Habakkuk III, n~ 19 Uebei seilt von Martin Buber
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bakuku, einem Gartengewächs, und lautet in der Septuaginta: Apßxo'za) wird in erfreulicher Weise nach langem Stillstand weiterbewegt durch eine umfassende Neuinterpretation, die der jüdische Gelehrte, Professor Umberto Cassuto, Rom, in italienischer Sprache vorlegt. (Umberto Cassu- to, II capitolo 3 di Habaquq cd itesti di Ras Shamra [Collegio Rabbinico Italiano: Annuario di Stueii ebraici, diretto da Umberto Cassuto 1935—1937 — Raccolta di studi in memoria di Angelo Sacerdoti. Roma 1938].) Die Lösung des Rätsels, das der Psalm des dritten Kapi- tels aufgibt, liegt in der Aufdeckung der Anspielungen auf Zeitumstände der kananäischen Umwelt, wie sie manch- mal an der Wurzel der biblischen Poesie und Prophetie ver- borgen und kaum mehr deutbar liegen. Den Schlüssel zu Ha- bakkuk hat Cassuto in den Ergebnissen der Ausgrabungen von Ras Schamra gefunden. Geht man vom nordöst- liehen Endpunkt der Insel Cypern weiter nach Osten hinüber zur syrischen Küste, so trifft man auf den kleinen Hafen, den heute di« arabischen Eingeborenen Minet el-Beida (Weißer Hafen) nennen. 1 km südöstlich landeinwärts liegt der Hügel Ras Schamra, der ״ Fenchel-Hügel“, das altorientalische Uga- rit, aus den Amarna-Briefen bekannt. Der nächste größere Ort ist das 12 km südlich an der Küste gelegene Ladikije, die hellenistische Gründung Laodicea. Französische Forscher haben 1929—1932 an dieser nordsyrischen Ruinenstätte in der obersten Grabungsschicht, die dem 14.—12. vorchrist- liehen Jahrhundert angehört, Bauwerkreste eines Tempels entdeckt. Am bekanntesten aus dem großen Ausgrabungs- befund ist die fast ganz wiederhergestellte Weiheinsehrift des königlichen Schreibers und Schatzaufsehers Mami an den Gott Baal-Zephon geworden. Die Keilschrifttexte aus der im östlichen Tempelteil gefundenen Bibliothek und Schreiber- schule boten teils Briefe und grammatische Listen in leicht
Der Dichter Salomnn Blumengarten, der unter dem Pseudonym Jehoasch die jiddische Literatur um eine große Zahl schöner jiddischer lyrischer Gedichte und Balladen bereichert hat, hat die gesamte Bibel ins Jiddische übertragen. Jehoaschs jiddische Bibelübersetzung erjreüt sich hei den Jiddisch-Sprechenden in aller Welt einer ungemöhn- liehen Popularität. Wir bringen hier in Transkription das erste Kapitel des Buches Ruth. (Red.)
Kapitel I
1. Un es is gewesen in di tag wenn es hoben gerich- tet di richten un es is geworen a hunger in !and, un aweggegangen is a mann fun Bejs-Iechem in Jchudo, zu wojhnen in di felder fun Mojow, er un sajn wajb un di zwej silin 1 ) sajne.
2. Un der namen fun dem mann is gewen Elimelcch un der namen fun sajn wajb No’omi un der naincn fun di bejden sihn sajne Machlojn un Chiljojn, fun Efros, fun Bejs-Iechcm in Jehudo. Un sej sajnen gekummen in di felder fun Mojow un sajnen dort farbliben.
3. Un geschtorben is Elimelech der mann fun No’omi, un ibergebüben is si un di zwei sihn ire.
4. U 11 sei hoben genutnmen far sich wajber fun Mojow; der namen fun ejne is gewen Orpho un der namen fun der zwejfer Russ, un sej hoben dort gewojhnt arum 2 ) zehn jor.
5. Un geschtorben sajnen ojeh 3 ) sej bejde — Machlojn un Chiljojn, un ibergebliben is di frau ohn ire kinder 1 m ohr» ir mann.
6. Un ojfgehojhen sich hot si un ire schnir 4 ), un si hot sich zurikgekchrt fun di felder fun Mojow, den si hot geliert in dem feld fun Moiow, as Gott hot sich dermohnt'׳) on sajn volk, sej zu schenken brojt.
7. Un si is aweggegangen fun dem ort wu si is ge-
wesen, un die bejde schnir ihre mit ir, un sei sajnen gegangen in weg um sich zurikzukehren zu dem land Jchudo.
8. Un gesogt hot No’omi zu ihre zwej schnir: gejt,
kehrt sich um, itliche 6 ) zu dem haus fun ir mutter, sol Gott ajeh ton guts asoj wi ir hot geton mit di geschlorbene un mit mir:
9. Gott soll ajejt geben un Ir sollt gefinen 7 ) an obruh*),
itliche in dem haus fun ir mann. Un si hot sej geküsst un se ; hoben ojfgehojhen sejer schtim un hoben gcwejnt.
19. Un sej hoben gesogt zu ir: blojs 9 ) mit dir zusamen
wellen mir sich umkehren, zu dajn volk.
11. Un gesogt hot No’omi: kehrt sich um, techter majne,
entzifferbarer babylonischer Schrift, teilweise in einer bisher noch nicht bekannten alphabetischen Schrift, also in einer reinen Buchstabenschrift (ohne Silbcnzcichcn, Determinative oder Ideogramme wie bei der bisher bekannten Keilschrift). Der heutige Stand der Entzifferung und Erforschung der Ras- Schamra-Texte — seit 1933 über die von Dr. Ernst Cohn- W'iener in der ״Jüdischen Rundschau“ vom 12. Dez. 1933 berichteten Ergebnisse vor allem dank der Arbeiten von H. L. Ginsberg, Jerusalem, weit fortgeschritten — erlaubte es Cassuto, den zeitlichen Hintergrund des Habakkuk-Ge- betes mit überraschender Deutlichkeit fcstzustellcn und so den ganzen Propheten gegenüber der bisherigen Forschung neu zu erklären. Die Alexander-Hypothese ist damit endgültig begraben, ln den epischen Texten, die man in dem Grabungs- hügel von Ras Schamra gelunden hat, spielt eine Hauptrolle der Kampf der beiden Götter Mot und Alijan Baal aus der kananäischen (westsemitischen) üöttcrmythologic. A !1 der Spitze dieses Pantheons steht El, der uralte Gott mit zahl- reichen Söhnen. Die Göttermutter ist Aschera, die Schöpferin der Götter, auch Elat genannt. Alijan Baal thront auf den Höhen des Berges Zephon, des Mons Casius nördlich von Ras Schamra; sein Gegner ist Mot, der Todesgott, der Gott der Unterwelt, wo sich die Schatten der Verstorbenen bewegen. Die Vorstellung vom Götterkampf zwischen dem Ciott des Himmels und dem Gott der Unterwelt mit ihrer gesamten Gefolgschaft hat, wie aus unsere;! Prophetcnbüchcrn ersieht- lieh, auf Alt-Israel einen tiefen Eindruck gemacht. Wir wissen, wieviel davon auf indirektem Wege trotz, des leidcnsehaft- liehen Kamples der Pronhetcn gegen den Baalsdienst in die al israelitische Kosmologie und Totenvorstcllung eingedrungen ist. Cassuto zieht Psalm 74, 12—14 und Hiob 40 mul 41 als Beispiel heran für d׳e Aulsaugung der kananäischen Mv- thologic durch die biblischen Bilder von der einzigen und höchsten Macht und Uebermacht der mit JHWH bezeichnctcn, unaussprechbaren Gottheit, des allmächtigen Gottkönigs über Israel und alle Völker.
Von hier aus empfängt auch der Psalm in Habakkuk, III. Kapitel, vor allem die Vision von dem Zweikampf Gottes mit dein Weltbeherrscher das richtige Licht. Cassuto gelingt es, unter Heranziehung aller Parallelen und der gesamten bisherigen exegetischen, rcligionsgcscliichtlicheri und sprach- wissenschaftlichen Arbeit auf diesem Gebiet darunter be- sonders H. L. Ginsbergs Studien — den schwierigen Stellen und Zusammenhängen in dem Prophetenbuch und seiner Be- riffswclt eine neue bedeutsame Grundlage zu geben. Ein lick in unsere beiden neuesten deutschen Ucbcrset/ungen des Buches Habakkuk (von Buber und Torczyner) belehrt darüber, wie unsicher und wenig eindeutig an vielen Stellen dieses biblischen Stückes die Wort- und Sinnerklärung (ganz zu schweigen von dem Sitiiationsverständnis) bis heute war.
Der Aufbau des ganzen Psalms im dritten Kapitel, Satz- Verständnis und Wortbedeutung werden durch Cassutos Auf- deckung der Beziehung zu den Ras Schamra-Texten klarer. Die religiöse Sinngebung hat sich ja auch bei diesem prophe- tischen Gedicht von dem rein wissenschaftlichen Text- und Situationsbcfund, also von den Entscheidungen des nach philologisch-historischen Methoden streng vorgehenden For- schers, gänzlich unabhängig gemacht. Aber gerade an einem so knappen Bibelstück ist zu ermessen, daß nur die intimste, den ganzen Beziehtingsreichtuin jeder Zeile umfassende Kenntnis des Wortlauts, ja der Kampf mit diesem Wort- bestand, zur Wesenserfassung des mit der ״Bibel“ Gegebenen führen kann. Sonst bleiben uns homiletische Zitate, sonst nichts, zurück. Daß diese vom Bibeltext sehr weit weg- führen, statt zu ihm hinzufüliren, lehrt gerade ״Habakkuk“ und der berühmteste Satz daraus (II, 4): ״Der Gerechte wird seines Glaubens leben.“ Zuversichtliche Erwartung, daß Gott der Bedrückung seines Volkes bald ein Ende macht, ist das Gesamtthema der drei Kapitel des Prophetenbuches. Das ge- niigt für den, der mit Andacht die Haftara am ,.Schewuos“ liest. Kein Jota wird von dieser tiefen Andacht genommen, wenn sich der fromme Leser oder Hörer — etwa unter Führung Cassutos, Btibcrs und Torczvncrs — an den Ver- such eines echten Textverständnisses wagt.
Dr. Ludwig F euch twa n ge r, Miinchen
zu wos solt ir gejn mit mir? Sajnen 1 '') den noch do sihn'• 1 ) in majn lajb, un sej solen sajn mannen far ajeh?
12. Kehrt sich um, techter majne, den ich bin zu alt zu gehern a mann. Un wen ich sollt schoju sogen, es is far mir do a hoffenung, un ich sollt noch hajntige 1 -) nacht ge- hern a mann, un soll ojeh gebäret! sihn —
13. Wet 1 •) ir ojf sej warten bis sej wellen grojss weren? Wet ir zulib sej ajnsam hlajben um nit zu gehcren zu a mann? Nejn, techter majne, den mir is viel bitterer fun 14 ) ajeh, den ojf mir is ojsgegangen di hand fun Gott.
14. Un sej hohen ojfgehojhen sejer schtim un sej hoben ewcjnt, un Orpho hot geküsst ir seimiger 1 ■' ׳ ), ober Russ ot geklcpt 1 «) zu ir.
15. Un si hot gesogt zu ir: ot hot sich umgekehrt dajn schwegerin zu ihr folk un zu ihre getter — kehr sich ojeh um, noch 17 ) dajn schwegerin.
16. Un Russ bot gesogt: nit bet mich ich soll dich far- losen urn axvegzugejn fun dir, den: wohin du west 1 •) gejn, weli ich gejn, un wu du west sich ojfhaltcn, well ich sich ojfhalten: dajn volk is majn volk, un dajn Gott is majn Gott.
17. Wu du west schtarbcn, well ich schtarbcn, un dort well ich bagroben weren. Gott sol mir fargelten asoj un noch mehr, wi blojs der tojt wet fananderschejden zwischen mir un zwischen dir!
18. Un si hot gcsclm, as si rajsst sich zu gejn mit ir, un si hot ojfgehert zu rejdcn zu ir.
19. Un sei sajnen gegangen bejde bis sej sajnen ongeku- men in Bejs-Iechem. Un es is gescheht!, wen sej sajnen ongekumen in Bejs-Iechem, as di ganze schtodt hot ojfge- tummelt mit sej, un sej hoben gesogt: is dos No’omi?
20. Lin si hot gesogt zu sej: nit ruft mich N’omi (lieb- liehe), ruft mich Moro (bittere), den der almechtiger hot mir sejr farbittert.
21. Ich bin mit füllen 19 ) aweggegangen un mit lejdigen 70 ) hot mich Gott zurikgekchrt, zu wos sollt ir mich rufen No’omi, wen Gott hot mich geschtroft un der almechtiger hot mich farunglikt?
22. Un asoj hot sich umgekehrt No’omi, un mit ir ir schnür Russ di Mojow’erin, welche hot sich zurikgekehrt fun die felder fun Mojow, un sej sajnen ongekumen in Bejs-Iechem in onhejb fun schnitt-zajt fun gerschten.
Transkription und Anmerkungen _ von Dr. Rabinowitz, Leipzig.
*) Söhne. *) ungefähr. *) auch. 4 ) Schwiege! ! ׳״"׳ hier (von Schnur). *) erinnert. *) jede. 7 ) finden. •) Ruheöatt. ״ ) bloß. mir. 1°) sind. 11 ) Söhne. 1J ) heutige. יי ) werdet. 14 ) ah. ls ) Schwiegermutter. ״ ) gehaftet. זב ) nach. *•) wirst. יי ) voll. 2 ״ ) leer.
Ulllf!!IIIIIIIII!ll!IIUIIIIIIIIII!llllllllllllHIIIIIMI!MIII1mm1lllillllllllttlll1llllllllll!IIIMIll!llllllltllll)llllllllllllll!:lttllllllllll1lllllllllll1!M!lllllllllilllMllllll!m11n1l ...
Ruth auf Jiddisch