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Frankfurter Israelitisches Familienblatt. ° No. 27.
das; sie damit ihrer Hauptaufgabe, Verständnis und Liebe für das Judentum und seine Bekenner zu Wecken und zu pflegen, nicht ganz gerecht werden. Wir glauben, die Literaturvereine sollen in diesen Dingen nicht so ängstlich sein und ganz beruhigt das Prinzip aufstellen, auch über die jüdische Literatur von streng religiösen Persönlichkeiten Vorträge halten zu lassen. Der Zuhörer kann denken, wie und was er auch immer wolle; jedenfalls muß er als geborener Jude doch ein Interesse haben, zu vernehmen, wie das Judentum in den Köpfen derer aussieht, die sich bestreben, in seinem Geiste zu leben.
Bunte Chronik.
Jüdische Altertümer in Trier. Bei den Kanal-Ausschachtungsarbeiten auf dem Viehmarktplatz hat man in einer Tiese von N/r bis 3 Meter Bruchstücke von jüdischen Grabsteinen bloßgelegt, wovon zwei guterhaltene hebräische Inschriften tragen. Das Mter der Steine wird von dem.Oberrabbiner Dr. Baßfreund auf 532 Jahre (1371) geschätzt. Bis jetzt sind keine menschlichen Knochen gefunden worden, doch ist cs nicht unwahrscheinlich, daß man es hier dennoch mit einer alten jüdischen Begräbnisstätte zu tun hat. Der Platz stößt nämlich mit seiner ganzen Ostscitc an die Jüdemer Straße, verstümmelt aus Judenmauer, die offenbar das Ghetto von Trier war. Da liegt es denn nun nahe, daß die Juden ihre Toten unmittelbar hinter der Mauer zur ewigen Ruhe gebettet haben; als dann später «ms der Nordseite des Viehmarktplatzes ein Kapuzinerkloster (das jetzige Theater) errichtet wurde, harte man die anstoßende jüdische Begräbnisstätte zu dem ehemaligen Kapuzinergarten umgewandelt. Die Steindcnkmäler wurden in das Museum gebracht.
Jttttffefon.
(Nachdruck verboten.)
Cheiderkinder.
Novelle aus dem Emigrantenleben
von S. Sch achnowitz, Endingen (Schweiz).
Gortsetzung.)
Nach einiger Ueberlegung fand es auch Nochum nach allen Gesetzen der Logik und nach allen Regeln der alten und neuen Philosophie für durchaus berechtigt, daß ein Mädchen, das sonst bei ihren armen Eltern freudlos verkümmern müßte, dem Rufe der Schwester, bei ihr ein besseres Leben zu führen, folgen müsse. Und doch wollte ihm beim Abschiede fast das Herz brechen.
„Solltest dort einmal Motel treffen, dann grüße ihn," war sein letztes Wort, als er sich mit ihr am Dampfer in Kowno verabschiedete.
Es war ihr, die so freudig und hoffnungsvoll die Reise antrat, jetzt so beklommen zu Mute und glaubte, während der ganzen, langen Reise die trübe Stimmung mitnehmen zu müssen. Diese sollte aber ' schon am Beginn der Reise durch die neue Bekanntschaft zerstreut werden.
Sie hatte sich fest vorgenommen, keine Reisebekanntschaften anzuknüpfen und nur selten brach sie ihre Grundsätze, aber diesem jungen Manne mit seinem intelligenten Auftreten und träumerischen Augen hielt sie nicht stand. Es entging ihr nicht, wie unablässig er sich bemühte, ihr näher zu treten, ohne jedoch dabei zudringlich zu werden. Und zuwellen war es ihr, als hätte sie in diesem blassen und feinen Gesichte, in diesen edlen Zügen und in den suchenden Augen unter den dicken Brauen etwas von ihrem Jugendideale, ein gutes Stück vom Traumbilde ihrer Kindheit gefunden. . . .
— 3. —
Das Geräusch der Maschine nahm ab, der Dampfer verlangsamte die Fahrt und näherte sich nur noch mechanisch schwimmend dem Reiseziele zu. Dieses war nicht schöner und technisch nicht bedeutender als die Landungsufer der kleineren Stationen.
Eine weite Ebene, ein förmliches Saudmeer, das der Regen oft-in ein solches von Kot und Schlamm verwandelte, bildete den Scheideplatz zwischen der Stadt und dem Memelstrom.
Um eine hölzerne Landungsbrücke, deren dicke Pfeller aus dem Flachwasser herauslugten, sammelte sich eine zahlreiche und bunte Menschenmenge, die das Schiff erwartete. Lastträger in Hemdärmeln und „Arbakanfos" mit geschwärzten Gesichtern und verwitterten Zügen drängten sich geschäftig um möglichst den Vorsprung zu gewinnen. Droschkenkutscher und Handwagenlenker zankten sich jetzt schon, um die entgegenschwimmendc Konkurrenz, indem sie die dürren knöchigen Gäule, denen man es ansah, wie sehr sie mit ihren Herren Hunger und Mangel teilten,
, von Ort zu Ort jagten, was die geplagten Tiere geduldig und gesenkten Hauptes über sich ergehen lleßen. Krämer; die mit' verkümmerten Gesichtern, ihre Ware erwarteten, Leute, die Verwandte und Gäste abholten. Ein «chwarm sich tummelnder Kinder, mehrere Jeschiwohbachurim, denen man es" ansah, daß sie hier keinen, zu erwarten und nichts zu suchen hatten, auch ein Heer von zerlumpten Müßig- . gängern, die keinen einlaufendcn Dampfer versäum-
ten, dann der Uradnik (Oberpolizist), der um Ruhe zu verschaffen, ein Zetergeschrei veranstaltete und in seiner Bemühung um Ordnung alles und alle aufeinander drängte.
In einiger Entfernung stand in gravitätischer Haltung der allgewaltige Pristay (Polizeimeister) im Kreise einiger Polizisten, um irgend verdächtige Individuen in Beschlag zu nehmen.
Der Dampfer schleppte sich mühsam im Flachwasser dem User zu. „Vorsicht! Obacht!"
Ein Matrose warf eine Leine herunter, die einige Träger rasch aufftngen und sie mit aller Macht nach sich zogen. Der Dampfer hielt endlich an der Landungsbrücke und schreiend und johlend drängte sich der ganze wirre Haufen auf dem Platze und auf der Brücke, ja selbst auf den Verdeck des Schiffes, so daß Passagiere und Personal, Ankommende und Abholende, Träger und Matrosen sich in einem Knäuel verwickelten.
Die beiden Reisegefährten standen still nebeneinander und schauten sinnend aus den Trubel und Lärm hinunter. Sie fühlten es jetzt am mächtigsten, wie sonderbar sie das Schicksal zusammen gebracht. Alle beide wurden sie von keinem Verwandten, von keinem Freunde erwartet. Das graue Häusermeer und die gelbgrauen Dächer starrten ihnen so fremd lind unfreundlich, ja fast unheimlich entgegen und unter all den ftemden Gesichtern schien kein einziges zu sein, das nach ihnen schaute, kein einziges Auge, das sich suchend nach ihnen richtete. .
Sie waren jetzt im Begriffe zusammen auszusteigen, als zwei Männer auf sie zukamen.
„Sind noch „Jndikes"*) hier?" fragte ein junger, hochgcwachsener Mann den Steuermann, der sie schon während der ganzen Fahrt still beobachtete.
„Hier noch zwei!".— antwortete der letztere, unauffällig auf sie hindeutend.
Sie warfen beide zugleich einen forschenden Blick nach dem Manne. Sein rötliches Haar und seine pfiffig funkelnden Augen waren nur wenig vertrauen- erregend, allein in seinem Tonfalle lag etwas mutig- entschlossenes »nd seine ganze Haltung verriet den unerschrockenen und erfahrenen Weltmann.
„Sind sie vom Agenten Gerson?" — fragte er, indcin er mit einem Auge sie beide zugleich vov der Seite ansah und mit dcni andern, scheinbar gleich- giltig, nach dem Wasser schaute.
Sic mußten sich noch einmal umsehen, uin sich zu vergewissern, ob die Frage auch ihnen galt.
„Von Gerson in Kowno; cs stimmt."
,,Daun" — sagte er wieder leise nach anderer Seite schauend — „noch nicht ans Land steigen. Krause" — er blinkerte dabei nach dem Steuermann — „Krause führt Euch in sein Zimmer und ihr wartet bis ich Euch hole. Verstanden?"
Er gab noch Krause eine pantomimische Anweisung, drückte ihm etwas klingendes in die Hand und entfernte sich langsam, als ob nichts geschehen, nach der andern Seite, um seine Post in Empfang zu nehmen.
Sic gingen schweigend hinter Krause die schmale Falltreppe zu seiner Kabine hinunter. Es war ein dumpfes, halbdunkles Loch und zu ihrem höchsten Erstaunen fanden sie einige Mitreisenden, die sie ftühcr gar nicht beachtet, bereits unten zusammen- gekaucrt.
(Fortsetzung folgt.)
(Nachdruck verboten.)
Aus uuseru Tagen ,
von Friedrich Rott.
(Fortsetzung.)
Felix Eltern begrüßten den .Freund ihres Sohnes mit aufrichtiger Herzlichkeit. Sie hatten mit dem Mittagessen auf ihn gewartet, man ging daher sehr bald zu Tische. .
„Wirst Du denn bei uns essen, Arnold?"-scherzte Felix, „Du bekommst kein Hasenfilet und keine Krebse und keine Austern, — meine liebe Mama führt noch immer einen streng koscher« Haushalt."
„Und das liebe Söhnchen scheint noch immer der alte Spötter."
„Der Schein trügt dieses Mal nicht,", bestätigte Frau-Kohn, „nehmen Sie den losen Spötter nur gehörig ins Gebet, Hochwürden, vielleicht gelingt es Ihrem Einflüsse/ ihn zu bessern."
Arnold schüttelte lächelnd den Kopf. „Nach dieser Richtung darf ich mir keine Hoffnung machen, mein Einfluß auf Felix war immer gleich Null, da müßten sich gnädige Frau eher an den Dritten unseres Triumvirats wenden, den Ernst Vogel, jetzt Herr Doktor Vogel —"
„Ach", fiel Felix lachend ein, „es ist der Mama ja gar nicht ernst, daß ich mich bessern sollte, ich bin grade gut genug, so wie ich bin, nicht wahr Mama?"
„Müßte lügen, wenn ich ja sagen sollte," versetzte sie lächelnd. °
„O, Mama, wie Du mich beschämst!" —
„Das ist Deine eigene Schuld. Du hast, es sehr gut gewußt, daß Du mir nicht recht bist mit Deinem schmalen blassen Gesicht."
*) Fingierte Bezeichnung für Auswanderer. ,
„Dollar Vogel sieht unvergleichlich frischer und blühender aus als Du."
„Aber als Arnold auch."
„Nun allerdings —"
„Allerdings hat Mama immer ein Faible für Ernst gehabt. Du erinnerst Dich doch noch, Arnold) als wir zusammen in der Schweiz waren. Was Ernst gesagt hat, war immer das Gescheidteste —"
„Das war es auch in Wirllichkeit," bestätigte seine Mutter.
„Aber während Mama ihn früher nur für den Gescheidteste« und den Gewissenhaftesten erllärt hat, ist er jetzt auch der Frischeste und der Schönste. Papa, Du könntest wirklich, eifersüchtig auf den Doktor Vogel werben."
Kohn lachte hell auf. „Du wirst doch alle Tage ärger, man sollte Dir den Brotkorb höher hängen. Meinen Sie nicht auch. Hochwürden?"
„Ich glaube, Felix kümmert sich weniger um Brot, als um Pasteten," scherzte Arnold. )
„Du kennst mich am besten, alter Junge," lachte ) Felix, indem er dem Freunde auf die Schulter schlug, j' „Es' ist doch schön, daß wir wieder einmal zusammen sind."
„Schade, daß Ernst nicht auch hier ist."
„Er ist augenblicklich hier," erwiderte Felix plötzlich ernst, „aber leider in einer traurigen Angelegenheit- Vor drei Tagen war das Begräbnis seiner Mutter.'/
„Ach, ach, ach!" sagte Arnold teilnahmsvoll, indem er unwillkürlich, die Gabel, die er eben zum Münde führen wollte, wieder auf den Teller niederlegte, „und er ist mit solch inniger Liebe an seiner Mutter gehangen. Er ist heute noch hier, sagtest Du?"
„Er bleibt während der ganzen ersten Trauerwoche hier."
„Dann will ich doch gleich nach Tisch zu ihm gehen, ihm meine Teilnahme auszusprechen." -
„Ich begleite Dich/" sagte Felix. „Ich gehe ohnehin jetzt täglich zu ihm, 'mal sehen, wie es seiner Schwester heute geht. Seit dem Tode der Mutter habe ich sie noch nicht gesehen. Sie hat sich während der Krankzeil derselben allzu sehr angestrengt. Ernst sagte mir, sie hätten sie nicht.zurückhalten können, alles hat sie der Kranken machen wollen, die sich auch am liebsten von ihr hat bedienen lassen. Ich weiß nicht, wie viele Nächte sie nicht zu Bette gegangen ist." ■:
„Aber das hätte der Vater nicht zugeben dürfen," bemerkte Frau Kohn, „das Kind ist ja kaum dreizehn Jahre alt-"
„Er 'hat es auch nicht zugeben wollen,- aber sie hat sich nicht zurückhalten lassen. Klein-Fanni ist ein Cisenkopf, gerade so wie ihr Bruder, was der einmal für recht hält, davon kann ihn auch kein Mensch zurückhalten. Aber gleich nachdem die Mutter die Augen geschlossen hat, ist das Kind. zusammenge- brocheu. Doch gestern war der Arzt mit ihrem Befinden zufrieden, hat sogar in Aussicht gestellt, daß sie vielleicht heute aufstehen könnte."
„Armes, gutes Kind," sagte Frau Kohn mitleidig, „wenn ich wüßte, daß mein Besuch nicht be- lästtgt, ' würde .ich 'mitgehen. — Aber es ist doch besser. Du erkundigst Dich zuvor, Felix —"
„Ich glaube nicht, daß Dein Besuch unwillkommen wäre, liebe Mama. Die Familie ist sehr beliebt, es sind fast Immer Besuche dort."
„Damen auch?"
„Das weiß ich nicht, ich habe noch keine Damen dort getroffen. Aber wenn Dir daran liegt, kann ich ja Ernst siagen."
„Thue das. Du weißt,, ich thue nicht gern Auffallendes."
(Fortsetzung folgt.)
Der, Schluß von „Eine Idylle" folgt in nächster Nummer.
Bücherschau.
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„Astilbe bis,Bismarck lesen wir auf dem Rücken des soeben erschienenen II. Bandes unsers „Großen Meyer". Jawohl,„unfers" Meyer, denn uns.gehört er, uns Deutschen, die wir ihn mit Stolz als ein Nationalwerk, erkennen und mit zu den kost-. barsten Schätzen unsers Hauses rechnen; die wir ihn hundertmal im Tag um. Auskunft fragen, auf ihn wetten und schwören, die wir uns seinem Ausspruch willig unterwerfen. — „Astilbe bis Bismarck"! Wie nahe beisammen auch diese beiden Wörter in. der Buchstabenfolge zu stehen scheinen, so erweisen sich doch 1824 eng gedruckte Spalten nötig, um die alpha-