1905 ,
»Schule und Huus *
Beilage zu Nr. 1 -es Frankfurter Israelitischen Familienblattes.,
Nr. 1.
Der Delegierteutag -es'Verbandes der jüdischen Lehrervereine.
K affe L Vom 27.—29. Dezember fand Dahier der Delegierteutag des „Verbands der jüdischen Lehrervcreine im deutschen Reiche" statt. In der jüdischen Lehrerschaft Deutschlands Tjat man dieser Tagung mit großem Interesse entgegengesehen. Waren doch die Gemüter durch die „Fortbildungssrage" aufs höchste erregt. Auster dem Vorstande des Verbands waren 33 Delegierte der Einzclvcreinc und eine große Anzahl von Lehrern ans der näheren und weiteren Umgegend als Gäste erschienen. Nach Begrüßungen durch den Vorsitzenden des Vorstehcr- amts (Jnftizrat R o t h f c l s), den Präses der Gemeinde, Herrn H c st, Seminardirektor Dr. Lazarus und Landrabbiner Dr. Prager, hielt Realschnldirek- tor Tr. Adler ein Referat über die Stellung- nah m c d e r j ü d i s ch e n L e h r e r s ch a f t z n d e m bevorstehenden S ch u l d o t a t i o n s g e se tz. Referent hält es zuerst wohl für nötig, eine Verbeugung vor der Simultanschulc.zu machen, fordert aber, da an eine ehrliche Einführung wirklich paritätischer Schulen im Ernste nicht zu denken ist, entschieden die Errichtung jüdischer Volksschulen: unter keiner Bedingung solle die Errichtung dieser Schulen von einer bestimmten Schülerzahl abhängig sein. An paritätischen Schulen ist ortSstatntarisch immer wenigstens c i n jüdischer Lehrer, der anster dem Religionsnntercicht, vollberechtigtes Mitglied des- Lehrkörpers zu sein hat. Orte mit geringer jüdischer Kindcrznhl sind von staatswegen zu israelitischen Religionsschulgeineinschaften zusam- ineuzufassen, deren Lehrer gleichzeitig ordentlicher Lehrer einer össentlichen Volksschule sein soll. Rcscccnt belegt seine Forderungen durch ein reiches statistisches Material. Wie wir hören, soll der Vortrag vcr-- öffentlicht werden; er wird der Agitation für Errichtung j ü bischer Volksschulen wertvolle Dienste leisten. An den mit großem Beifall anfgenoiniiicncn Vortrag knüpft sich eine lebhafte Debatte. Interessant sind die Beincrkungcn des Herrn Bern h a r d - Tarnolvitz, der seit 30 Jahren an einer Simiiltan- schnle tätig ist. Er tritt lebhaft für j iidis ch c "Volk s s ch >l l c n ein, denn' er jühlt sich in seiner Stellung in seiner Schule ebenso isoliert wie die jiidi- fchen Schüler cs sind.
Bei der nun stattjilidenden Statuten- Beratung kommt cs, wie auch am andern Tage bei dct Beratung über die F o r t b i ld u n g s - frage, zu sehr erregten-und lauten Debatten; bei der schlechten Akustik des Saals ist es sehr schiver, den Verhandlilngen zu folgen. Wolf- Anrich beantragt die Allfnahme einer Bestiniinuiig, daß Fragen, die die Grundwahrheiten des Judentums berühren, im Verbände nicht beraten werden sollen. Schon bei Begründung seines Antrags tvird Wolf oft heftig unterbrochen, denn cs sei eine Bcleidignng a»zn- nehmen, daß jüdische Lehrer überhaupt daran dächten. Tauroh inin haschomajim zu leugnen. Der Vorstand erklärt zu dem Antrag, in den 9 Jahren feines Bestehens sei nie ein Beschluß gefaßt worden, der religiös-parteilichen Tendenzen dienen sollte, daß er vielmehr jederzeit bestrebt gewesen sei, keine religiöse Richtung zu verletzen. Ter Antrag Wolf wird abgelehnt; ein Antrag auf Streichung der Bestiin- ' mung, die dem Deutsch-Israelitischen Gemeinde-Bunde Sitz und Stimme im Vorstand gibt, findet, allerdings gegen eine starke Minorität, das gleiche Schicksal.
Am zweiten Verhandlnngstage referiert R o t h - f ch ild-Worms über das VerbandSthema: .T i c 'Psalmen im Religionsunterricht. Referent verlangt (als Ergebnis der Beratung in den .Einzelvereinen) Verwendung der Psalmen im biblischen Geschichtsunterricht, im Gebetüberfetzen und beim ' systematischen Religionsunterricht, Auf der Mittel- und linterstufc sind einzelne Verse einznprägen, deren Inhalt sich mit dem Inhalt des entsprechenden linter- richtsergebnisses deckt, auf der Oberstufe sind auch nicht im.Gebetbuche steheiide Psalmen eingehend zu behandeln und zu memorieren. .Entschieden verlangt Referent die. .Pflege..des hebräischen Unterrichts und
die Uebersetzung der Psalmen, des Gebetbuchs. Wie die höhere Schule die klassischen Sprachen pflegt, sei es für die jüdische Schule — abgesehen von dem praktischen Grunde der Gebetssprache — nnerläßlich, die hebräische Sprache zu pflegen, damit die Schüler unsere herrlichen Psalmen und Propheten in,der Ursprache lesen und verstehen können. An den inhaltlich und formell glänzenden Vortrag schloß sich keine Debatte; die ausgestellten These» lvurden ohne solche angenommen.
.Hierauf berichtet F e i n e r - Hamburg über die Fortbildungssrage, sichtlich und mit gutem Erfolge bemüht, die Geister zu beschwichtigen, um einen Ausgleich der hestigeii Gegensätze, die in dieser Frage bestehen, herbeiznführen. Er erklärt, warum das Gutmannsche Expose- über Fortbildung veröffentlicht, das Gut'schc über die Vorbildung der Lehrer aber unterdrückt wurde und sucht den ganzen Streit als eine Folge von Mißverständnissen hiuznstellen. Leider war Teminarlehrer Gut- Köln, der vom Perbandsvorstand eigens geladen war, dienstlich am Erscheinen verhindert; cs wäre da mancher Punkt, der jetzt noch dunkel ist, aufgehellt worden. Als erster Tebatteredner erklärt Tr. G ii t - m ann - Berlin, er habe bei Abfassung seiner Expos,-s »ur der bestehenden Lehrerfortbilaniigs-.Koinniission einen Fingerzweig nach einer bestimmten Richtung geben lvolleir, an eine alles ninfasfende Arbeit habe er nicht gedacht, ebensowenig an eine Verösfentlich- ung, sonst tväre die Arbric ganz anders ausgefallen. Darum habe er auch die j ü d i s ch e n Bibelkommenta- toren ans alter und neuer Zeit nicht erwähnt, denn deren 'Studium sei ja ganz s e l b ft v e r st ü n d l i ch. Auch habe er nicht an j ii ii g e Lehrer, sondern an ältere, gereifte gedacht, die diese Werte stndieren sollen, gerade um ihre religiöse Gesinnung zu festigen. In der langen, ctlvas sehr verwirrten Debatte traten noch besonders Wo l s - Aurich und B ä h r - Waldenburg ganz entschieden gegen die i» der Denkschrift klar zu tage liegende Tendenz auf. Es sind auch 'eine Anzahl Rcsvlntionen cingebracht, darunter eine, die dem Vorstande für sein Verhalten ein ziemlich deutliches Misttranensvotnin ansdriickt, sie ivird aber gar nicht verlesen, denn Steinhardt -Magdeburg gibt namens de- Vorstands die Erklärung ab, cS sei durch die gleichzeitige Veröffentlichung des Exposes mit der vom II. Verbandstage beschlösse- nen Verösfenklichnng der Referate über die 'Fortbildung der jüdischen Lehrer bedauerlicherweise die Meinung hervorgcrnfen worden, als ob der Vorstand religiös-parteiliche Tendenzen verfolge. Deshalb erklärt der Vorstand, daß die Denkschrift den einzelnen Vereinen lediglich als Material für die eingehende Besprechung der Fortbildungssrage dienen sollte. Diese Erklärung wird von der Versammlung mit großer Majorität zur Kenntnis genommen, die Gegner dieser Kenntnisnahine hatten einen viel wcitergehenden Tadel des Vorstands gewünscht. Angenommen werden die Resblntioncn des Herrn Feiner, die besagen: Ta eine Fortbildung des im Amte be- sindlichen Lehrers dringend nötig, die private Fortbildung aber sehr schmierig ist, seien in Verbindung mit den drei Rabbincrseminarien in Berlin und Breslau (durch Vermittlung des Deutsch-Israel. Gemeinde-Blindes) und ans geeignete Weise in Franksurt am Main, „der Zentrale der Orthodoxie", Fortbildungskurse zu errichten. (An die viel »äherliegendc Möglichkeit — ständige Fortbildungskurse in den einzelnen Bezirken zu errichten, scheint niemand gedacht zu haben: A. d. B.). Es bleibt nun abznwarten, ob durch die Beschlüsse des Telegiertentages und besonders die Erklärung des Vorstandes, der seinerseits die Schuld ans die Lehrerbildungskommissio» abschiebt, Ruhe und Frieden in der Lehrerschaft ein- tritt und es den gesetzestreuen Lehrern'möglich ist, auf die Tauer im Verbände zu bleiben.
Auch beim Rechenschaftsbericht des Vorstandes kommt es zu lebhaften Debatten. Es wird gerügt, daß der Bericht über wichtige Fragen z. B. Fort- bildnngsfrage sich ausschweigt. Es wird Auskunft verlangt, warum Bayern noch nicht beim Verband ist. Lebhaft wird die Debatte über die Pensions
kasse des Verbands, trotzdem der Hauptrufer im Streit, P e r i tz - Königsberg, nicht anwesend ist. Es scheint wohl der allgemein^ Wunsch der Lehrerschaft zu sein, daß die Einkünfte der Kasse' prozentual an die einzelnen provinzielle» Hilfskassen verteilt werden, doch ist der Tclegierteiitag zu einem Beschlüsse nicht zuständig. Verschiedene Wünsche über die Haltung und eine anderweitige Erscheinungsweise des Berbandsorgans werden an den hierfür zuständigen Vorstand verwiesen. Wegen des Festmahles mit daraussolgendcm Kommerse findet um 5 Uhr Schluß der Verhandlungen statt, nachdem beschlossen wurde, am Donnerstag den Rest der Tagesordnung zu erledigen.
An diesem Tage berichtet S t e i n h a r d t-Magdc- bnrg über die Inspektion des R e l i g i o n s - r i cf) t s. Tie ausgestellten Thesen besagen, daß da» beste, was der Religionsunterricht leistet, überhaupt nicht inspiziert werden kann, und verlangen, daß der Inspektor, auch die öffentlich angestellten Be- zirksrabbinen, seine pädagogische Befähigung vor einer staatlichen Prüsungskommissioli »achgewiesen haben müsse. Eine Oberbchörde, in der auch die Lehrer vertreten sein müssen, ist notwendig, für den Fall, daß die von anderer Seite erstrebte» Bezirksrabbinate eingesührt werden sollten, damit jederzeit " eine' unparteiische Beurteilung des Lehrers gesichert sei. Professor Blas chke, der - Vertreter des
Deutsch - Israelitischen Gemeinde - Bundes, verwahrt sich dagegen, das; der ltzemeinde-Bund bei diesen Vestrebungen an eine Ji»'pektion des Religionsunterricht? gedacht Hab.-. Rach langer Debatte wird beschlossen, das Referat Steinhardt) und ein solches, das R a n s e » b erg- Neuwied im rhcinisch- ivcstiälischen Verein gehalten hat, durch Truck zn vcröifentlichen. Ferner soll verincht werden, ans dem nächsten Gcmciiidetag des Deutsch-Israelitischen Ge- mcindc-Bnndc-s durch geeignete Lehrer-Delegierte in die Debatte einzllgceifen. Nach den üblichen Schluß« sormalitäten wird der dritte Vcrbandstag dann geschlossen. Ter Berichterstatter hat das Gefühl, daß man von jetzt ab seitens der Verbandsleitnng »ach all den Vorgängen der lelzten Jahre bestrebt sein wird, mit den auf gcsetzcstrcnem Boden stehenden Lehrern in Friede und Eintracht in den Vereinen znsammenznarbeiten und daß in Znkunst Streitfragen, die zu einer Trennung sühren müßwn, nicht mehr aufgeworsen werde». Nur wäre für den nächsten Delegiertentag nur noch zn wünschen, daß die Verhandlungen auf Grund einer gedruckt vorliegenden Geschäftsordnung vor sich gehen: auch stenographische Aufnahme der ganzen Verhandlung erscheint notwendig.
Ans der Lehrerwelt.
Berlin. Die von dem Deutsch-Israelitischen Gr- meindebunde jüngst errichteten Borke snngs- k u r se f ü r L e h r e r u n d L e hr e r i n n e n der jüdischen Religion an höheren Lehr- a n st a l t c n , die in einem vom Vorstände der jütischen Gemeinde zur Verfügung gestellt n Zimmer der Re'ligionsschnle Lindenstraßc abgehalten werden, werden von 10 Teilnehmern, und zwar 3 Univer- sitätssttldierenden und 7 geprüften Lehrerinnen, besucht. Es lesen: Dozent Tr. Ellbogen über Jüdische Geschichte, Rabbiner Tr. Galliner über Hebräische Grammatik, Bibel- und Gebetübersetzen, Rabbiner Tr. Blumenthal über Bibelkunde und biblische Geschichte und Rabbiner Tr. Warschauer über Jüdische Religionslehre. .Tie Kurse — i. Sa. 6 Stunden wöchentlich — sind für die Teilnehmer vollständig kostenlos und werden aus den Mitteln des s. Zt. von Herrn Generalkonsul Franz Philippson-Briissel für diesen Zweck gespendete» und seitdem durch einen weiteren Beitrag des' Herrn Professor Philippson» Berlin. erhöhten Fonds unterhalten.
Nach den Anschauungen der unterrichtenden Herren zu urteilen, ist man zu der Schlußfolgerung berechtigt, daß der Unterricht sich im Sinne der Reform vollzieht.
Brumath i. 8ls. Pensionierung. Nach 44- jähriger Tätigkeit in der hiesigen Gemeinde ist Herr Kantor Z. Klein nunmehr in den Ruhestand getreten.
Vakanzen
Bromberg. Tempeldiener und Schächter per 1. April 1905. Gehalt 2100 JL