Rr. 2. Beilage zu Nr. 3 des Frankfurter Israelitische» Familienblattes. LSOA.
Schreibonkels Preisaufgabe.
B ut Schabbos. Ihr lieben Kinder! Da bin ich wieder, heute aber nicht mit einem GesLichtchen und Gedichtchen für meine vielen Neffchen und Nichtchen, sondern — mit einem Gerichtchen! Gerichtchen? Hu, wie's Euch angst dabei wird!
„Ja, wenn's noch mein Leibgericht wäre, der leckere Apfelschalet, von dem ich Dir erst erzählt habe, wie fein er mir stets am Schabbos mundet, lieber Schreibonkel, ja dann —", meint der kleine OttoRosenthal, das treuherzige Schwa l- b a ch e r Kind. Bist ein offener, ehrlicher Junge, an dem man sein Vergnügen haben kann, schwatzst nicht so hohes, altkluges Zeug, das sich für Deine zehn Jährchen nicht schickt, und bleibst bei der Wahrheit. Bleibe nur dabei, auch wenn Du einmal keine kurzen Höschen mehr trägst, sei wahrhaftig gegen Dich selbst und wahrhaftig gegen die Welt.
„Bange machen gilt nicht, und wenn Du das Wort „Gerichtchen" noch so sehr betont, ruft da.der Altersgenosse Ludwig Löwenthal aus Aschaffenburg keck dazwischen. „Mach' kein so ernstes Gesicht, Schreibonkelchen, bei uns heißt's: immer fidel!"
Bravo Bub! Ja, bei uns Juden heißt's auch : immer fidel! „Menet dem Herrn mit Freude", das ist eine hohe und bedeutungsvolle Mizwoh. Was auch kommt, mag's noch so trüb und grau aussehen, nur nicht den Kopf hängen lassen! Alles, was man tut, mit Freuden tun, wenn man das Bewußtsein dabei hat, recht zu tun. Tie Fiedel in der Hand, heia juchhei, durchs Leben, gewandelt! Geht's nicht immer so leicht mit dem Frommsein, giebt's vielleicht Widerstand daheim oder draußen, will die Sorge den Rücken krümmen: das schert uns nicht. Nur weiter aufrecht und lustig! Ein heiteres Herz macht starken Sinn, und heiteres Herz und starker Sinn erobern sich des Höchsten Wohlgefallen.
„Warum läßt Du uns Mädchen denn ganz bei Seite und gibst Dich nur mit den Buben ab, Onkel?" zirpt zaghaft das achtjährige Rahelcheü Hirschberg.
Fällt mir gar nicht ein, Rahelchen, nur Dich brauch' ich ja nicht viel mahnen, Du hast ja klares und ebenes Gemüt.
„Jetzt aber bitte bitte, sag' uns doch, wer die drei Preise bekommt, ich bin doch so arg begierig auf das versprochene schöne Lesebuch", bettelt das gute ungarische Schwarzköpfchen.
Abwarten, Schwarzköpfchen! Abwarten müssen alle. Der hofft auf Glück — ob's kommt? Der ersehnt Freiheit — ob sie kommt? Der schmachtet' nach Brot — ob's ihm wird? Und unversehens, .über Nacht, sobäld's da fein soll, ist alles da, ohne daß menschliches Zutun es beeilen, es rascher herbei- zaubern kann. Und auch, Dein Bescheid ist da, Gisella Sch war tz in Bonyhad (Ungarn) — daß Du mit dem ersten Preis gekrönt bist, weil bei Euch der Schabbos ein anderes, innigeres Gesicht hat als sonstwo. So, jetzt einmal nach Herzenslust gejauchzt über das Buch mit den netten Geschichtchen und dann Dich neben die anderen beiden Preisträger gestellt: Lina Perlmutter und Josef Adler in Frankfurts. M. Perlmutter schillert in allen Farben, sieht bald so, bald so aus. Du, liebes Perlmütterchen, bist einfach und gradaus, weiß und rein. Das erhalte Dir, -schillere nicht bunt und wechselnd, indem Dir heute das, morgen jenes behagt- Fest und rein — das pflanz' Dir ein! Und Tu, Adlerchen, wachse immer weiter in Dein Lernen hinein, bis Tu wurzelecht drin ruhst. —
Und nun zu Euch Andern, die Ihr nicht gedruckt und nicht preisbedacht seid! Hütet Euch, deshalb neidisch und zornig zu sein! Neid und Zorn verjagen alle guten Geister. Begnügt Euch für diesmal damit, daß der Schreibonkel, der Euch ja alle so lieb hat, jedem ein Merkwörtchen mit auf den Weg gibt, weil Ihr so brav und fleißig gearbeitet habt.
Langener Flors Heimchen, bekomm' starke und gesunde Augen! Die weit und hoch und hell schauen! Tie Unendlichkeit vor Dir, den Himmel über Dir, die Sonne in Dir. Frankfurter Schlittschuhläufer vom Erew Schabbos und Gemorohstudiosus und Eßliebhaber vom Schabbos, erkenne, daß köstliche Speise und lieblicher Trank am Schabbos nur dazu dienen, um sich mit erhöhter Kraft 'Hinzuschwingen und eknzunisten ins Gotteswort. Bibliser Fritzchen, der Du im Namen des Herrn einschläfst und in Seinem Namen aufstehst, vollbringe Dein ganzes Dasein in Seinem Namen, auf Sein Geheiß, zu Seiner Ehre. Mosi in Nagytapols- c a n y — Du bist vergnügt über Euer hellerleuchtetes, warmes Zimmer. Gib Acht, daß es in Dir immer hell und warm
bleibt, daß Spinnweben und Frost Deiner jüdischen Seele nichts anhaben können. Auch Du sei werter fröhlich und bete weiter, mit ruhigem Herzen, kleine Cäcilia in Wittersheim. Fröhlichkeit ist ein.Edelstein und ein jüdisches ruhiges Herz eine Schatzkammer. Heidelberger Zionist, bist ein wackerer Knabe, daß Du so früh schon für Zion glühst. Werde ein tapferer Kämpfer für die Seele unseres Lebens, für die verwaiste, verödete Königsstadt. Ihr Frankfurter Adlerjungen, das Hühnchen und das Töchterchen, werdet jung und schlicht! Nehmt Eurem späteren Alter nichts vorweg, setzt keine so weise oder verzückte Miene auf, die Jugend ist köstlich! Das schwäbische Landgänschen in Fischach richtet einen schönen Gruß vom Schreibonkel an die gute Gänsemutter aus und fragt sie, ob sie nicht ein wenig das Gänschen unter ihre Flügel genommen hat, wie's zu plappern anfing. Immer aus Eigenem geben, Kind! Besser kleines eigenes Gut als großes geliehenes! Ich glaube, ich glaube, das muß sich auch der hiesige Bub merken, der so herzbewegend von dem alten vereinsamten Schabbosgast erzählt. Du hast soviel Mitleid, gutes Mitleid in Dir, Bub, daß Du Dir kein fremdes Eigentum zu borgen brauchst. Bibliser Julius, brav von Dir, daß Du dem lieben Schöpfer dankst, weil er uns den schönen Schabbos gegeben. Ter Schabbos, wo alles feiert, Hand, Herz, Haus, Feld, und wo man sein Feld der Thauro ungestört und unbeeinflußt bestellen kann — ach, wie ist er dankenswert! Singen, ihm zu Lob und Preis singen muß man, und das tust Tu auch „fest" und mit Recht, Nörd- linger Kaufmannstöchterlein. Aber wenn's einmal nicht so glatt geht mit dem Schabboshalten, dann bleibst Du doch standhaft und singst „fest" weiter, gelt, Kleines? Und noch kleineres Westheimer Bübchen, denk beim Essen dran, wer das Essen gespendet hat und für wessen Arbeit es Dich stark und kräftig machen soll!
Euch allen noch einen herzlichen Händedruck! Auf Wiedersehen! Ter Schreibonkel.
(Lhamischo-Dßor «Lsch-w-y.
Ein Märchen.
S eit ein paar Jahren standen sie nun schon beisammen, der alte, erfahrene Apfelbaum und das junge zarte Zivetschgen- bäumchen. Der wetterharte Alte hatte den Jungen tief in sein Herz geschlossen mit liebevollem Auge ihn bewacht von seinem, ersten Versuche an, die Hülle des Kernes sprengend ein paar zarte Blättchen hinauf ans Licht zu senden. Mit Freude sah er sein Wachsen, und nun stand schon ein schlankes Stämmchen neben ihm und half ihm über die oft schmerzlich empfundene Einsamkeit hinweg.
In treuer Dankbarkeit und Verehrung schaute der Junge zu ihm auf. In allen Sorgen seines jungen Lebens hatte er sich vertrauensvoll an den bewährten Freund gewandt, Freud und Leid, Sturm und Wetter hatten sie zusammen ertragen.
Weicher, weißer Schnee war über Nacht gefallen, und als der Junge sich des Morgens den Schlaf aus den Augen rieb, war ihm gar sonderbar zu Mute.
Tiefes, geheimnisvolles Regen verspürte er in seinem Innern, desgleichen er sich noch nie erfahren zu haben erinnerte.
„Was geht mit mir vor?" fragte er sich, fein junges Köpfchen schüttelnd und gleich wandte er sich an den Alten mit dieser Frage, gewöhnt, sich von diesem Aufschluß zu holen über alles, was ihm neu war nach innen sowie nach außen.
„Festtag ist heute, mein Junge!" belehrte ihn dieser, „Neujahrsfest? Siehst Tu denn nicht, daß Gott uns das weiße Festkleid angelegt hat über Nacht? Was Dich bewegt, ist die Ahnung des künftigen Frühlings, der trotz Schnee und Eis sich schon ankündigt und uns mit dieser Ahnung noch nie getäuscht hat."
„Wissen denn auch die Menschen von unsrem Festtage?" fragte der Junge, der sich nur dann richtig fteuen konnte, wenn recht viele an seiner Freude teilnahmen.
„Laß uns dort hineinschauen in jenes Fenster," sagte der Apfelbaum, indem er mit einem ausgestreckten Arme die Richtung anzeigte. —
Ein lieblicher Anblick bot sich 'ihnen dar. Drinnen stand eine weiß gedeckte Tafel, und auf dieser erkannte der Alte zu seiner größten Freude in kostbaren Schalen neben vielen ftemden und einheimischen Vettern und Basen seine Kinder, die ihn im Frühling als Blüte geschmückt, im Sommer mit Stolz erfüllt hatten, von denen mit Schmerzen er sich im Herbste hatte trennen müssen.