„Schule und Hurrs"
Beilage zu Nr. 3V -es Frankfurter Israelitische« Familienblattes
Rr. 4
Selbstbewutztsein.
Don W. Groß.
Keinem aufmerksamen Beobachter modernster Zeitgeschichte wird die nicht wegzuleugnende Tatsache entgangen sein, daß in weiten jüdischen Bolkskreiscn eine Stärkung des berechtigten Selbstgefühles, der Selbsteinschätzung eingetreten ist. Man sieht doch allmählich ein, daß die vielgeübte Bescheidenheit, das Sich-ducken, Sich-selbst-verleugnen sehr oft nichts Anderes war und ist, als veritable Charakterlosigkeit. Ist denn die Abänderung derjenigen Aeußerung des Judentums, welche ihrem Wesen nach die allerjüdischste sein sollte, nämlich unseres Gottesdienstes, in der Richtung, daß man ihn dem christlichen immer ähnlicher machte, vielleicht etwas Änderes als charakterlose Verleugnung unserer innersten Eigenart? Gewöhnlich ist, der vorgebrachte Beweggrund der, daß inan die jüdischen Institutionen verschönern, oder gar „veredeln" wolle, um die jüdischen Ideale der- Welt in möglichst Hellem Lichte zu produzieren, um den jüdischen Charakter als fortbildungsfähig, vor den Mitlebenden so hoffähig als möglich zu machen. Ein schöner Charakter, der sich Zerstört, um sich in einen anderen zu verwandeln. Ter 'Charakter jedes Volkstums, jeder Religion zeigt sich in der möglichst starken Betonung seiner aus historischer Entwickelung begründeten Eigenart. Führt diese Betonung der Eigenart in ihren Konsequenzen zu offenkundigen Mißbräuchen, so war die ganze Grundlage eine falsche, wenn aber nicht — dann unterlasse man es, sie zu entstellen. Gerade unsere Zeit hat Historischen Sinn. Wo irgend ein Gebäude aus alter Zeit in charakteristischem Baustil steht, sucht man diesen zu erhalten und zu vervollkommnen. Wem wäre es eingefallen, die Saalburg der alten Römer mit Rokokoornamenten zu „verschönern", oder die Pyramiden mit Backsteinaufbau und Stuck zu modernisieren? Nein! Man hat das rechte Gesühl, daß ihre Schönheit gerade in ihrer antiken Eigenart, in der angesetzten Patina liegt. So auch ist nicht etwa .der althergebrachte jüdische Gottesdienst ein Anachronismus, wie man oft anklagend sagt — nein, die Einführung einer Orgel, eines Männerchores u. dgl. -ist der Anachronismus!
Ich mutz unwillkürlich an jene Fabel (Lessing, nach Aelian) denken, in der das Pferd Zeus bat, ihm zur Hebung seiner (unter den Tieren doch edelsten) Gestalt und Schönheit längere Beine, einen Schwanenhals, eine breitere Brust und einen natürlichen Sattel zu verleihen. Zeus willfahrte ihm, und an der Stelle des Pserdes stand — kein Pferd mehr, sondern die Mißgestalt des Kameles.
Ein zweiter Ausdruck dieser charaktervollen Selbstverleugnung ist die Art und Weise, wie von einer großen Anzahl moderner jüdischer Gelehrten die Bibelauslegung betrieben wird. Ta treibt man gleichfalls dieses Selbstbcfcheiden so weit, daß man die Erklärungen eines Raschi, Abr. b. Esra, Nachmanides, Abarbanel, vom Talmud zu schweigen, als Erzeugnisse naiver Anschauungsweise, wie nicht- bestehend, bei Seite liegen läßt. Tagegen halten diese jüdischen „Theologen" es wohl als ein Zeichen ührer wissenschaftlichen Nicht-Voreingenommenheit, die .Forschungen protestantischer Theologen zur Grundlage ihrer Exegese zu machen und lieber an einen 'Wellhausen und Kuenen bei der Bearbeitung unseres jüdischen biblischen heiligen Ursprungs anzuknüvfen,
- als an die jüdische traditionelle Auffassung. Doch dabei nennen sie sich jüdische „Theologen" — wer erkennt dabei mit dem schärfsten Bergröerungsglase eine Spur von Theologie? Wenn sie doch in ange- . brachter Selbsterkenntnis sich mit dem Titel „Philologen" begnügen wollten! Tenn nichts anderes sind sie, die an die Bibel sezierend Herangehen, wie die klassischen Philologen an den Homer.
Aber, G. s. D-, auch hier regt sich die eingangs gerühmte Selbsteinkehr und Selbsteinschätzung. Bor uns liegt „das Buch Leviticus, übersetzt und erklärt" -(Kap. 1—17) von Tr. D. Hoffmann. Hier haben wir zum ersten Male eine wissenschaftlich-exegetische Bearbeitung der. Bibel in deutscher Sprache von einem jüdischen Gelehrten, der nicht durch die Brille der protestantischen Theologie die hl. Schrift erforscht; vielmehr geht er bei der Bearbeitung dieses jüdischen National- und Religionsbuches von dem ein- . zigen, eines Juden würdigen Standpunkte aus, dem . Standpunkt der jüdischen Tradition, oder sagen wir hier einmal der „jüdischen Theologie".
Noch ein Gebiet wollen wir . heute berühren, wo vermeintliches erhöhtes-Selbstgefühl hart an Charakterlosigkeit oder doch an Charakterschwäche streift.
das der jüdischen Eigennamen. Einer der ersten Erfolge der allgemeinen Emanzipation war u. a. der, daß viele Glaubensgenossen in dem Bestreben, sich der Emanzipation in allen Punkten vor der Welt auch würdig zu zeigen, ihre althergebrachten Rufnamen mir hochdeutsch oder modern klingenden vertauschten. -Ulan schämte sich vor allem der „alttesta- mentlichen" Namen. Vielfach erreichten sie das Gegenteil des Gewollten. Ich las jüngst den Bericht einer Verwaltungsbehörde (ca. 1835) an die Vorgesetzte Stelle, worin über die Anmaßung der Juden Beschwerde geführt wird, die in Mißbrauch ihrer neu erworbenen Rechte ihre Kinder statt Jsak oder Eisek jetzt Eugen, statt Rahel jetzt Roswitha usw. nennen.
Es ist Wohl zu verstehen, daß das große Publikum das Bestret-en hat, landläufige Namen zu wählen. Tatsächlich kann man bis zur talmudischen Zeit zurück beobachten, daß Juden ihre profanen Rufnamen mit Vorliebe aus der Sprache ihres Aufenthaltsortes wählten. Entbehrt ja sogar die Erteilung des profanen Namens nicht einer gewissen religiösen Weihe. Nachdem das Kind beim ersten Ausgang der Mutter vor der Thora den Schem kodesch erhalten, wird bald darauf von der Jugend dem Kinde feierlich bei der „Holekrasch" der Rufname erteilt. Tas Wort Hole- krasch bedeutet trotz allen entgegenstehenden gekünstelten Erklärungen nichts anderes, als Chol (— profan) kreischen (— laut ausrufen), nachdem unmittelbar vorher in der Synagoge der hl. Name, für religiöse Sitte bestimmt, publiziert worden.
So sind tatsächlich meistens alle die altjüdischen Personennamen, deren man sich jetzt schämt, da sic allzu jüdisch klingen, auch in alter Zeit der Landessprache entnommen. So kann man oft hören, daß eine Iran in heiliger Scheu erklärt, wenn sic Minna heißt, ihr Schem Kodesch sei Mindel, wenn sie Gutta heißt, ihr Name sei Gitel, wenn sie Bella heißt, ihr Name sei Bele, wenn Frieda: Fradel usw. Sie alle ahnen nicht, daß alle diese alten Nanien auch „deutsch" sind und einst gleichfalls sehr modern waren. Mindel ist dasselbe wie Minna, Gitel (die Gute) — Gutta, Bele — Bella (die Schöne), Fradel — Frieda usw.
Alle jene alten Namen, einst sehr modern, sind veraltet. Immerhin haftet ihnen eine durch das Alter geheiligte Würde an, so daß es recht wohl oft ein Zeichen der Schwäche ist, uns des Namens zu schä- men, den unser Großvater und unsere Großmutter in Ehren geführt. Vor allem ist es stets tadelnswert, sich eines „alttestamentlichen" oder rein jüdischen Namens zu schämen.
Ucbrigens, wie manche, die sich, um der modernen Zeitströmung gerecht zu werden, sich Johannes oder Hans nennen, ahnen nicht, daß sie einen echt jüdischen Namen führen: Jochanan. Dasselbe gilt von der weiblichen Form Johanna oder Hannchen (Channa).
Uns schwebt aber eine ganz andere, zum mindesten gesagt, Unart, vor, die nicht etwa der gedankenlosen Menge zur Last fällt, sondern den sührenden geistigen und wissenschaftlichen Männern des Judentums. Wir meinen die Sprech- und Schreibweise der biblischen Eigennameen.
Unbewußt bilden Rabbiner und Lehrer die Form der Männer- und Frauennamen der hl. Schrift um, nach der Weise, wir die Septuagiata, wie Luther sie schreibe». Mit welchem Rechte nennen wir Risko: Rebeka, Mauscheh: Moses, Schlaumoh: Salomo? Am allerwenigsten sollten in den Religionsschulen oder gar auf per Kanzel diese fremden Formen gewählt werden. Habe ich doch selbst in einer jüdischen Religionsschule der Reichshauptstadt gehört, Paß man den Kindern die Geschichten von Jsa-ük (genau so gesprochen!) erzählte. Welche Berechtigung hat etwa die Schreibweise Aaron statt Ahron, oder Juda statt Jehuda usw.!?
Nur eine einzige Ausnahme fand ich unter allen den zahlreichen Religions- und Geschichtsbüchern der letzten Jahrzehnte, wo die Eigennamen die einzige, richtige Schreibweise: Mosche, Rifka, Schelomo usw. haben, in denen Jacobsohns, die doch sonst in vieler Beziehung m. E. manchen Tadel verdienen. Leider hat auch Herr Tr. Hoffmann in dem oben erwähnten exegetischen Werke diese falsche Schreibweise gewählt. Er schreibt stets Moses und Aaron.
Also fort mit diesen unjüdischen Namen aus dem jüdischen Unterricht, aus den jüdischen Unterrichtsbüchern, vor allem von der Kanzel.
Unser hier sehr berechtigtes Selbstbewußtsein befiehlt uns, unsere schönen jüdischen biblischen Namen in Ehren zu halten, und von willkürlicher Entstellung abzulassen.
190».
Die jüdischen Lehrerkouserevzeir,
Wir stehen im Zeichen der Lehrerkonferenzen. Jedes Jahr mit dem herannahenden Sommer Pflegen im weiten deutschen Reiche die Lehrer der israelitischen Jugend sich ein Stelldichein zu geben, um Rats zu pflegen zur.Hebung des eigenen Standes, zur Förderung der jüdischen Schule. Ob staatlich angestellt oder nicht, ob an einer Elementarschule wirkend oder „bloß" als Religionslehrer fungierend, ob die Großstadtlust atmend oder im bescheidenen Torfe lebend: jeder sühlt zur Reisesaison in sich einen Drang, ans ein paar Stunden mit den Standesgenossen zusam- menzutresfen.
Lehrerversammlungen sind nach der Meinung eines anerkannten Pädagoge» Jungbrunnen, das Mort dürfte so recht auf die jüdischen Lehrerkonferenzen gemünzt sein. Für den jüdischen Lehrer ist es geradezu ein dringendes Bedürfnis, jahraus jahrein einmal mit Kollegen sich auszusprechen, ossen und herzlich auszusprechen über alles, was mit dem idealen Berufe eines Jugendbildners zusammenhängt. Gerade der jüdische Lehrer fühlt doppelt stark in sich die Sehnsucht, einmal zu verweilen unter jenen, die seines Fleisches und Blutes sind, die gleiche Lasten und Leiden tragen, von denen andere vielleicht keine Ahnung haben, denn ihn „bekümmert ost größere Not, als glückliche Mensche» ermessen."
Dennoch bedurfte es geraumer Zeit, bis man zu einer Tat sich aufrafste. Gegenüber der Gleichgiltigkeit der großen Masse unserer Brüder erinnerte man sich des großen Wortes: Hils dir selbst, so hilft dir Gott. Tie Not ist eine gar wundersame Kraft, die Quelle mancher ungeahnten Tat. Sie war die Geburtshelferin bei den zahlreichen Lehrervereinen Teutschlands, den nichtjüdischen und jüdischen. Deshalb bildete sie aber auch den festen Kitt zwischen den Bereinsmitgliedern. Man darf wohl sagen, daß in keinem andere» Stande ein größeres Solidaritätsgefühl angetroffen wird, als beim Lehrerstande. Je mehr sich der Lehrer seines gehobenen Bildungs- standes ü.nd der 'heiligwichtigen Bedeutung seines Amtes bewußt bleibt, und je mehr er anderseits Undank, Böswilligkeit, im besten Falle Unverständnis und Interesselosigkeit als seine Gegner erblicken muß, desto inniger und herzlicher schließt er sich an seinesgleichen an!
Von diesem Gesichtspunkte aus wollen die gegenwärtig stattsindenden Lehrcrkonfcrenzen begriffen und gewürdigt werden. — Geschieht dies aber allenthalben? — Tie Frage wird wohl niemand herzhaft bejahen wollen. Wohl hören wir alljährlich auf den Konferenzen schöne Worte von verschiedenen Seiten, doch meist handelt es sich um die nötige Erledigung einer einfachen Anstandspflicht. Selbst die zunächst beteiligten und interessierten Kreise zeigen Ruhe und Gleichgiltigkeit. Tie Kultusverwaltiingen sollten materiell die Sache fördern und stützen, der Rabbinerstand in den Konferenzen einen mächtigen Hebel zur Bessergestaltung des jüdischen Religionsunterrichtes erblicken. Es handelt sich hier doch wahrlich um eine Angelegenheit, die die weite Oessentlichkcit interessiert, die des tatkrästigen Wohlwollens ebenso würdig als bedürftig ist. Die Lehxerkonfercnzen bringen den Teilnehmern immerhin nicht unerhebliche Kosten. Bis jetzt hat nur der D. I. G. B. einiges geleistet in dieser Beziehung, indem er manchen Konferenzen Zuschüsse zu den Reisekosten gesandt. Das soll hier.anerkannt werden; doch wieviel könnte und sollte hier noch anderwärts geschehen! Statt dessen aber liest man die Konfcrenzbcrichte und — gähnt.
Tas sind Erscheinungen, die verbittern könnten, wenn der Lehrerstand sich nicht schon längst daran gewöhnte, sein Auge den Lichtseiten zuzuwenden, um Trost und Genugtuung zu finden- Wir sind bescheiden in jeder Hinsicht; was wir verlangen, ist nur das eine, daß man uns nicht als qaantitö negligeable behandle. Das ist eine immer wiederkehrende Forderung, solange das Wort von k'waud hatauro w'laumdeho keine leere Phrase sein soll. Und diese Forderung klingt jährlich unausgesprochen als ein Protest aus den Lehrerkonferenzen hervor, die man immer poch nicht zu bewerten gelernt nach ihre» Leistungen, nach ihrem Nutzen für die jüdische Schule, sür die Gemeinde, für die jüdische Gesamtheit. Möge die Erkenntnis der Bedeutung unserer Versammlungen immer weitere Kreise durchdringen zum Segen und Heil des Judentums und der Judenheit!
Ein jüdischer Lehrer.