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DIE NEUE WELT

Nr. 16

der. großen Vergangenheit und der glänzenden Ge­genwart, den Mann mit der eisernen Stirn, der so lieb,, von Sonnenfischen zu plaudern versteht.

| Direktor Siegmund Epler. |

Kaum einen halben Monat nach dem T-de Chajes' hat das Wiener Judentum wfeder einen schmerzlichen Vertust zu beklagen. Sie gm und Epler ist, 68 Jahre alt, verschieden und alle, die den hohen Wert dieses treuen -und selbstlosen Mannes kannten, trauern mit seiner FamLMe. Ein kluger, welt­erfahrener Berater, ein der jüdischen Sache tief er­gebener Arbeiter ist in Siegmund Epler von uns ge­schieden. Die zionistische Bewegung, der sein Den­ken gehörte, wird ihn schmerzlich vermissen.

Direktor Epler hatte sich schon vor mehr als dreißig Jahren zu der Jüdischnationalen Idee bekannt In T e p 1 i t z in Böhmen, wo er in geachteter sozialer Steflnng lebte, gründete er im Jahre 1899 den jüdi. sehen, VolksvereinZion", der bald eine der kräftig­

sten nationalen Organisationen im Bereiche des böh­mischen Distriktskomitees wurde. Epler leitete Hin vorbildlich bis zu seiner rm Jahre 1903 erfolgten Uebersiedfoing nach W4en. Auch hier stellte er siclj der; Zionistischen Organisarion zur Verfügung. Wältf rend des Krieges nahm er regen Anteil an dem Hilfst werk für die Flüchtlinge und die Waisenkinder. Da$ allgemeine Vertrauen, dessen er sich erfreute, berief ihn im Jahre 1918 m den Vorstand der Wiener Kut- tusgemeinde. Die Zionisten entsandten ihn in ihre leitenden Körperschaften. Er gehörte dem zionistir sehen Landeskomitee an und erwarb sich besondere Verdienste um den Palästina-Aufbaufonds, dessen österreichische Sektion er seit sieben Jahren leitete.

Direktor EpJer war in der Wiener jüdischen Gesellschaft ungemein beliebt und sein stets reger Wohltätigkeitssinn hat ihm in allen Schichten Ver­ehrung und Ansehen erworben. Kaufmännischer Bhck und ideales gemeinnütziges Empfinden waren ihm in reichem Maße eigen und so hat das Abteben dieses prächtigen jüdischen Menschen die jüdische Gemeinschaft in Trauer versetzt.

Direktor Epler, der die Kohlen- und Koksab- teüang der Wiener Länderbank leitete, hinterläßt eine Witwe und fünf Kinder. Seme Tochter ist nrit dem .deutschen Industrieilen Michael Goiitein ver- .heiratet.

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Das Leichenbegängnis fand am Dienstag um 12 Uhr mittags auf dem Zentralfriedhof statt. Die Beteiligung war außerordentlich stark. Sämtliche zionistischen Vereine, die Jugendverbände und die studentischen Organisationen hatten Vertreter ent­sendet, die jüdischen Vereinigungen Wiens waren durch starke Abordnungen vertreten. Die Trauer­rede hielt Herr Rabbiner Dr. Feuchtwang. Der Präsident der Kultusgemeinde Hofrat Dr. Pick nahm im Namen des Vorstandes, Herr Dr. Gold­hammer namens der Zionisten, Herr Dr. R o e d e r namens der Wiener Freimaurer und Herr Direktor Bergler namens der Länderbank Abschied von dem Verstorbenen. Nach tausenden zählte der Trauerzug, der Herrn Epler das letzte Geleite gab.

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RUNDSCHAU.

Ein herrliches Jubiläum steht nahe bevor.

hn Jahre des Heiles 1928 wird in Deutschland ein Jubiläum gefeiert werden, dessen sich wohl kein anderes Land dieser Welt ie wird rühmen können. Die Feiger der fünfzigsten Schändung eines jüdischen Friedhofes. Es hat sich nämlich erwiesen, daß die Anleitung zur Schändung' und Zerstörung jüdischer Friedhöfe einen eisernen und unentbehrlichen Bestandteil des deutschnatio­nalen Erziehungssystems bildet. Ohne Schändung jü­discher Friedhöfe kann die deutsche Jugend nicht ertüchtigt werden, kann Deutschland nicht wieder aus den Tiefen seiner Niederlage zur Sonne der Weltherrschaft gelangen! Diese Erkenntnis ist nicht mehr ganz jung. Sie dämmerte schon in den Jahren 1920 und 1921. Damals aber beschränkten sich die Erzieher Jungdeutschlands darauf, ihre Zöglinge zu jüdischen Friedhöfen zu führen, ihnen die Verrucht­heit der jüdischen Rasse und deren Schuld an der Kriegsniederlage in kurzen, aber kernigen Sätzen darzulegen und dann auf Kommando ausspucken zu lassen. Die hiedurch erzielten sittlichen und geistigen Erfolge ermutigten die deutschnationale Erzieher­schaft, das System zu vervollkommnen und zur An­leitung überzugehen, wie man Mauern jüdischer Friedhöfe raschestens niederreißt, Grabsteine gründ­lichst zertrümmert, und jüdische Grabhügel lückenlos mit Kot überdeckt. Glänzende Ergebnisse waren in Kürze zu verzeichnen. Ein in Deutschland erscheinen­des jüdisches Blatt hat die Sache statistisch behan­delt Von 1924 bis 1926 gab es allerdings nur 28 Friedhofsschändüngeh, dafür im Jahre 1927 schon 18, zusammen also 46. Wir können also zuversichtlich der schönen Hoffnung Ausdruck geben/daß die statt­liche, festliche Zahl 50 längstens im Februar 1928 er­reicht sein wird, was umso-wahrscheinlicher ist, da der Februar 1928 um einen Tag mehr zählt. Das er­wähnte Blatt leistet aber bei dieser Gelegenheit einen etwas naiven Stoßseufzer», Es berichtet, daß damals; als das Grabmal des von :deh Franzosen erv schossenen Schlageten besüd«H wurde, die deutsdre Reichsregierung sich beeilte, Ihrer Mißbilli­gung dieser Kulturschande drastischen Ausdruck zu verleihen. Dieselbe Regierung, so bedauert das Blatt, hält angesichts der zahlreichen Schändungen jüdischer Leichenfelder, beharrlich den Mund und findet keinen Ausdruck der . Entrüstung. Pas Blatt tut der Reichsregierung bitteres. Unrecht. Wie soll denn die löbliche Regierung den 1 Ausdruck einer Ent­rüstung finden, die nicht da ist?

Der Krieg gegen den jüdischen Studenten

ist zur LiebKngsbeschäftigung der deutschen Rek­toren geworden, seit der preußische: Unterrichts­minister Becker in das lichtscheue Treiben der Hakenkreuzlerei eingegriffen hat. Er tat dies, nachdem einwandfrei festgestellt worden war, daß diedeut­sche Studentenschaft" in Oesterreich nur eine ver­schwindende Minderheit der Hörerschaft bildet, aber trotzdem durch Terror sich den mäßgebenden Ein­fluß und eine Art Amtsclvarakter gesichert hat. Mi­nister Becker ging gegen den Unfug vor, aber ihm stellen sich jetzt die österreichischen Rektoren ent­gegen. Zuerst haben die Wiener Magnifizenzen eine Konferenz abgehalten und die von Preußen ange­strebte Vereinheitlichung der studentisclien Selbst­verwaltung verworfen. Ihnen schlössen sich die drei sterrischen Rektoren an. Sie erlassen eine Kundge­bung, in der sie vom Gesichtspunkt der akademischen Freiheit für die bisherigen Zustände eintreten. Unter akademischer Freiheit war bislang nur das Raufrecht zu verstehen. Der Begriff erfährt nunmehr eine schätzenswerte Erweiterung. Er wird unter die Ob­hut der Rektoren genommen, die ihn a/uch noch mit dem großd witschen Emblem aufputzen und den Mi­nister Becker scharf abkanzeln ob seiner Versuche, die nach langwierigen Kämpfen endlich hergestellte Einigkeit rn der deutschen Studentenschaft zu stören". Mit dieser Einigkeit liatte es die folgende Bewandtnis: Dfc Deutschnationalen hielten die Klerikailen nicht für vollwertig. weH die mit dem Säbel nicht herum­zufuchteln verstanden. Sie prügelten also von Zeit m Zevt einander herzinniglich, wobei die Nationalen das Rosen-kranzlied vortrugen. Das giriff so lange, bis einmad in Graz der Ohristfichsoztale Hagenhofer mit seinen Bauern die Universität za stürmen drohte. Dann kam der Krieg und nachher die Einigkeit; sie besteht darin, daß die Klerikalen sich unter das Hakenkreuz stellten, und mit den anderen. Schulter an Schulter die. Judennatz ins Programm nahmen. Das,-ist die, Bn;gkeU. '.die akademische ^Freiheit und dergroßdeujtscheAu&". Die Rektoren verkünden

feierlich, daß sie dafür auch fernerhin eintreten woMen. Das ist wieder ein Beitrag zu dem Kapitel von der geistigen Kot der Hochschulen, zu deren Be­kämpfung alle halben Jahre das jüdische Publikum angebettelt wird.

Wie in Deutschland Stimmung gemacht wird* Wir lesen hnBerliner Tageblatt": Die Zeitungen, Zeitschriften, Korrespondenzen und sonstigen Presse­organe, die Herrn .Hilgenberg* Organisation mit ihrenzwölf nationalen Männern" gehören, halten sich vom Antisemitismus im allgemeinen fern. Wenig­stens da, wo sie kontrollierbar sind. Da, wo man un­beobachtet zu seih glaubt, kann man auch anders. Uns liegt die für die kleine Provinzpresse bestimmte D-Mater Nr. 146 vom 16. Dezember 1927 der Wiprö- Korrespondenz vor, und in dieser heißt es:

Die letzte Woche brachte zwei Beispiele dafür, wie das Judentum den Parlamentarismus dazu benütet, seine Macht in Deutschland zu erweitern. Zum ersten Mate soll der Posten eines Regierungsprä­sidenten mit einem Vollblutjuden besetzt werden. So etwas hatte man bisher noch nicht gewatgt; jetzt aber glaubt man, sich schon etwas vortrauen zu können. Der genannte Regierungspräsident bringt natür­lich nicht die geringste Befähigung für das Amt mit, außer der, daß er eben Jude ist. Ferner stand im Landtag ein Antra« der Völkischen auf Verbot des Schächtens zur Beratung. Das Schächten ist das bei den Juden übliche betäubungslose Töten von Schlacht­tieren. Obwohl die Sachverständigen ausführen, daß dieses Schächten eine der fürchterlichsten Tierquälereien sei, die es gibt, obwohl die grauenhaftesten Erfahrungen aus diesem Gebiet berichtet wurden, wagte es doch kein Abgeordneter der Linken, obwohl zweifellos die M e b r- zahl durch das Gehörte geradezu erschüttert war, sich gegen den jüdischen Befehl aufzulehnen. Das Schächten bleibt also in Preußen erlaubt. So beugen wir uns vor den Juden." ... Daß die Mehrheit des dentsclmationälen Land­tagsjüdischem Befehl" gehorcht, : ist eine gewiß originelle Entdeckung, und die Erzählung von dem Regierungspräsidenten ist ganz frei erfunden. Aber wer prüft das an den versteckten Stellen; an denen dieser. Giftsamen ausgestreut wird!

Arabische Arbeiter gegen jüdische Arbeiter.

Eine Lehre für die Klassenkampf er.

In der arabisch-palästinensischen Zeitung fe­iest i n" (Palästina") veröffentlicht dieVerein i- g,ung der arabischen Arbeiter Pala­st 1 n-a s* w Manifest, welches gegen die jüdi­schen Arbeiter im Lande gerichtet ist. In dem Ma­nifest wird energisch gegen die Regierung Stellung genommen, weil diese die Absicht geäußert hat, jü­dische Arbeitslose bei der Ausfuhrung öffentlicher Arbeiten zu verwenden. Die Araber berufen sich darauf, daß die Mehrzahl der Steuerzahler im Lande arabisch ist und es als schweres Unrecht empfinden würde, wenn auf ihre Kosten jüdische Arbeiter be­schäftigt würden.

Zu diesen Auslassungen wäre vor allem zu be­merken, daß die Tatsachen ins Gegenteil verkehrt werden. Die Juden habenMenschen und Kapital ins Land gebracht, sie waren es, die so ungeheuer viel für die Umwandlung einer vernachlässigten türki­schen Provinz in ein modern eingerichtetes, zivili­siertes Gemeinweseen geopfrt haben. Hn sehr gro­ßer Teil des eingebrachten jüdischen Geldes ist in die Taschen der arabischen Grundbesitzer, Händler .und Arbeiter geflossen, in Form von Profit und Ar­beitsform,, und wenn heute die arabischen Arbeiter aus dem Zustande der ärgsten Lohnsklaverei heraus­gehoben sind, so haben sie dies einzig und aillein dem jüdischen Geiste des Fortschrittes und den Bemühun­gen der jüdischen Arbeiterschaft z>u danken. Wenn schon vonKosten" gesprochen wird, dann kann wahrlich irur vonKosten" die Rede sein, welche von Juden getragen werden. In Palästina sind die Juden die Geber, die Araber die Empfänger. Und auch die Steuern zahlt der Jude.

Die hn Manifest gekennzeichnete Haltung der arabischen Arbeiterschaft ist aber auch geeignet, eine gewisse, in manchen Kreisen der jüdisch-palästinen­sischen Arbeiterschaft herrschende Tendenz ins rechte Licht zu rücken. Bs ist die Tendenz, die iq Europa gepflegte Form des Klassenkampfes nach Palästina zu übertragen. Es handelt sich hiebei nicht um das Bestreben, durch Organisierung der Arbeiterschaft ihr Recht zu schützen und ihre freie Entwicklung zu sichern, ein Bestreben, das auch in Palästina durchaus notwendig ist. Sondern es handelt sich um 4ie Tendenz, die nationale Idee, die Idee vom Aufbau des jüdischen Staates auf den zweiten Platz m drängenund ihr die Idee vom Klassen-