Nr. 2
Bayerische Israelitische Gemeindezeitung
39
sinniges Eindringen in die Probleme der talmudischen Diskussion hob ihn in die Reihe der altjüdischen Weisen und Meister. Was er aber vor diesen noch voraus hatte, war die tiefe allgemeine Bildung, als Sprachforscher, als Geschichtskenner, als Kulturhistoriker. — Auf all diesen Gebieten war er zu Hause, und er verstand es kraft seines vielseitigen Wissen, in die dunkelsten Stellen unserer alten Quellenschriften hineinzuleuchten und Klärung da zu bringen, wo Hunderte vor ihm sich vergeblich abgemüht halten. Das wissen alle die, die seine Schüler und Hörer waren. Aber es ist auch einem weiteren Kreis bekanntgeworden durch seine Aufsätze und Abhandlungen, die gedruckt vorliegen in Zeitschriften, in Broschüren, vor allem in den Jahrbüchern der Iüd. Literarischen Gesellschaft, an denen wir uns in den letzten zwanzig Jahren Jahr für Jahr erfreuen durften. Einen Teil seiner halachischen Vorträge hat der Verstorbene in den zwei letzten Jahren noch selbst für den Druck vorbereiten können. Wir werden sie, wie wir hoffen, bald als sein teures Vermächtnis vor uns haben. — Dr. Ehrentreu hat auch das Werk eines anderen großen Talmudgelehrten fortgesetzt, der in den Mauern dieser Stadt gelebt hat, die nnaiD 'pnpi von Raphael Neta Rabbinowicz. Es ist ein ungewöhnliches, fast möchte ich sagen, unverdientes Glück, daß die Gemeinde München in dem letzten halben Jahrhundert zwei Männer in ihrer Mitte hatte, die als Leuchten der talmudischen Wissenschaft in der Iudenheit der ganzen Welt bekannt waren und den Ruf unserer Gemeinde als einer Stätte talmudischer Gelehrsamkeit weit hinausgetragen haben. Raphael Neta Rabbinowicz hat die Textkritik des babylonischen Talmuds auf Grund der ältesten Handschriften und Drucke geschaffen. Als Unterlage diente ihm der berühmte Kodex der hiesigen Staatsbibliothek. Das war wohl auch der Grund, daß er in München seinen Wohnsitz nahm, wo er in dem Mitbegründer und langjährigen Vorsitzenden des Ohel Jacob, Abraham Merzbacher, einen opferfreudigen Mäzen fand. In fünfzehn inhaltsschweren, zum größten Teil in München gedruckten Bänden hat Rabbinowicz das Ergebnis seiner Forschungen nicdergelegt. Als der bedeutende Forscher und bescheidene Mensch, dessen Gestalt den Älteren in diesem Kreise noch wohl in Erinnerung sein dürste, vor nun 38 Jahren auf einer Reise im fernen Rußland unerwartet einer Krankheit erlegen war, war das textkritische Material ftir einen weiteren umfangreichen Band, den 'Traktat pSm bereits zum größeren Teil zusammengetragen. Da hat nun der Verein Ohel Jacob seinem alten Namen als „Verein zur Förderung jüdischer Wissenschaft", Ehre gemacht und hat die Kosten der Herausgabe des pbin Bandes übernommen. Die Bearbeitung aber übernahm damals Rabbiner Dr. Ehrentreu, der mit der gleichen Akribie wie sein Vorgänger, zugleich aber unter Anwendung der Methoden der modernen Wissenschaft das Werk in jahrelanger emsiger Arbeit fortgesetzt und vollendet hat. Er hat sich selbst, er hat dem Verein Ohel Jacob, er hat der Münchener Kultusgemeinde damit in der
Welt der jüdisch-talmudischen Wissenschaft einen unvergänglichen Namen gesichert.
Auch dieses dankt die Gemeinde München dem teuren Toten.
Es sind jetzt gerade dreißig Jahre her — ich kam damals fast täglich als Lernender in das Haus des Meisters — als der Verstorbene das Chulin-Werk zum Abschluß brachte, und die letzten Worte, die er hier niederschrieb und mit denen das Werk seinen Abschluß findet, es ist der Ausspruch des Tannaiten R. Jacob, der die in der Thora an mehreren Stellen gegebene Verheißung 2'v' ranxm -ft 22" ;yaS („auf daß es dir gut ergehe und du lange lebest") auslegt:
.“pix ftwV nbvjz D'2'^ro-iNni 212 fti22' 2^172 iS 22" wnb („Auf daß es dir gut ergehe: in der Welt, in der es nur Gutes gibt, und du lange lebest: in der Welt, die von ewiger Dauer ist."
Mit diesen Worten, mit denen der Verewigte damals sein Werk beendet hat, möchte ich heute, seiner selbst damit gedenkend, diesen Nachruf beschließen.
Die Beerdigung von Rabbiner Dr. Heinrich Ehrentreu fand am 4. Januar 1927 im neuen israelitischen Friedhof statt. Aus ganz Bayern und aus dem Reiche waren zahlreiche Rabbiner und Vertreter der Gemeinden gekommen, um an der Beerdigung teilzunehmen.
Zum Gedächtnis des Verstorbenen sprachen Dr. Ernst Ehrentreu, der Sohn des Verstorbenen, Justizrat Dr. Max Feucht- wanger als Vorsitzender von Ohel Jakob, Oberlandesgerichtsrat Dr. Neumeyer für den Vorstand der Münchner Israelitischen Kultusgemeinde, Rabbiner Dr. Stein (Schweinfurt) im Namen der bayerischen Rabbinerkonferenz und des Bundes dsr gesetzestreuen Gemeinden Bayerns, Dr. Wohlgemut (Berlin) für .das Rabbinerseminar in Berlin, Dr. Pinch. Kohn (Wien) für die Agudas Israel und die Gemeinde Adas Jisroel in Wien, Rabbiner Dr. Esra Munk (Berlin) für den orthodoxen Rabbinerverband Deutschlands und die Gemeinde Adas Jisroel in Berlin, Jacob Rosenheim (Frankfurt) für dia israelitische Religionsgesellschaft Frankfurt, Rabbiner Dr. Jakob Horowitz (Frankfurt) für die israelitische Kultusgemeinde Frankfurt, Heckscher (Hamburg) für die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg, Felix Feuchtwanger (München) für die Chewra Kadischah, Dr. Rafael Lern als Schüler, Rabbiner Dr. Baerwald als Amtsbruder des Verewigten.
Eine sehr eindrucksvolle Trauerfeier fand ferner am 10. Januar 1927 bei der Religionsgesellschaft Ohel Jakob statt, wo Rabbiner Dr. S. Klein (Nürnberg) in großangelegter Rede den unersetzlichen Verlust beklagte und die Trauernden aufforderte, im Sinne des Verstorbenen weiterzuarbeiten und ihm so den würdigsten Dank abzustatten.
Es sprachen ferner Justizrat Dr. Emil Frankel als einex der ältesten Schüler, Justizrat Dr. Elias Strauß namens der israelitischen Kultusgemeinde in beredter Würdigung der großen Verdienste des Dahingeschiedenen und Dr. Ernst Ehrentreu.
Das hier zur Wiedergabe gebrachte Bild Dr. Ehrentreus, ist die Wiedergabe eines Gemäldes des Münchener Malers Segall. Prof. Dr. August Mayer hat uns vor einiger Zeit folgende Besprechung des Segallschen Werkes zugesandt:
„Der Maler Segall, viele Jahre hindurch ein begabter Schüler Carl von Marrs an der Münchner Akademie, hat vor kurzem eine große, leichtfarbige Bildniszeichnung Sr. Ehrwürden des Herrn
Seidenhaus J.Haimann A.-G., München
Gründungsjahr 1845 Maximiliansplatz 12 Gründungsjahr 1845
SPEZIALHAUS GROSSEN STILS FÜR SAMT UND SEIDE
Geschäftsstellen: KREFELD — ZÜRICH — MAILAND — LYON— PARIS