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Schriftleitung.- M. Rosenfeld, München

1927 München, 19. September Nr. 8

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Die Zukunft ist es, die du dir selbst nach guter oder schlechter Be­nutzung der Vergangenheit und Gegenwart selbst erzeugst, denn eben nach dieser deiner freien Tat gestaltet dir Gott deine Zukunft zur Vergeltung, zur Erziehung; und so ist's zur Hälfte der Mensch selbst, der sich die Zukunft bereitet. S. R. Hirsch, Choreb.

verickl der Vereinsleitung über das lahr 1926/27

erstattet von S. Dingfelder.

Um die Mitgliederversammlung zu entlasten und den Bezirksver­sammlungen Gelegenheit zu Vorberatungen zu geben, erstatte ich den Jahresbericht in unseren Mitteilungen. Er umfaßt die Zeit­spanne von der 45. Mitgliederversammlung am 30. und 31. August 1926 in Würzburg bis zum 1. September 1927. _

1. Verband der Jüdischen Lehrervereine im Deutschen Reiche. Mit dem Eintritt des Bayerischen Lehrer­vereins in den Verband, haben die jüdischen Lehrer im Reiche fast ausnahmslos sich zu gemeinsamer Arbeit im Dienste der Schule, des Standes und des Judentums vereint. Sie haben damit eine Aufgabe gelöst, die für die Gemeindeverbände in Nord und Süd noch unerfüllt ist. Der Verband der Jüdischen Lehrervereine wird die Einigung der Gemeindeoerbände nach Kräften fördern. Ein Reichsverband der Gemeinden wird der Mitarbeit der Lehrer nicht entraten können, denn unsere Aufgaben sind auch Aufgaben des Judentums:

Anteilnahme an dem allgemeinen deutschen Erziehungswerk.

Rechtliche und soziale Sicherung der jüdischen Lehrer.

Verufsvorbildung und Fortbildung der jüdischen Lehrer.

Mitarbeit an sozialen Einrichtungen der Judenheit.

Die Jüdische Schulzeitung Nr. 8 veröffentlichte auf Seite 68 den Entwurf der Satzungen, dessen Grundlinien in Nürnberg und Würzburg von unseren Mitgliederversammlungen beraten und ge­billigt wurden.

2. Schächtfrage. Tief schmerzlich ist für die in Bayern leben­den Juden das drohende Verbot des betäubungslosen Schächtens. Die große Erregung über den religiösen Gewissensdruck, der seit dem Beschluß des Landtags alle jüdischen Kreise belastet, sprach sich in einer Entschließung der 45. Mitgliederversammlung aus. Wir haben diese Entschließung in den Mitteilungen Nr. 11 vom 7. No­vember veröffentlicht und durch den Verband Bayerischer Israeliti­scher Gemeinden der Staatsregierung überreichen lassen. Noch geben wir die Hoffnung nicht auf, daß in letzter Stunde ein Weg gefunden werde, die drohende Gefahr zu beseitigen.

3. Reichsschulgesetz. Am 15. Juli 1927 wurde derEnt­wurf eines Gesetzes zur Durchführung des Art. 146, Abs. 2 und 149 der Reichsverfassung" veröffentlicht. Die Bayerische Lehrerzeitung Nr. 29/30 gibt den Wortlaut bekannt. Trotz der Bedeutung des Reichsgesetzes, das den Gedanken an seine Spitze stellt:In allen Volksschulen ist darauf Bedacht zu nehmen, daß die Empfin­dungen Andersdenkender nicht verletzt werden", hat sich die jüdische Öffentlichkeit (Verbände, Gemeinden, Zeitungen) mit den auch für die Juden ties einschneidenden Schulfragen der Gemeinschaftsschule, der Bekenntnisschule und der bekenntnis­freien Schule wenig beschäftigt. Der Raum, der in unseren Mittei­lungen uns zur Verfügung steht, erlaubt uns nur den Entwurf im Auszug zu veröffentlichen, wir möchten aber die Bezirksver­sammlungen dringend ersuchen, den Reichsschulgesetzentwurf be­kanntzugeben und Referate zu erstatten.

4. Landeslesebücher. Mit dem Schuljahr 1927/28 fanden die neuen konfessionellen Landeslesebücher Einführung. Der Baye­rische Lehrerverein hatte vergeblich gebeten, konfessionelle Stücke in einem gesonderten Anhänge zu bringen. Auch wir sind im Inter­esse unserer religiösen Minderheit im gleichen Sinne vorstellig ge­worden. Münchener und Nürnberger Kollegen wollen nun aus Anregung von Max Adler (München, Tengstraße 2), ein Hilsslese- buch für jüdische Volks- und Religionsschulen schaffen, das den Kin­dern jüdische Stoffe in einer ihrer Altersstufe angemessenen Form bietet. Wir bitten Kollegen, die an dem Buche Mitarbeiten wollen, Beiträge an Max Adler einzufenden.

5. Die Lehrordnung für die bayerischen Volks­schulen trat mit dem neuen Schuljahr 1927/28 in Kraft. Die christlichen Bekenntnisse haben die Lehrpläne für den Religions­unterricht organisch der Lehrordnung eingefügt. In einer Denk­schrift, veröffentlicht in der Jüdischen Schulzeitung Nr. 4 und 5, habe ich angeregt, einen Landeslehrplan für den jüdischen Reli­gionsunterricht im Sinne und im Rahmen der Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen und darüber hinaus für die höheren Schulen zu schaffen. Ich verkenne nicht, daß der Ausführung dieses Gedankens Schwierigkeiten entgegenstehen (verschiedene religiöse Einstellung, örtliche Verhältnisse, Klasseneinteilung), aber die Ver­suche unseres Lehrervereins schon in den Jahren 1890 und später, die Aufstellung von Lehrplänen für die Großgemeinden (München und Nürnberg) und Rabbinatsbezirke, von denen mir die von Ansbach und Schweinfurt vorliegen, beweisen das Bedürfnis.

Fortsetzung folgt!

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Nachstehend lassen wir die wichtigsten Bestimmungen desEnt­wurfes eines Gesetzes zur Durchführung der Artikel 146, Abs. 2 und 149 der Reichsverfassung" folgen. Der vollständige Entwurf ist u. a. abgedruckt in Nr. 29/30 derBayerischen Lehrerzeitung".

Z 1. Alle deutschen Volksschulen haben die gemeinsame Aufgabe, die schulpflichtige Jugend durch Unterricht auf der Grundlage des deutschen Kulturgutes zu körperlicher und geistiger Tüchtigkeit her­anzubilden und sie in Unterstützung, Ergänzung und Fortführung der elterlichen Erziehung zu sittlich wertvollen Menschen und zu Staatsbürgern zu erziehen, die fähig und bereit sind, der deutschen Volksgemeinschaft zu dienen. In allen Volksschulen ist daraus Bedacht zu nehmen, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden.

§ 2. Es gibt folgende Formen der deutschen Volksschule: a) die nach Bekenntnissen nicht getrennte Volksschule (Gemeinschaftsschule), 1>) die Bekenntnisschule, e) die bekenntnisfreie Schule (weltliche oder Weltanschauungsschule).

§ 3. Die Gemeinschaftsschule steht grundsätzlich allen volksschul­pflichtigen Kindern offen. Der Religionsunterricht ist für alle Klas­sen ordentliches Lehrfach. Bei der Anstellung der Lehrer ist die Gliederung der Schüler nach Bekenntnis und Weltanschauung tun­lichst zu berücksichtigen.

§ 4. ... Die Bekenntnisschule wird nach dem Bekenntnis näher bezeichnet als evangelische, katholische, jüdische Volksschule. Sie er­füllt die Unterrichts- und Erziehungsaufgaben der deutschen Volks­schule gemäß dem Glauben, in dem die Kinder erzogen werden. Lehrpläne, Lehr- und Lernbücher sind der Eigenart der Schule an­zupassen. Zur Erteilung von gesondertem Religionsunterricht an Kinder eines Minderheitsbekenntnisses kann eine dem Minderheits­bekenntnis angehörige Lehrkraft angestellt werden, wenn die Be­schaffung dieses Unterrichtes auf andere Weise nicht möglich ist. Diese Lehrkraft kann noch mit anderem Unterricht betraut werden.