Vagerische
Israelttische GemeLnöezettung
Rachrichtenblatt öer Israelltischen Kultusgememöe in München unö ües Verbanües Sagerischer Israelitischer Gemeinöen
erscheint am r. unü 15. jeüen Monats. — Verlag: S. Heller, München, Herzog Marstraste 4, Fernsprecher 93099/ Postscheckkonto Nr. 3987 München. Schristleitung: Or. Lugen Schmiüt, Rechtsanwalt ln München, Karlstraste 6.
Bezugspreis für nicht eingewiesene Bezieher: Mark 4.— für üas Jahr. Anzeigenpreis: Oie 4 gespaltene Millimeter-Jette 40 Pfennige. Familienanzeigen, Stellengesuche unü ähnliche Angebote 15 Pfennige.
192 .$ München, 1. Februar Ar. L
Inhalt: Zedokoh-Geist und Wohlfahrtspflege — Warum und wie führen wir die jüdische Frau zur Landwirtschaft? — Neue Geschäftsstelle der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden — Führer durch die jüdische Wohlfahrtspflege — Aus dem Verbände — Aus der Gemeinde — Vorträge — Bücherschau — Vereine — Amtlicher Anzeiger: Bekanntmachungen des Verbandes Bayerischer
Israelitischer Gemeinden — Bekanntmachung über den Vollzug des religionsgesetzlichen Steuervollzuges — Bekanntmachung über die Vorschußzahlung auf die Besoldungsneuregelung — Bekanntmachung über die Erweiterung des Gebietes der Israelitischen Kultusgemeinde Cham — Personalia.
Zedokoh-Seist und Wohlfahrtspflege
Ansprache bei der Aufführung des Wohlfahrtsfilms „Ein Freitagabend" am 4. Dezember 1927
Von Leo Baerwald
Hinter den Fallen dieses Vorhangs breitet sich die schimmernde, glatte Fläche der Leinwand aus, die mehr noch als die Bretter der Bühne die Welt bedeutet. Was Menschen erregt und bewegt, flimmert in Millionen von Bildern über sie dahin; die Liebe feiert hier ihre Triumphe, das Böse seine Orgien; „den Haß sehen wir wüten, den Neid nagen", Lachen und Weinen gehen von hier aus, edle Erhebung, verwerfliche Luft. Was gibt es, das dem großen Zauberer unserer Gegenwart, dem Film, unmöglich wäre? Wer möchte, wer könnte seiner entraten, der wie in den Dienst des Vergnügens, so auch in den der Belehrung gestellt wird und zu diesem Zwecke noch mehr verwendet werden sollte. Und nun ist es auch die Wohlfahrtspflege, die sich seine Mithilfe sichert.
Die jüdische Zentralwohlfahrtsstelle, die diesen Film geschaffen hat und ihn in einer großen Reihe von Anstalten hat aufnehmen lasten, ist von dem richtigen Gedanken ausgegangen, daß in unserer schnellebenden Zeit, in der ethische Werte sich nur so schwer und mühsam durchsetzen und gegenüber der Fülle lauter und greller Eindrücke immer stärker verblassen, daß heute auch moderne Mittel angewendet werden müssen, um das Gute da zu zeigen, wo es ist, um es nicht nur im Verborgenen blühen zu lassen, sondern um es hervorzuheben, zu unterstreichen und es den Menschen vor die Augen und durch dieses Tor auch vor die Seele zu führen.
So soll denn auch hier ein Stück, wir dürfen sagen ein bedeutsames Stück des jüdischen WohlfahrtSwesenö in Deutschland sich vor uns abrollen. Was sie hier zu sehen bekommen werden, bedarf gewiß keiner Erklärung. Aber einige allgemeine Gedanken, zu denen vielleicht gerade die Vorführung des Wohl
fahrtSwerkes im Film Anlaß gibt, mögen doch hier ausgesprochen werden.
Wohlfahrtspflege und Film! Das heißt also eine der neuesten technischen Errungenschaften verbunden mit Ideen, die zu den ältesten Ideen der sittlichen Menschheit gehören! Wie paßt das zusammen? Gibt das, so wird mancher fragen, keine Dissonanz? Und empfinden wir nicht dieselbe Dissonanz, wenn wir uns überhaupt vergegenwärtigen, daß die moderne Wohlfahrtspflege immer unpersönlicher, immer mechanischer, immer schematischer zu werden scheint? Ist es nicht dieselbe Frage, die wir in ruhigen Stunden uns selbst vorgelegt haben, daß wir es hier nur noch oder in überwiegendem Maße mit einer Organisation zu tun haben, während der Hauptbestandteil, das Hauptmerkmal aller Wohlfahrtspflege, die persönliche Hingabe, die opferbereite Liebe, das Sichdarbieten des Menschen eben in dem Maße verloren zu gehen scheint, in dem organisiert und verallgemeinert wird? Geht nicht jeder sittliche Wert der guten Tat zugrunde, wenn sie als Berufspflicht von beamteten Personen ausgeübt wird? Haben wir nicht, um sittliches Tun eben als sittliches Tun zu erfüllen, an das talmudische Wort zu denken: „Die gute Tat hat nur soviel Wert, als Liebe in ihr ist?"
Wer wollte leugnen, daß wir es hier mit Gefahren zu tun haben, die nicht nur theoretisch errechnet sind? Aber wenn die Wohlfahrtspflege uns in der Gegenwart manche neuen Wege führt, wenn die Not der Zeit uns vielfach zwingt, immer wieder neue Wege zu suchen, so bedeutet das an sich noch nicht, daß sich die sittliche Gesinnung, das ideale Empfinden und die ideale Betätigung in ihrem Wesen geändert haben. — Die Technik des Wohltuns ist eine andere geworden; die Gesinnung braucht