274

Bayerische Israelitische Gemeindezeitung

Nr. 17

Lessing tapfer einherschritt und den bedächtigeren Gefährten gewaltig mit sich fortzog.

Und doch war dieses Gleichmaß schwer erkämpft.Weg mit diesen Gedanken! Sie machen mich unmutig" schreibt Mendels­sohn einmal in einem Briefe an seinen philosophischen Schüler, den Benediktinermönch Winkopp, nachdem er ein seltenes Mal seinem Schmerz über das Schicksal eines Judenallhier in diesem sogenannten duldsamen Lande" Lust gemacht hat. Wir aber sagen heute im Gegenteil: Her mit diesen Gedanken! Erst sie erst die Schmerzen dieses scheinbar heiteren Lebens lassen uns die tieferworbene Kraft des Kämpfers Moses Mendelssohn er­kennen.

. Von vornherein, das gesteht er selbst einmal zu, haben Kampf und Kampfgetöse durchaus nicht im Lebensplan dieses stillen Men­schen gelegen. Er wollte sich bescheiden, tagsüber im Kontor der Seidenwarenfabrik als Kaufmann für sich und feine Familie den Unterhalt zu verdienen und wollte glücklich sein, wenn es ihm gelang, in seinen spärlichen Mußestunden der Philosophie, der die Liebe seines Lebens galt, sich zu widmen. Auch schien es zunächst, als solle dieser Lebenstraum sich verwirklichen. In Berlin, wohin den dreizehnjährigen Knaben sein unstillbarer Drang nach Lernen und die Gestalt des verehrten Lehrers Rabbi David Fränckel gezogen hatte, fand er zunächst einen Kreis von aufstrebenden jungen Juden, die, wie es ihm scheinen mochte, schon dabei waren, das Ideal seines Lebens, die Vereinigung von neuzeitlicher deutscher Bildung und jüdischer Tradition zu verwirklichen. Alle nahmen sie sich des unermüdlich lerneifrigen Knaben an: der junge Doktor der Medizin Abraham Kisch aus Prag lehrte ihn Lateinisch, der Hebraist Israel Samosz trieb mit ihm Mathematik; vor allen Dingen erwarb er damals in Aron Salomon Gumpertz einen Freund, dessen Leben wie ein schwächeres und tragisches Vorspiel schon das Leben Mendels­sohns vorzuahnen scheint. Mit dieser wissensdurstigen jüdischen Jugend verbanden sich schon damals vorurteilsfreie Christen, wie sie im Berlin Friedrichs des Großen zu finden waren, zu gedeih­licher Arbeitsgemeinschaft; im Ioachimsthalschen Gymnasium hält Gumpertz regelmäßige philosophische Zusammenkünfte mit den Alumnen, zu denen auch der junge Moses zugezogen wird. Als die Krönung dieser Frühlingszeit in Mendelssohn Leben erscheint schließlich die Vereinigung mit Lessing, die (wahrscheinlich durch Gumpertz vermittelt) zu jener denkwürdigen LebenSfreundschaft führte: nicht nur einer Gemeinschaft literarischer Kämpfe der Frühzeit, sondern einer Gemeinschaft der Gedanken durchs ganze Leben und über das Leben hinaus.

Da tönt der erste schrille Ton des alten Iudenliedes. Als Moses Mendelssohn zum erstenmal vor der deutschen Öffentlich­keit erscheint noch ohne seinen Namen und sicherlich auch ohne seine Absicht. schon da tritt der Mann des Friedens als ein Kämpfer und ein Ankläger in die Arena.

Lessing hatte damals noch kannte er Moses Mendelssohn nicht, wohl aber nach Freudentals ansprechender Vermutung Gumpertz und andere gebildete Juden aus seinem Kreise sein LustspielDie Juden" geschrieben. Der Inhalt ist harmlos ge­nug: ein Baron wird von vermeintlich jüdischen Räubern ange­griffen, die sich schließlich als Christen Herausstellen und von einem vermeintlich christlichen gebildeten Reisenden, der sich schließlich als ein Jude herausstellt, gerettet. Ein primitives Luftspielchen

im Stile der Zeit, so scheint es, dessen etwas grobkörniger Schluß besonders deutlich zeigt, wie weit der Weg noch bis zu Nathan dem Weisen ist. Und doch war damals auch das gebildete Deutschland für den Grundgedanken dieses Stückes nicht reif genug. Kein Geringerer als der gelehrte Göttinger Professor Michaelis, der Vater einer geistreichen Tochter und selbst ein geistreicher Mann und Begründer der neueren Bibelforschung, kämpfte mit schwerwiegenden Gründen dagegen.Bei der Lesung dieses Stückes", so schrieb er,ist uns stets das Vergnügen... durch etwas unterbrochen worden... der unbekannte Reisende ist in allen Stücken so vollkommen gut, so edelmüitg..., daß es zwar nicht unmöglich, aber doch allzu unwahrscheinlich ist, daß unter einem Volke von den Grundsätzen (der Juden)... ein sol­ches edles Gemüt sich gleichsam selbst bilden könnte."

Wie wehrt sich nun Lessing gegen diese Verdächtigungen seiner Grundanschauung?Das Stück war das Resultat einer sehr ernsthaften Betrachtung über die schimpfliche Unterdrückung, in welcher ein Volk seufzen muß, das ein Christ, sollte ich meinen, nicht ohne eine Art von Ehrerbietung betrachten kann. Aus ihm, dachte ich, sind ehedem so viele Propheten und Helden aufgeftan- den, und jetzo zweifelt man, ob ein ehrlicher Mann unter ihm anzutreffen sei?..." Mit diesen Worten legt er selbst die Grund­absicht seines Stückes dar; dann aber schickt er einen anderen vor,dem dieser Umstand näher ans Herz gehen muß; einen aus dieser Nation selbst. Ich kenne ihn zu wohl, als daß ich ihm das Zeugnis eines ebenso witzigen, als gelehrten und rechtschaffenen Mannes versagen könnte." Und nun erscheint noch heute in LessingS sowohl wie in Mendelssohns Werken nachzulesen ein Brief des jungen Moses Mendelssohn an seinen Freund Gum­pertz: leidenschaftlich aufgeregt, als habe man die Grundfesten seines Daseins erschüttert. Denn es war ja nicht nur das gemeine Volk, das jetzt die Juden angriff solchen Angriffen war er mit Verachtung zu entgegnen gewohnt. Jetzt sind es die gelehrten Leute, die Gebildeten, die ihn enttäuscht haben jene Menschen, mit denen er leben und arbeiten und Schulter an Schulter um die gleichen Ziele zu ringen sich entschlossen hatte. Und nun ent­wirft der junge Mensch in diesem anonymen Briefe schon jetzt ein Bild der jüdischen Gemeinschaft, das weit über LessingS harm­loses Lustspiel hinausgeht. Jetzt ist eS nicht mehr das Bild eines Juden, eines Ausnahmejuden, wie Lessing ihn wollte; sondern hier wird ein Bild der jüdischen Gesamtheit entworfen, wie sie sich aus den Schlacken der Bedrückung zur ursprünglichen Rein­heit läutert: ihr Abscheu vor Mord und Diebstahl, ihr Mitgefühl mit den Armen, ihr Fleiß, ihre Heiligkeit in den Ehen

Das ist ein Bild, das weit über diese zufällige Veranlassung hinausgeht und uns zeigt, daß dieser Angriff den jungen Men­delssohn, so sehr er ihn erschütterte, doch nicht unvorbereitet traf. Mit gutem Grund gibt Lessing vor, er seides eingerückten Brie­fes wegen in Sorge." Wir freuen uns dieser Sorgen; denn sie führen Lessing schon damals zu jener unvergeßlichen frühen Cha­rakteristik des Menschen Mendelssohn, wie er ihn durch sein Leben erfunden hat.Ich sehe ihn im Voraus als eine Ehre seiner Nation an, wenn anders ihn seine eigenen Glaubensgenossen zur Reife kommen lassen..."

So leidenschaftlich Moses Mendelssohn den Kampf gegen Michaelis aufnahm: so ist er doch nur ein Vorspiel zu den eigent­lichen Mdischen Kämpfen dieses Philosophenlebens.