Nr. 17

Bayerische Israelitische Gemein-dezeitung

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Wieder waren ruhige Jahre vergangen. Mendelssohn hatte sich einen Hausstand gegründet, Kinder waren ihm geboren, sein philosophischer Ruf war gewachsen. Gerade dieser wachsende Ruf einesIsraeliten, in welchem kein Falsch ist", bringt ihm nun den neuen Kampf.

Der junge Schweizer Diakon Johann Kaspar Lavater kannte Mendelssohn von einem Besuche in Berlin und verehrte ihn glühend. Als er nun des Genfers BonnetUntersuchung der Beweise für das Christentum" übersetzt und neu herausgibt, da weiß er nichts Besseres als eine Widmung an Mendelssohn vor­auszuschicken. In dieser Widmung fordert er den Juden auf, entweder die Schrift zu widerlegen oderzu tun, was Sokrates an seiner Stelle getan hätte..."

Für Mendelssohn selbst muß diese Aufforderung gleichsam ein Erwachen aus dem messianischen Traume seiner Jugend, seiner Freundschaft mit Lessing, bedeutet haben. Nicht daß er unvor­bereitet wäre, Lavaters Fragen zu beantworten, Bonnets Be­weise zu widerlegen. Alle seine Beschäftigung mit den Wissen­schaften, so schreibt er, habe ja nur dem einen Zwecke gegolten, sich zu dieser nötigen Prüfung vorzubereiten. Seine Antwort ist bündig genug; und vermeidet dabei zugleich, was einem Juden im Preußen Friedrichs des Großen zu vermeiden bestimmt geboten war, eine Diskussion über Judentum und Christentum. Von seiner Religion wehrt er mit edler Geste jenen Bekehrungs­eifer ab, der in Lavaters Worten ihm entgegentrat. Wenn ein Confueius oder Solon unter seinen Zeitgenossen wäre, so könnte er sie lieben und mit ihnen Zusammenleben, ohne daß ihm jemals sein Herz zuriefe: Schade um die schöne Seele! Aber stolz und fest stellt er sich selbst auf den Boden des Judentums:Ich be­zeuge hiermit vor dem Gott der Wahrheit, Ihrem und meinem Erschöpfer und Erhalter, bei dem Sie mich in Ihrer Zuschrift beschworen haben, daß ich bei meinen Grundsätzen bleiben werde, so lange meine ganze Seele nicht eine andere Natur annimmt."

Diese Lavater-Herausforderung hatte für den Menschen Men­delssohn und sein Werk weitreichende, vielleicht unübersehbare Folgen. Jetzt ändert sich sein ganzer Lebensplan: aus dem Ästhe­tiker und kritischen Philosophen wird der Vorkämpfer des Juden­tums.Es hat der Vorsehung gefallen, mich einen ganz anderen Weg zu führen," so schreibt er neun Jahre später über diese Wandlung seines Lebens. Von nun an widmet er alle Kräfte, die ihm ein geschwächter Körper und des Tages Frondienst übrig lassen, der Wirksamkeit für Juden und Judentum. In der Schweiz, in Sachsen, in Königsberg werden Juden angegriffen, ja vertrieben; immer ist es Mendelssohn, der für sie eintritt. Als die elsässischen Juden sich mit der Bitte an ihn wenden, ihre Sache beim französischen Staat zu vertreten, da veranlaßt er den Kriegsrat Dohm zu seiner berühmten Schrift über die bürger­liche Verbesserung der Juden.

Zu diesen Leistungen eines Fürsprechers aber gesellen sich posi­tive jüdische Werke seine eigentlichen Waffen in diesem Kampfe nicht nur gegen die Angreifer der Juden, sondern für die innere Bildung der Juden selbst. Vor allem die deutsche Bibelübersetzung.Nach einiger Untersuchung fand ich, daß der Überrest meiner Kräfte noch hinreichen könne, meinen Kindern und vielleicht einem ansehnlichen Teile meiner Nation einen guten Dienst zu erweisen, wenn ich ihnen eine bessere Übersetzung und Erklärung der heiligen Bücher in die Hände gebe, als sie bisher gehabt. Dieses ist der erste Schritt zur Kultur ..." Wendet er sich aber mit der deutschen Bibel an seine Glaubensgenossen, so stellt er in zwei anderen Werken seiner letzten Jahre seinen Zeit­genossen dieses Judentum selbst dar,, wie es sich in ihm spiegelte

jene Religion, der bei der größten Sicherheit und Unver­brüchlichkeit für ihn selbst doch die weiteste Duldsamkeit gegen­über anderen Religionen innewohnte. Das war die Vorrede zur Rettung der Juden" von Manaffe ben Israel, dem Amster­damer Rabbiner aus dem siebzehnten Jahrhundert, und vor allem sein großes WerkJerusalem oder über religiöse Macht und Judentum". Weit über die zeitlich noch nicht erfüllte, gedanklich schon überholte Forderung der Toleranz für seine Glaubensgenos­sen hinausgehend, verlangt er hier grundsätzliche Trennung von Kirche und Staat Denk- und Glaubensfreiheit mit allen ihren Konsequenzen. Hier wagt sich der Jude an eine Forderung, die kein Staat des achtzehnten oder neunzehnten Jahrhunderts erfüllt hat.

Noch ein letzter Kampf war diesem kampsreichen Leben Vorbe­halten; der schwerste, wie ihn der Kämpfer selbst empfand: der Kampf um das Bild seines toten Freundes Lessing. Der Glau­bensphilosoph Iaeobi hatte bei einem Besuche, den er Lessing in Wolfenbüttel abstattete, Lessing alsentschiedenen Spinozisten" zu erkennen geglaubt; was nach der Meinung des Jahrhunderts, ja nach der öffentlich ausgesprochenen Meinung Iacobis selbst Lessing zum Atheisten stempelte. Und nun war es nicht nur das Bild des toten Freundes, das Mendelssohn mit aller Anspannung seiner sinkenden Kräfte zu retten versuchte; es ging ihm um die Religion der Vernunft, der sein eigenes wie Lessings Leben und Denken geweiht war, und deren Panier er nun in Gefahr sah gegenüber einem erneuten Ansturm der alten Gefühls- und Glau­bensgegner aus dem Lager Lavaters. Neuere Forschung hat ge­zeigt, daß Mendelssohn damals seinen Lebenssreund Leffing rich­tiger zu interpretieren wußte, als der ungestüme Iaeobi. Damals freilich wurde es einsam um den kranken Mendelssohn. Iacobis Anngriff auf die Religion der Vernunft hat ihm'den Todesstoß gegeben. Denn in der Religion der Vernunft verkörperte sich für ihn nicht nur die Religion seines Lessing sondern auch die Grundlehre des Judentums, wie nach seiner Meinung des Juden­tums edelste Geister sie immer verstanden haben.

Es kam ein neuer Pharao, der wußte nichts von Joseph. Auch für Moses Mendelssohn kam nach der bewundernden und über­schwenglichen Verehrung durch seine jüdischen und nichtjüdischen Zeitgenossen ein Geschlecht, das ihn nicht mehr verstand. Nicht mehr verstanden wurde er im eigenen Lager, von seinen Kindern und Schülern, deren Kraft zu schwach war, um die stolze Aufgabe, die der Vater ihnen gestellt hatte, die Vereinigung von jüdischer Tradition und edelster deutscher Bildung, auf die Schulter zu nehmen. Nicht verstanden ihn auch die ehrlichen Gegner gerade unter den Juden, die das Miteinander seines Wesens, eben jene innerliche Vereinigung von Judentum und Deutschtum als Zwie­spältigkeit empfanden. Erst die Erkenntnis des niemals ruhenden Kampfes für Juden und Judentum, dem sein ganzes Leben sich weihte, führt zur Erkenntnis dieses einzigen Mannes. Denn mit diesem Kampfe für Juden und Judentum beginnt er früh am Morgen, wie wir sahen, seinen Weg und mit diesem Kampfe legt er sich am Abend seines Lebens nieder zum ewigen Schlafe.

Von der Verfasserin dieses Artikels erschien jetzt im Weltverlag, Berlin,Moses Mendelssohn, Der Mensch und das Werk. Zeugnisse, Briefe, Gespräche." 288 Seiten, 10 Tafeln und Textbilder, Preis RM. 7..