Bayerische
Kachrichtenblatt öer Iscaelitischen Kultusgemeinüen in München/Augsburg/Hamberg unö öes VerbanöeS Hagerischer Israelitischer Gemeinden
Israelitische Gemeinöezeitung
erscheint am l.unälf. jeöen MonatS. — Verlag: V. Heller, München, Bezugspreis für nicht elngewtesene Bezieher: Reichsmark 4.S0 für üas pilnganserstraße 6 $, Kernruf 75 <$<*4 unö 7^66^, Postscheck München 5-S7. Jahr. Anzeigenpreis: Die 4 gespaltene Millimeter-Zeile 40 Retchspfennlg Schristleitung: Sr. Luüwig Keuchtwanger, München, Grillparzerstraße ZS Kamillenanzeigen, Stellengesuche unö ähnliche Angebote 15 Retchspfennlg
VL Jahrgang München, f. April 1050 Ar. 7
Inhalt: Die Gesetzestafeln im Midrasch und in der älteren Schriftauslegung — Ist Fürsorge für Juden, insbesondere auch für ausländische Juden, gemeinnützig? — Nachmuchsverhältnisse der jüdischen Familien in Bayern — Bitte — Probleme des modernen Judentums — Die Hörner des Moses von Michelangelo — Wolfratshausen —
Aus der Gemeinde München — Aus der Gemeinde Augsburg — Aus dem Verbände — Vereine — Amtlicher Anzeiger: Bekanntmachung der Israelitischen Kultusgemeinde München: Bekanntmachung über Mazzothversorgung — Personalia
vie Sesetzestakeln im Midrasck und in der älteren Schrittauslegung
Zum Wochenabschnitt o Von Rabbiner Dr- Max K a t t e n (Bamberg)
Herr Rabbiner Dr, Max Katten, der seit kurzem das Rabbinat Bamberg bekleidet, arbeitet an einem Pentateuch-Kommentar eigener Art. Darin kommen vor allem die alten jüdischen Bibelerklärer zu Wort, die in der modernen Bibelwissenschaft, sehr zu deren Schaden, viel zu kurz kommen. Eine Probe seines Kommentars hat der Verfasser jüngst in der Festschrift des Breslauer jüdisch-theologischen Seminars (Breslau 1929) gegeben, in der Abhandlung „Genesis 41". Die Schriftleitung hat daraufhin Herrn Dr. Katten um eine weitere Probe zu einem der laufenden Wochenabschnitte gebeten. Im Folgenden werden neben den geleseneren Kommentatoren, Raschi, ferner R. Mose b. Nachman (— Rmbn) auch der arabisch schreibende Saadja (— Saad) und der unter dem Namen Chaskuni bekannte Chiskija b.Manoah(—Chask) zitiert. Für die Unterrichtung über die zitierten Midraschim sei auf das klassische Werk von Hermann L. Strack, Einleitung in Talmud und Midrasch (5. Aufl., München, Beck 1921) verwiesen.
Die Völker des Altertums liebten es, ihre Grundgesetze und vornehmlichften Rechtssatzungen dem Stein oder einem anderen dauerhaften Material anzuvertrauen. Sie waren dabei von dem Gedanken geleitet, die Gesetze auf diese Weise für die Ewigkeit zu erhalten. Die Vorstellung der Relativität und Zeitbedingtheit der Gesetze spielte bei ihrer Auferlegung keine starke Rolle. Von den alten, in Stein gegrabenen Gesetzen sind vielleicht die berühmtesten das Gesetz des Hammurapi und das römische Zwölftafelgesetz. Auch die sinaitischen Grundgesetze Israels waren auf Stein verzeichnet. Bei ihrer Fixierung kommt etwas Besonderes noch hinzu. In dem Bewußtsein der religiösen Kulturmenschheit hat die. Vorstellung sich unausrottbar eingewurzelt, daß die Lehre in ihren hauptsächlichsten Geboten am Sinai von Gott selbst verkündet wurde. Die Vorstellung von der Vollkommenheit des mitgeteilten Gesetzes, bedingt durch die Vollkommenheit ihres göttlichen Urhebers, faßt den weiteren Gedanken ein, daß auch die schriftliche Übermittlung, ja selbst die einzelnen stofflichen Ele
mente der Beurkundung, in Gott ihre Wurzel haben. Die Tafeln sind Gottes eigenes Werk, ihre Schrift des Höchsten Schrift, und unmittelbar aus Gottes Händen empfängt sie Moses. Rmbn. z. 31. 18. Angesichts der tiefen Überzeugung von dem unumstößlichen, ewig gültigen Wert des Inhaltes stellt sich begreiflicherweise die Vorstellung ein, daß nicht auf gewöhnlichem Stein die Gebote standen. Ein kostbares Material, Saphir, war der stoffliche Grund, der den kostbaren Inhalt fefthielt. Wenn es von den Tafeln heißt, daß sie ein D’nVx ntttyD, ein Gotteswerk waren, so sucht man NiNpv durch die Stelle 24. 10 zu erklären, wo von Saphirenglanz die Rede ist. Sifre, Ialk. 372- Eben diese Stelle mag die Vorstellung veranlaßt haben, daß die Buchstaben durch die Durchbrechung des Steins gebildet wurden, so daß des Him- mels Glanz durch die geöffneten Linien hindurchscheinen konnte. Sab. 104a. Wie aber die stofflichen Teile von Gott selbst gebildet und geliefert wurden, so mag es dem Denken nicht anstößig sein, daß das Wunder in mannigfacher Weise die Tafeln umspielt. Man las die transparente Schrift nicht von einer Seite, sondern von den vier Seiten einer jeden Tafel, achtmal im ganzen, strahlte sie groß und deutlich dem Volke entgegen. Ier. Schek 6 . 1. Als ein Wunder ist es auch zu betrachten, daß dir kreisförmigen Buchstaben 2 und □ nicht durch das Herauöfallen der festen Mittelftücke zerstört wurden und diese im Zusammenhang mit der Schriftfläche blieben. Ialk. 372, Raschi z. 32. 15.
Der Sinn des Zehnworts, ein Mittel der Vereinigung von Gott und Menschheit zu sein, Getrenntes zu verbinden, findet sein stoffliches Analogon in der Zweiheit der Tafeln. In ihr symbolisiert sich der einträchtige Zusammenschluß geschiedener Wesenheiten zu einem höheren Ganzen. Die Frieden bereitende Kraft der Sittlichkeit spricht aus den ewig verbundenen und nur in ihrer Paareinheit gültigen Tafeln. Sie sind wie Himmel und Erde, Braut und Bräutigam, wie zwei vertraute Freunde, wie