Nachcichtenblatt der Israelitischen Kultusgemeinöen in München, lAugöburg, Bamberg und des Verbandes Vauerischer Israelitischer Gemeinden

IsraeWche Gemeinöezeitung

erscheint am f. unü ff. jeden Monats. Verlag : V. Heller, München, Sezugsprets für nicht eingewlesene Bezieher: Reichsmark 4.80 für öaS pllnganserstraße <Z 4 , Kernruf 73664 und 7366 $, Postscheck München 39*7 ffahr. Lnzelgenpreis: Sie 4 gespaltene Millimeter-Zelle 40 ReichSpfeonl, Vchristleitung: Vr. Ludwig Keuchtwanger, München, Grillparzerstraße 38 Kamllienanzelgen, Stellengesuche und ähnliche Angebote ff Relchspfennl,

VI.Jahrgang München, 7.Mai i?yo Br.?

Inhalt: Zum 20. April 1930 Synagogenbau-Kunst Jüdische Bamberg Aus der Gemeinde Augsburg Aus bayerischen Ge- Kunst Am Ende der Philosophie Aus der Gemeinde Mün- meinden Bücherschau Personalia. chen Vereine Aus der Gemeinde Fürth Aus der Gemeinde

Zum 20. April 1930

Von Dr. Neumeyer

1 .

Am 20. April 1920 wurde in Nürnberg unter dem Vorsitz des Geheimen Iuftizrats Dr. Held und nach dem Referat des Verfassers dieser Zeilen der Verband Bayerischer Israelitischer Gemeinden gegründet. Seit mehr als hundert Jahren von Staat und Gesellschaft begehrt, vorbereitet in der Zeit vor dem Kriege, ist er unter der Herrschaft der neuen Verfassung als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Steuergewalt entstanden. In einer guten Stunde hatten die religiösen Richtungen, die Gemeinden, Rabbiner und Lehrer zueinander Vertrauen gefaßt und einmütig gab die verfassunggebende Versammlung dem Verband das Grundgesetz.

Der Verband stellt sich heute als die öffentlich-rechtliche Ver­tretung der Juden in Bayern dar. Er umfaßt mit Ausnahme einer einzigen kleinen Gemeinde alle Gemeinden im rechtsrheini­schen Bayern und in der Pfalz, mit mehr als 49 000 Seelen. Er hat sich eine vorläufige Verfassung gegeben, die am 22. Februar 1926 in Augsburg ihren Abschluß erhielt. Sein Iahreshaushalt im Betrage von rund 700 000 RM. wird durch eine stetige Umlage von 3 Prozent und einen Staatszuschuß von derzeit 70 000 RM. gedeckt. Ohne Widerspruch erkennen die Großge­meinden ihre Verpflichtung an, für die Bedürfnisse des Landes zu sorgen. Zahlreiche Landgemeinden sind vor dem Verfall be­wahrt worden und haben ihre Einrichtungen wieder aufgebaut. Die unwürdige Lage der Beamten ist gehoben. Nach dem verbind­lichen Rechte des Verbandes haben die Beamten der Gemeinden die Stellung öffentlicher Beamten. Ihre Gehälter lehnen sich an die Gehaltsordnung des Staates an. Die Ruhegehalts- und Hinterbliebenenbezüge sind von dem Bayerischen Versorgungsver- bande übernommen. Nur die Versicherung der Beamten nicht­deutscher Staatsangehörigkeit trägt der Verband. Eine umfas­sende Beamtenordnung regelt die Rechte und Pflichten der Beamten.

Der Haushalt für Wohlfahrtspflege und andere kulturelle Leistungen macht rund 270 000 RM. aus. Ein Landessiechen- hcim in Würzburg wurde geschaffen. Das Wohlfahrtsamt des Verbandes arbeitet in enger Fühlung mit den jüdischen Stellen im Lande und im Reiche und mit den Behörden des Staates und der bürgerlichen Gemeinden. Die Geschichte des Landes wird in ihren Beziehungen zu den jüdischen Niederlassungen erforscht, Gotteshäuser und andere Kulturdenkmäler werden erhalten und wiederhergestellt.

Der Verband hat durch einmütigen Willensakt in seiner Mustersatzung die inneren Angelegenheiten der Gemeinden ge­regelt, die seit mehr als hundert Jahren eine solche Regelung vergeblich forderten. Er gliederte die sämtlichen Juden in Bayern den Gemeinden ein. Eine Rabbinatsbezirksordnung soll noch in diesem Jahre die gesetzgeberischen Arbeiten zu einem vorläufigen Abschluß bringen.

2 .

Der Verband hat sich Achtung und Anerkennung im Lande und bei der Staatsregierung erworben und seine Einrichtungen haben anderen Ländern auch im Auslande als Vorbild gedient. Er hat die Organisation nur soweit geführt, als Ordnung und Zusammenhang dies verlangten. Denn er war sich bewußt, daß alle Institutionen und Organisationen nur eine relative Bedeu­tung haben, daß der Geist alles und die Institutionen wenig sind. So hat er die Selbstverwaltung der Gemeinden ausrechterhalten, die Freiheit der religiösen Richtungen geschützt und zum Ausgleich des Verhältnisses zwischen Gemeinden und Beamten beigetragen. Er hat lebendige Beziehungen zwischen seinen Gliedern hergestellt und den Frieden im Lande erhalten. Der Geschichtsschreiber unse­rer Gemeinschaft aber wird einst verzeichnen, daß alle Parteien und Gruppen unter Zurückstellung eigener Interessen und im vollen Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit stets das Wohl des Ganzen im Auge gehabt haben.