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Mitteilungen des Jüdischen Lehrervereins für Bayern
Nr. 7
erster Grundsatz, daß das Mädchen fürs Haus erzogen und hcrangebildet werden soll. Das Haus ist Ausgangspunkt und Ziel der Mädchencr- ziehung.
Ms der Engel Erzvater Abraham fragt: „Wo ist deine Frau „Sarah?", da erhält er von chm die kurze, bündige Antwort, die fast erstaunt klingt: VnX2 “Jn „Siehe, s i e ist im'Zelte." 3m Hause, im Zelte ist nach der Heiligen Schrift das Reich der Frau, hier ist die Stätte ihrer ureigensten Wirksamkeit.
2m Talmud Ksuwoth wird gefordert, daß die Frau zu allen häuslichen Arbeiten dem Mann verpflichtet sei. „Die Frau soll mahlen, bak- ken, kochen, waschen, Kinder pflegen, Betten machen,Wolle verarbeiten." Die Verpflichtung hierzu vermindert stch jedoch je nach den Vermögens- Verhältnissen. Aber selbst, wenn sie hundert Mägde zu halten vermöchte, soll die Frau Wolle verarbeiten, weil Müßiggang zur sittlichen Ausartung führt. So soll die häusliche Berufsarbeit dem Mädchen als wichtigste Pflicht eingeprägt werden.
2m Sinne der Bibel und des Talmud ist die Frau i-uJS "liy eine Gehilfin des Mannes, seine treue, bewährte Mitarbeiterin und Mitberaterin, die ihm ergänzend zur Seite steht. — Der Talmud wünscht indes keine gelehrten Frauen. nmiS D’&'J “Tin TpVn.O „V om Torastudium sind die Frauen fre i." „D i c Weisheit der Frau bestehe im Spinnrocken!" sagt Rabbi Clieser. 2edoch unterliegt es keinem Zweifel, daß die Mädchen die schriftliche Lehre, die Glaubens- und Sittengrundsätze kennen lernen muffen. Denn die Heilige Schrift sagt: „V e r s a m m l e d a s ganze Volk, Männer, Frauen und Kinder, auf daß sie das Gotteswort hören!"
IV.
Wem obliegt nun in erster Linie die Erziehung und Bildung der Jugend? Die beiden wichtigsten Erziehungsfaktoren sind auch im Talmud von jeher Haus und Schule.
Das Haus, die Familie ist die natürliche und einflußreichste Erziehungsstätte. Hier wird, umweht vom Geist der Liebe und Hingabe, das Fundament zu allen Tugenden gelegt; hier ist die Quelle, aus der Reinheit und Sittlichkeit im Denken, Wollen und Tun entspringen, bedeutungsvoll bleibend auch im späteren Leben.
Die Heilige Schrift legt deshalb die Hauptsorge für die Erziehung der Kinder in die Hand der Eltern. Sie verpflichtet namentlich den Vater zur Belehrung der Heranwachsenden Jugend. 2m 12. und l 3. Kapitel des II. Buch Moses richtet die Heilige Schrift die wiederholte Forderung an den Vater, Grund und Bedeutung des Pesachfestes den Kindern zu erläutern. Und wenn der weise König Salomo sagt:
öre, mein Sohn, die Zucht deines Vatersunb verachte nicht die Lehre deiner Mutter!", so beweist dies deutlich, daß beide Eltern gleich geordnet an der religiös-sittlichen Erziehung des Kindes teilzunehmen haben.
2n den ersten Lebensjahren ist es vorwiegend die Aufgabe der Mutter das Crziehungswerk zu leiten. Echte, reine Mutterliebe vermag den Samen alles Guten, Schönen und Heiligen ins offene empfängliche Kindherz zu streuen. Mlmählich ttitt jedoch die mütterliche Wirksamkeit zurück. 2e mehr die geistige Entwicklung des Kindes fortschreitet, desto stärker tritt die Crziehungstätigkeit des Vaters hervor. Denn der Schwerpunkt der erziehlichen Tätigkeit liegt im Judentum in der geistigen Ausbildung, im Torastudium.
Die Pflichten des Vaters werden im Talmud Kiduschin auf folgende fünf Hauptpunkte festgelegt. „Der Vater ist verpflichtet:
1. Den Sohn in den Bund Abrahams aufzunehmen,
2. ihn auszulösen, wenn er ein Erstgeborener ist;
3 . ihm Tora zu lehren;
4. ihm ein Handwerk lernen zu lassen;
5. ihm zur Familiengründung zu helfen.
Das heilige Gesetz der Milah steht in innigem Zusammenhang mit dem erhabenen Erziehungsziel des Judentums, den Menschen zu weihen, zu adeln. „Wandle vor mir und werde vollkommen!" Das ganze Leben und Sein, alle Kräfte und Anlagen, auch die sinnlichen, soll der 2ude in den Dienst Gottes stellen. Denn, nur im heiligstarken Körper lebt heilig-stark der Geist." (Choreb von Hirsch.)
Die Auslösung des Erstgeborenen bringt zum Ausdruck, daß wir die Kinder als Gottesgeschenk ansehen, als ein geheiligtes Eigentum, das zum Gottesdiener erzogen und ausgerichtet werden soll.
Dieses Ziel kann aber nur durch eifriges Torastudium erreicht werden. Nur aus dem unversiegbaren, ewig frisch sprudelnden Born der Tora kann wahres, edles Sweben und sittliche Tat ersprießen. Darum ist es heilige Vaterpflicht, Tora zu lehren. „Du sollst sie einschärfen deinen Kindern, wenn du sitzest im Hause, wenn du
gehest auf dem Wege, wenn du dich nicdcrlegst und wenn du aufstehst." ,j,d ")“ö “Vzipö Ul
„W er fernem
Sohn und Enkel Tora lehrt dem rechnet cs die Heilige Schrift an, als habe er sie selbst am Sinai empfange n."
Die Bestrafung des Hohenpriesters Eli beweist uns, daß selbst der gottesfürchtige Vater für die Taten seiner Söhne verantwortlich gemacht wird. Die fromme Hanna, die Mutter Samuels, gibt uns ein Bild einer trefflichen, verständigen Erzieherin. Und welche Anerkennung im Talmud der Erziehungstätigkeit einer Mutter gezollt wird, zeigt folgende Erzählung: „Rabbi Chijah hatte ein böses, zanksüchtiges Weib, das ihn jederzeit kränkte. Trotzdem brachte er dieser Frau die schönsten und besten Dinge mit, die er auf dem Markte fand. Auf die Frage seines Freundes Raw, warum er gegen dieses boshafte Weib so liebevoll sei, erwiderte er: ,Wir müssen gegen die Frauen dankbar und nachsichtsvoll sein, denn sie erziehen unsere Kinder und bewahren uns vor Sünde!' "
2n der Familie wird also die Grundlage für alle jene Tugenden und Eigenschaften gelegt, die sich auch im späteren Leben bewähren und oft nicht nur das eigene Glück, sondern auch das Wohl der Mitmenschen, begründen und fördern helfen.
Als zweiter Crziehungsfaktor ttitt der häuslichen Erziehung die Schule ergänzend zur Seite. Familie und Schule müssen harmonisch Zusammenwirken, wenn das Erziehungswerk erwünschten Erfolg bringen soll.
„Die ganze Welt besteht nur durch den Hauch der Schulkinder. Achtet auf die Kinder der Armen; denn von ihnen geht die Tora aus."
Wenig vermag das Haus ohne die Schule, nichts aber die Schule ohne das Haus. Darum waren die Schulen und Lehrhäuser in altjüdischer Zeit stets Gegenstand höchster Verehrung und sorgsamster Pflege. So erzählt der Midrasch: „Einst kamen die Weltvölker zu Bileam mit der Frage: ,Wann und wie können wir den Juden beikommen?' ,Geht zu ihren Synagogen und Lehrhäuscrn; wenn darin die Stimmen der lernenden Kinder ertönen, könnt ihr ihnen nichts tun!' Denn: ,So lange die Stimme Jakobs in den Lehrhäuscrn ertönt, ist Csaus rohe Gewalt machtlos gegen Israel."'
Der Talmud berichtet, daß Esra, der erste Schriftgelehrte, zur Hebung des Schulwesens ausdrücklich verordnetc: VjI 2 "IS1D mxt?
"1EHD Einen Lehrer dicht neben dem anderen Schulen eröffnen zu lassen; denn nE2n “2in □ , ")2'iD nwp durch die wetteifernde Bemühung der Lehrer wächst die Weisheit.
„Bildet viele Schüler aus!", rufen uns die Männer der großen Synode zu und bekunden hiermit den hohen Wert und die Bedeutung der Schule und des Unterrichts.. Als Organisator der Schulen wird im Talmud Simon ben Schetach gerühmt, der die Gemeinden aufforderte für Unterricht zu sorgen und anordnete, daß die Kinder die Schule besuchen sollen. Dem Hohenpriester Josna ben Gamla aber, der zur Zeit des Königs Jannai lebte, gebührt das Verdienst den obligatorischen allgemeinen Volksunterricht, den Schulzwang eingeführt zu haben. Cr ordnete an, daß man in jeder Stadt Lehrer anstelle und ihnen die Kinder zuführe.
H“lpDV D’Jty p heißt es in der Mischnah. Der Unter
richt in der Bibel soll nach dem fünften Lebensjahre beginnen. Nach der Verordnung des Hohenpriester Josua ben Gamla begann die Schulpflicht nach dem sechsten oder siebenten Lebensjahre; denn vor dieser Zeit ist geistige Anstrengung nachteilig und schädlich. So sagt auch Raw: „Nimm keinen Schüler unter sechs Jahren an; aber dann ^ KE2N lege ihm das Joch der Schule auf."
Durch die furchtbare Katastrophe, die dem jüdischen Staat auf Palästinas Boden ein Ende machte, kamen traurige Zeiten des Verfalls und des Rückgangs für die jüdischen Schulen. Aber auch aus diesem Ungemach erhoben sie sich zu neuer Blüte. Das Verdienst des Wiederaufbaus knüpft sich an den Enkel Juda Hanaffis, des großen Mischnah- Redakteurs. Dieser ließ durch berühmte Gelehrte in Palästina und Babylon, Schulen wieder einrichten oder neugründen. Einst kam diese Abordnung in eine Stadt, die keine Schule besaß. Unwillig hierüber verlangten sie von den Bewohnern: „Bringt die Erhalter der Stadt vor uns!" Da erschienen der Bürgermeister und die Gemeinderätc. „Das sind nicht die Erhalter der Stadt!" „Aber welche meint ihr denn?", fragten verwundert die Bürger. „D i e Lehre r", lautete die Antwort. Und im Traktat Sanhcdrin lehrt man: „Niemand wohne in einer Stadt, in der keine Schule ist!"
So sehen wir, wie auch in talmudischen Zeiten der hohe Wert des Unterrichts und der Schule erkannt wurde.