162 Bayerische Israelitische Gemeindezeitung Nr . 11 werden , und zwar in einem dreibändigen Werk , wovon der erste Band vor uns liegt . Darin soll dargeftellt werden , wie es zu dem messianischen Glauben Israels gekommen ist , daß in einer voll¬ kommenen Königsherrschaft Gottes das Verhältnis zwischen Gott und Welt sich in der Endzeit erfüllen werde und wie diese Erwartung sich auf die gläubige Erinnerung gründet , daß Israel in einem historischen Vorgang seiner Vergangenheit einst seinen Gott — JHWH — zu seinem unmittelbaren und ausschlie߬ lichen Volkskönig ausgerufen hat . Dabei ist für Bubers Frage¬ stellung entscheidend wichtig , „ ob die — notwendigerweise mythi - sierende — Erinnerung solch eines Geschehens aus einer geschicht¬ lichen Wirklichkeit entstanden ist oder nur eine späte Illusion , ein theologisches Kunftprodukt bedeutet " . „ Es muß gewagt werden , die ihrer unhaltbaren vorkritischen Formulierung wegen verpönte These einer frühzeitlichen unmittelbar - theokratischen Tendenz auf dem Grunde der kritischen Forschung neu zu stellen . " — Man sieht , der Verfasser weiß den Knoten aufs spannendste zu schürzen ; er fühlt die Kraft , seine allerdings gewagte , fast waghalsige These einer doppelten Probe auSzusetzen : nämlich die philologische und geschichtswissenschaft¬ liche Fundierung der in Frage kommenden vorköniglichen Bibeltexte zur Stütze der neuen Datierung und Interpretation zu wagen . In den Strom der bisherigen modernen Bibelforschung ein - getaucht sind die neuen Buberschen Forschungen ein Beitrag zum Problem der historischen biblischen Stücke , die oder besser deren Redaktor man nach einer alten Konvention im alttestamentlichen Spezialfach als „ Elohift " zu bezeichnen pflegt . Es ist keineswegs so , daß Buber diese Konvention , die wichtigen Wandlungen seit 200 Jahren ausgesetzt war , mitmacht . Er äußert sich im Vor¬ wort über das Problem der Quellenscheidung so : „ Wenn ich auch an eine auslösbare zusammenhängende Grundschrift , die als „ elohiftisch " anzusprechen wäre , nicht zu glauben vermag und alles dafür Vorgebrachte mich nur auf größere und kleinere , untereinander recht stilverschiedene Stücke und Bruchstücke hin¬ führt , halte ich doch die in der Differenzierung von J und E zum Ausdruck gelangende Unterscheidung zweier großer Grund¬ typen der Traditionsbearbeitung für eine unverlierbare Ent¬ deckung . " „ Iahwift " und „ Elohift " find nach der Ansicht Bu¬ bers verschiedene Richtungen oder Färbungen des Schrifttums ; beide entstammen zwei sozial und geistig getrennten Kreisen ; J dem Kreis der höfischen Sammler , mehr profan - politisch , E ist der prophetische Typus ; ihm gehören also die für die an - , gedeutete These ( von der sehr frühen Entstehung des theokratischen Gedankens ) maßgebenden Texte an . Eö handelt sich dabei um eine einheitliche Bearbeitungsweise des Traditionsgutes , die schon in der ältesten Traditionsformung angelegt ist . Man sieht , wie Buber mit der formgeschichtlichen Methode Ernst macht . In acht Kapiteln will der erste vorliegende Band unter diesen Forschungsprinzipien für die Frühzeit Israels die Glaubensvor - ftellung eines Volkskönigstums Gottes als eine äktuell - geschicht - liche erweisen , in scharfem Gegensatz zu der herrschenden Lehre , die in wechselnden , bald völkerpsychologisch gefärbten , bald reli¬ gionsgeschichtlich ausgerichteten Hypothesen fremde Herkunft der Messiashoffnung , meist eine Wanderung der Idee von Ägypten über die Amoriter zu Altisrael und zu den Propheten annimmt . Im ersten Kapitel behandelt Buber den Gideonspruch ( Richter 8 , . 23 ) , in dem der siegreich vom Befreiungskrieg gegen Midian keimkehrende Führer das erbliche Herrschertum ablehnt : „ Nicht ich will über euch walten , auch nicht mein Sohn , Gott selbst soll über euch regieren . " „ Sein Nein will für alle Zeiten und Geschichtsgestaltungen als ein unbedingtes gelten . " „ Der Spruch wagt es , mit der Theokratie Ernst zu machen . " Also kein sekun¬ däres Produkt , keine Rückprojizierung aus der nachexilischen Situation in die Frühzeit , wie uns Stellen wie Richter 8 , 23 aus der kritischen Bibelwissenschaft allgemein geläufig geworden sind , sondern echtes historisches Gut aus der israelitischen Früh¬ zeit , echt im Sinn eines Geschichte schreibenden , gläubig dichten¬ den Gedächtnisses , geschichtsmöglich , nicht massiv ge¬ schichtswirklich wie eine Photographie oder die Töne aus einem Grammophon . Wir wollen dem Zug der Darstellung Bubers skizzenhaft weiter folgen und erst später im Zusammenhang sein Geschichts¬ bild , was er unter „ Geschichtlichkeit " , namentlich unter bib¬ lischer Geschichte sich vorftellt , wiederzugeben versuchen . Das Glanzftück des ganzen ersten Bandes ist das zweite Kapitel : „ Richterbücher und Richterbuch " . An der Behandlung des anziehend - abstoßenden Rätsels der 21 Kapitel der „ Richter " scheiden sich von jeher die Geister der Erklärer . Hier liegt wirk¬ lich der Prüfstein für das Wissen um die Herkunft der Bibel . Aus einem antimonarchischen Teil und einer vollkommen deutlich unterscheidbaren ( aus den letzten 5 Kapiteln 17 — 21 bestehenden ) streng monarchistischen Anhang - Chronik ist neben anderen hier wegzulassenden festen Kernstücken das Buch der Richter zusam¬ mengesetzt , das ist die Hauptentdeckung Bubers , die übrigens verwandt ist mit der Auffassung H . M . Wieners in seinem neuen Werk The Composition of Judges II , 11 to Kings II , 46 . Und zwar hat nach Buber in der samuelischen Krisis , nicht später , die anti - monarchische Richter - Tradition ihre entscheidende Formung erfahren , während es für die monarchi¬ stische Gegenschrift Richter 17 — 21 nicht eine Traditionssor - mung , sondern ein literarisches Werk zu datieren gilt . Das eine Buch ist naiv - theokratisch , eS erzählt echt , begeistert und gläubig ; die Gegen - Chronik unternimmt eine literarische Richtigstellung und widerlegt ein sie illusionär dünkendes Geschichtsbild : Das , was ihr für Theokratie ausgebt , ist Anarchie gewesen . Daher in der monarchistischen , sich religiös überlegen fühlenden Anhangs - Chronik die Wiederholung : „ In jenen Tagen gab es keinen König in Israel , jedermann tat , was in seinen Augen gerad war . " Die äußerste Verschiedenheit beider Teile weiß Buber mit der lebhaftesten Eindringlichkeit im einzelnen und vom Ganzen her darzustellen . Die Micha - Geschichte des Kapitels 17 — eine der wichtigsten ganz ursprünglichen uralten „ Aufschlüsse " in der Bibel — ist in der Buberschen Gesamtansicht doch viel¬ leicht nicht restlos aufgegangen . Und in der Antithese der zwei Bücher verfteigt sich der Verfasser sogar , das einzigemal im Laufe der sonst so besonnen und überaus fein ausgewogenen , tiefen und neuen Einsichtvermittlung in die biblischen Bücher . „ Mündlichkeit und Schriftlichkeit , Festigkeit und Verworren¬ heit , aber auch Kunde und Berichtigung , religiös - politische Lehre und ihr „ reinpolitischer " Widerpart , jedenfalls Setzung und Gegensetzung , so stehen die beiden Bücher beieinander , die ein merkwürdiger AuSgleichsgeift zusammengeschlossen hat , der gleiche Geist , aus dem dann der Kanon entstand . " Das ist die einzige Stelle , die ich in dem ganzen Buch als übertrieben und über¬ spitzt empfinde , mit Ausnahme der Schluß - Apposition , die ein tiefes Wissen um den Sachverhalt der Bibelentftehung verrät . Wie nun wirklich monarchiefeindliche Schrift und Gegenschrift nach der Vorstellung von Buber zu einer bruchlosen Einheit kom¬ poniert werden und nebeneinander als wahr bestehen konnten |