Ausgabe]
GemeindeMatt
für den Verband der Kultnsgeiiieiiicleii in Bayern
und die Kultusgenieinden München, Augsburg, Bamberg, Würzburg
Ausgabe A : Allgemeine Ausgabe, Bezugspreis RM. -.60 im Vierteljahr, RM. 2.40 für das Jahr Ausgabe IS: Mit dem Beiblatt für Würzburg und Umgebung. Bezugspreis RM. 1.50 im "Vierteljahr, RM. 6.— für das Jahr. Erscheint am 1. und 15. jeden Monats. Herausgeber: Verband Bayer. Israel. Gemeinden / Verlag B. Heller, München, Plinganserstr. 64, Tel. 73 6 65, Postscheck München 59 87 / Anzeigen nach Tarif.
Angemeldet beim Sonderbeauftragten des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda betr. Überwachung der geistig und kulturell tätigen Juden im deutschen Reichsgebiet.
XIII. Jahrgang
München, 1. August 193*7
5fr. 15
Inhalt: Der Sinn unserer Existenz — Max Freudenthal s. A. — Aus der Gemeinde München — Jüdischer Kulturbund in Bayern, Ortsgruppe München — Staatszionistische Organisation, Ortsgruppe München — Zionistische Ortsgruppe München — Lehrhaus der Kultusgemeinde — Jüdischer Turn- und Sportverein München e. V. „Itus" — Bekanntmachungen der Israelit. Kultusgemeinde München: Bekanntmachung betr.-^ Glückwunschablösung 1937; Vermietung von Synagogenbetstühlen, in der Hauptsynagoge; Vermietung von Synagogenbet
stühlen in der Synagoge Reichenbachstraße; Bekanntmachung über Ersatzwahl — Bekanntmachungen des Verbandes Bayerischer Israelitischer Gemeinden: Bekanntmachung betr. Auflösung der Israelitischen Kultusgemeinden Acholshausen und Trappstadt; Änderung der Beamtenordnung des Verbandes Bayer. Israelit. Gemeinden; Kürzung der Beamten- und Angestelltenbezüge — Personalia — Kalendarium und Gebetszeiten für München.
Der Si
inn unserer
Existenz
Die israelitische Religion in „Wilhelm Meisters Wanderjahren"
Von Dr. Arthur G a 11 i n e r
In seinem Alterswerk, den „Wanderjähren", ist Goethe, der Dichter, zum Weisen geworden, zum belehrenden, erziehenden Weisen, zum praktischen Pädagogen, der weniger in poetischer Konzeption, als vielmehr in didaktischer Formulierung die Probleme zweier großer Lebensprinzipien erörtert, die Probleme der Arbeit und der Entsagung, zugleich aber auch Mittel und Wege zu ihrer Verwirklichung 4m menschlichen Dasein aufzeigt. In der „Pädagogischen Provinz", in einem weitgedehnten Gebiet, das über Täler und hügeliges Gelände sich breitet und bis zu den Bergen emporsteigt, werden Knaben und Jünglinge durch praktische Tätigkeit, durch Arbeit im Felde, durch Viehzucht und Handwerk jeglicher Art zu jenen Zielen geführt, immer mit frohen Sinnen, stets frisch erhalten durch engste Berührung mit der Natur und durch Pflege wohllautenden Gesanges, durch Einbeziehung also auch der Kunst in die Arbeit des Alltags. Und eine noch höhere Weihe wird ihr zuteil. In die Welt praktischer Tätigkeit wird das Religiöse organisch eingebaut, alles Tun und Treiben, alles Schaffen und Wirken, das ganze Dasein in diesem Erziehungswerk empfängt seinen tieferen Sinn, seine Wertung und Weihe von Anbeginn bis zum Abschluß durch Beziehung zur Religion.
Es ist jedoch keine einzelne der historischen Religionen, die als erziehende Macht eingesetzt wird, sondern ein System aller Menschheitsreligionen, überhaupt aller der Religionen, die sich auf „Ehrfurcht" gründen, denn sie erst, die Ehrfurcht, bewirkt, daß „der Mensch nach allen Seiten zu ein Mensch sei", Ehrfurcht vor dem, was über uns ist, was unter uns ist, und was um uns ist. In bestimmten Gebärden wird von all den Zöglingen der pädagogischen Provinz diese Ehrfurcht bekundet.
Zu diesen Ehrfurchtsreligionen zählt auch die israelitische Religion, und auf seltsam anschauliche Weise werden die Zöglinge mit ihr bekannt gemacht: der „Älteste", der Wilhelm Meister in die Erziehungsformen, die wie von Geheimnissen umhüllt erscheinen, einführt, öffnet ihm eine weite achteckige Halle, geleitet ihn in eine Galerie, deren Wand mit Gemälden bedeckt ist. Und bald erkennt der Schauende, daß der Stoff zu diesen Bildern den heiligen Büchern der Israeliten entnommen ist. Den Hauptszenen des AltenTestaments sind an Sockeln und Friesen hoch Darstellungen von Handlungen und Begebenheiten angefügt, die „symphronistisch", das heißt, in sachlicher, inhaltlicher Hinsicht mit jenen verwandt sind, „da unter allen Völkern gleich- bedeudende und Gleiches deutende Nachrichten vorkämen." Wenn etwa „in dem Hauptfelde Abraham von seinen Göttern
in der Gestalt schöner Jünglinge besucht wird, so zeigt der Fries Apoll unter den Hirten Admets, um zu zeigen, daß, wenn die Götter dem Menschen erscheinen, sie gewöhnlich unerkannt unter ihnen wandeln."
Zum Hauptgegenstand dieser Darstellungen ward aber die israelitische Geschichte gewählt. Diese hohe Ehre ward dem Volke zuteil, weil — so erklärt der „Älteste" dem Fragenden — unter allen heidnischen Religionen, denn eine solche sei die israelitische gleichfalls, diese große Vorzüge habe. „Vor dem ethnischen Richterstuhle, vor dem Richterstuhle des Gottes der Völker werde nicht gefragt, ob es die beste, die vortrefflichste Nation sei, sondern nur, ob sie dauere, ob sie sich erhalten habe." Das israelitische Volk habe, so bemerkt der „Älteste" weiter, niemals viel getaugt, wie es ihm seine Anführer, Richter, Vorsteher, Propheten tausendmal vorgeworfen haben, es besitze wenig Tugenden und die meisten Fehler anderer Völker, aber an Selbständigkeit, Festigkeit, Tapferkeit, und wenn alles das nicht mehr gilt, an Zähigkeit sucht es seinesgleichen. „Es äst das beharrlichste Volk der Erde, es ist, es war, es wird sein, um den Namen Jehova durch alle Zeiten zu verherrlichen." Wilhelm Meister, der immer Lernende, nimmt ohne Widerrede diese Deutung hin, es zieme sich für ihn nicht, mit dem zu rechten, der ihn zu belehren imstande sei. Wir aber dürfen dazu die Anmerkung machen, daß schon die Aufassung der israelitischen Religion als einer ethnischen, einer heidnischen Volksreligion — selbst im höheren Sinne — nicht dem entspricht, was als religiöse Schöpfung aus dem Volke Israel hervorgegangen, nicht dem, was die Propheten gefordert, was die Gesetzeslehrer gelehrt, was das Volk tiefstens empfunden, was jeder betende Jude im Innersten fühlt, was die Dichter der Psalmen und der Hymnen des Mittelalters gleicherweise verehrt, besungen und verherrlicht: „den Schöpfer des Himmels und der Erden, den Weltengott, den Einen, den Einzigen!"
Der absolute Monotheismus mußte konsequenterweise die Grenzen der Nation sprengen, mußte die Volksreligion zur Weltreligion werden lassen. Dafür haben die Propheten gekämpft und ihr Leben eingesetzt, von Elia bis Jeremia, freilich oft im Gegensatz zu Fürsten und 'Volk, aber sie sind doch schließlich selbst aus dem Volke hervorgegangen, sind seine höchsten Repräsentanten, wie all „die Anführer, Richter, Vorsteher und Propheten", die dem Volke seine Missetat kündeten. In ihnen gipfelt die Entwicklung des Volkskörpers, nach ihnen, den Besten, muß letzten Endes Wesen und Wert des israelitischen Volkes