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Unsere Tribüne

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Nr. 3

tWeil ihre Mündigkeit das Ende jenes unrealen, den tatsächlichen Bedürfnissen einer an Zahl und Zusam­mengehörigkeitsgefühl stets wachsenden jüdischen Bevölkerung widersprechenden Herrschaft des höhe­ren Steuersatzes, bedeuten würde? Denn, wie in der kapitalistischen SCelt die Herrschaft der Reichen das natürliche System ist, so müssen in einem Censiten- wahlsystem die höchsten Steuerklassen zur überwie­genden Geltung gelangen. Anstatt Massenbedürf- inissen und ihrer Befriedigung, stoßen wir auf Rück­sichten gegen die höheren Steuerklassen, die in kul- . tureller Beziehung meist schon so saturiert sind, daß sie überhaupt keine Forderungen mehr an das Ge­meinwesen stellen. So kann sich ein Bildungswesen nie entwickeln, weil das* Volk, das es benötigt, ent­rechtet ist und die bevorrechteten Steuerklassen wie­der kein Bildungswesen benötigen. So können Insti­tutionen der wirtschaftlichen Selbsthilfe nicht begrün­det werden, weil die entrechteten Massen sich nicht 'helfen können und die bevorrechteten Steuerklassen fcich schon geholfen haben. So erlahmt letzten Endes 'jedes Interesse am öffentlichen Leben, wird eine jüdi­sche Gemeinde zu einem entlegenen Winkel im wirk­lichen Denken und Trachten des jüdischen Volkes, 'dessen schwere Existenzkämpfe sich außerhalb der Gemeinde völlig unbeeinflußt von ihr, abspielen. Die Allmacht, die aus 1 der Steuerleistung gefolgert wird, wandelt sich praktisch in Machtlosigkeit um, weil die breite jüdische Bevölkerung von dem Censiten- ' Wahlrecht nicht erfaßt werden kann.

Diese. Erwägungen haben uns zu leiten. Wir wollen, daß die jüdische Gemeinde als 1 planmäßige Institution zur Entfaltung, aller kulturellen Kräfte der jüdischen Bevölkerung eingerichtet und verwaltet werde. Dazu benötigen wir die aktive Mitwirkung der breiten jüdischen Massen. Sie kann nur durch das iall'gemeine Wahlrecht ohne Rücksicht auf jdie Steuer­leistung erzielt werden. Darum muß jetzt vor allen anderen Forderungen der Selbstverwaltung in der jüdischen Gemeinde der Kampfruf erschallen:

Heraus mit dem allgemeinen Wahlrecht ohne Rücksicht auf die Steuerleistung!!

Die Sanierung der Wiener jüdischen Gemeinde.

ii.

Einige Freunde haben mich um Aufklärung ge­beten, warum ich meinen Arbeitsplan für die Wiener jüdische Gemeinde: Die Sanierung der Wiener jüdi­schen Gemeinde genannt habe. Sie meinten, der Plan mag ja an sich akzeptabel sein, aber unter Sanierung ' haben sie verstanden, daß ich Vorschläge machen werde, wie. die Wiener jüdische Gemeinde finan­ziell zu sanieren sei, aber nicht neue Aufgaben setzen, die große Mittel erfordern.

Es kommt eben darauf an, worin man das Un­gesunde an der jüdischen Gemeinde erblickt. Wenn einem das Defizit des Budgets die größten Sorgen macht, mag er die Erschließung von neuen Geld­mitteln für das wichtigste halten. Ich teile diese Mei­nung nicht. Meiner Meinung nach ist das Ungesunde an der Wiener jüdischen Gemeinde, daß sie in keiner Weise Initiative besitzt, daß sie die jüdische Notlage mit alten und veralteten Mitteln zu lindern versucht, daß sie auf die neuen Erscheinungen im jüdischen Leben nicht reagiert, daß sie sich im Ghetto der Seitenstettengasse absperrt und der modernen so­zialen Tätigkeit keine Beachtung schenkt.

Hier müßte zunächst die Sanierung einsetzen.

Allerdings, der neue Arbeitsplan erfordert be­deutende Geldmittel, auf die Möglichkeit der Beschaf­fung dieser Mittel wollen wir nunmehr hinweisen.

III.

Schon der große Arbeitsplan allein, wäre eine große Werbekraft. Eine jüdische Gemeinde, die sich zur Aufgabe machen würde, konstruktive soziale Tä­tigkeit zu leisten, hätte nicht nur den Mut, große Geldleistungen von ihren Mitgliedern zu erwarten, sie würde sie auch zweifellos erhalten. Allerdings 'gilt als Voraussetzung, daß die Gemeinde das In­strument, welches ihre Aufgaben der jüdischen Be­völkerung auseinandersetzen soll, endlich schaffe. Wir denken an die Herausgabe eines Gemeindeorganes, welches unsere. Mandatare vor länger als einem Jahre beantragt haben. So lange die Gemeinde kein eigenes Organ besitzt, besteht überhaupt keine Möglichkeit, daß eine breite Oeffentlichkeit über ihre Tätigkeit richtig informiert werde.

Zweitens würde die jüdische Gemeinde für ihre soziale Tätigkeit die Unterstützung der Gemeinde Wien beanspruchen und sicherlich auch erhalten kön­nen. Wenn nur die richtige Form und ; nicht diejdumm- freche Art der Wiener Jüdischnatiohalen angewendet werden sollte.

Drittens könnte die jüdische Gemeinde für ihre soziale Tätigkeit die Unterstützung der großen jü­dischen Hilfsorganisationen (Joint,Ort", Welt-Hilfs- Zentrale etc.) beanspruchen. Es ist kaum anzunehmen, daß man ihr diese Unterstützung verweigern werde.

Als letztes aber- nicht in letzter Reihe würde zur Aufbringung großer Geldmittel beitragen die Einführung des allgemeinen Wählrechtes. So sonderbar das auf den. ersten Blick erscheinen mag, halten wir es dennoch für richtig, daß die Erweiterung des Arbeitsgebietes der jüdischen Gemeinde, ihre Um­gestaltung in eine wahrhaft soziale Institution mit der gleichzeitigen Einführung des allgemeinen Wahl­rechtes, nicht nur die Autorität dieser jüdischen Re­präsentanz, sondern auch ihre Einnahmen erhöhen

.tätfftl. Die Zahl der Steuerzahler und die Lust zum Zählern würde dadurch v rbeträchtlich steigert, ^jft^. - Ist der Vorstand ^l^hfeute, der in seiner 5&hr- helfaus Altliberaleii ^urö''ÄiS ? Ü^8^!ij>kratischen Zio- nisten besteht, imstähä4 bliese Reihten durchzu­führen? WahrschefhliöfVfiichi AfeeÄäs" muß das positive-Programm deb W|fttmtäre tfgf Vereinigung für soziale jüdische Tätigkeit, die die einzigen wirk­lichen Vertreter der arbeitenden jüdischen Massen dieser Stadt sind, sein. Auf der Grundlage eines positi­ven, konstruktiven, sozialen Programmes werden sie die jüdischen Massen sammeln und die jetzigen Mehr­heitsparteien davonjagen, wenn sie das Verständnis für die jüdische Not unserer Zeit, für die modernen sozialen Hilfsmittel nicht aufbringen sollten.

Wir müßten an das jüdische Volk, an die jü­dische Arbeiterschaft, an uns selbst verzweifeln, wenn wir nicht an den baldigen endgültigen Sieg der Demo­kratie innerhalb der Grenzen unserer Gemeinschaft glauben würden.

'" M. Singer.

Also sprach Herr Stricker ..

Herr Oberbaurat Stricker, der es zustande gebracht hat, die östeliireichisebe zionistische Partei zugrunde führen, bis er endlich abgesägt wurde, ist einige Zeit ziemlich schweigsam gewesen. Nun will e<r sein Glück bei den radikalen Zionis ten versuchen (Grüubaum und So- loweytschik tun uns aufrichtig leid, daß sie Herrn Stricker als Kollegen bekommen haben) und läßt sich in der Oeffent­lichkeit hören.

Wenn Herr Stricker in 'Versammlungen gegen die rote Assimilation .spricht, kann ihn ja kein denkender Mensch ernst nehmen. Der Herr, der durch seinePolitik" derUnion" und derAgudah" a,uf die Beine geholfen hat, kann doch nicht verlange, daß main seiner Gegner­schaft zur Assimilation Glauben entgegen bringen, soll. Wir wissen, daß Herr Stricker nur seinen finsterh Haß gegen die Arbeiterschaft unld jdie Sozialdemokratie zum Ausdrucke bringen will. Das ist die keifenlde Olmmacht.

Als Frechheit müssen wir es aber bezeichnen, wenn dieser Herr es auch wagt, den jüdischen Arbeitern Pa­lästinas die Schuld an dem Sperren von Delphiners Seiden­fabrik vorzuwerfen.

In derWiener Morgenzeitung" (13. Februar 1926) selbst schreibt ein Fachmann (der übrigens Herrn Del­phiner als Laien bezeichnet),daß die frühzeitige Schlies­sung der Seidenweberei ausschließlich in der Person des Unternehmers begründet war,'; Herr Delphiner sucht die Schuld der englischen Verwaltung zuzuschreiben. Herr Stricker aber erfrecht sich zu schreiben:Wenn die palä­stinensische Arbeiterschaft najch Palästina die Methoden der europäischen Gewerkschaften verpflanzen wird, ohne zu überprüfen, ob dort dieselben Voraiussetzungen für diesen Kampf gegeben sind, wird sie schwere Krisen, und zwar Krisen .der Arbeiterschaft, verursachen."

Kennt Herr Stricker die Bedingungen, unter weichein die jüdische Arbeiterschaft in Palästina lebt und arbeitet?

Es geht vorwärts."

(Palästina-Rundschau.) Die Konferenz der landwirtschaftlichen Arbeiter. Der Kampf umNir". Di© Organisierung der Pro- duktivgenossenschaftm. Der Verrat des Bürgertums von Tel-Aviv. Uneinigkeit unter den Arabern. Erfolge des Waad Leumi. Das Wachsen der jü­dischen Bevölkerung. Eine Untat der hebräischen Fanatiker.

Das größte Ereignis im Leben der jüdischen Arbeiter­schaft der letzten Wochen war die Konferenz der landwirt- ßbhaftlichein Arbeiter in Chaifa. Trotz der schwierigen Lage im Lande war die Konferenz von Zuversicht und Hoffnung auf eine baldige Besserung der Lage erfüllt.

Die Beschlüsse liegen im Wortlaut noch nicht vor, doch können wir nach der palästinensischen, Presse und derJüd. Kundschau" dein Inhalt einiger Beschlüsse wieder- geben.

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In bezug auf die Kolonisation wurde eine Resolution angenommen, welche die Bedeutung der Ansiedlung arbeiten- . der Elemente für die Verwirklichung des Zionismus würdigt uads sich an, die jüdischen Arbeiter der ganzen Welt wendet, deir Arbeiterkoioinisation zu Hilfe zu kommen, insbesondere djurch Schaffung eines Fonds. Die Konferenz fordert die ökonomische Fundieirung der bestehenden Wirtschaften und dje Erweiterung des Kolonisationswerkes. Sie begrüßt mit Freude die Zuwendung eines Teiles des Mittelstandes zur Laindwirtsohaft auf Basis der Eigenarbeit, und sendet ihren brüderlichen Gruß insbesondere den chassidisbben Sied­lungen.

in einer weiteren Resolution wird gefordert, daß die Neubesiedlung von Grundstücken durch Arbeiter nur unter Mitwirkung des Merkas Chaklai (des ausführenden Organes der Lan<^beiterorganisation) erfolgen dürfe. Die Konferenz

begrüßt ferner den Beschluß der American Zion Common­wealth, auf einen Teil ihrer Böden in Dschidro zugunsten des Nationalfonds zwecks Begründung einer vorstädtischen Arbeitersiedlung zu verzichten. }

In bezug auf die Politik des Nationalfonds fordert die Konferenz u. a., daß der N. F. in Zukunft auch von Juden Boden erwerben möge, wenn dieser für die Entwicklung der bereits bestehenden N.-F-.-Siedlungen nötig sei. Die Kon­ferenz erklärt, daß die Arbeiterschaft bereit sei, den N. F. in seiner Sammeltätigkeit zu unterstützen.

Ein wichtiger Beschluß betrifft feirner die Frage, ob die 'Lohnarbeit in den Kolonien von einem Departement des Merkas Chaklai geleitet werden soll oder ob die neue Institution einer Unternehmerkooperaitive innerhalb des Mer- 'kas gebildet werden soll, die als solche die Arbeiten über­nimmt. Bei der Abstimmung erhielt diese zweite Form die Mehrheit von 30 gegen 24 Stimmen. Auch dieser Be­schluß wird, wenn er durchgeführt wird, einschneidende Aenderungen in der Organisation der Arbeit in den Kolonien zur Folge haben.

Gegenüber der Regierung stellte die Konferenz eine Reihe von Forderungen auf, darunter die Abschaffung des Oscher und die Einführung einer progressiven Steuer, eine im Einklang mit den Bedürfnissen der Landwirtschaft ste­hende Steuerpolitik, ferner die Ueberlassung von unbe­bauten Staatsländereien an jüdische Arbeiter, die Erfüllung des Versprechens der Regierung, die demobilisierten Legio­näre auf Regierungsboden anzusiedeln, ferner fordert die Konferenz eine moderne Arbeitsschutzgesetzgebung. Die Konferenz protestiert dagegen, daß die Regierung Staats­ländereien an Elemente vergeben hat, die dieselben zu Spekula ti ans zwecken verwendeten (dies ist offenbar eine Anspielung auf die Böden von Befch Schan, die an die dort wohnenden Araber vergeben wurden, welche jedoch, da sie zuviel Boden haben, davon gar keinen Gebrauch machen können und einen Teil den Juden zum Verkauf angeboten haben.)

Der Merkas wird aufgefordert, die Anerkennung von zusammenhängenden jüdischen Arbeitersiedlungen als selb­ständigen Munizipalitäten bezw. Dorfgemeinden durchzu­setzen.

Die Konferenz beschäftigte sich auch eingehend mit den Zuständen in der Konsumgenossenschaft Hamaschbir, die scharf kritisiert wurde. Sie fordert die Einberufung einer Konferenz des Maschbir und setzt eine Kommission ein, um dies durchzuführen.

Aus den übrigen Beschlüssen heben wir noch eine Resolution henor, die die beschleunigte Durchführung der dringend notwendigen zentralen Schule im Eniek Jesreel fordert. Die Zionistische Exekutive wird aufgefordert, das voira Kongreß beschlossene. Budget für diese Sache zur Verfügung zu stellen.

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Der Höhepunkt der Konferenz war d^ Referat des Genossen Berl Katzenelsöhn über die GesellschaftNir", die als Zentrale der landwirtschaftlichen Siedlungen ge­dacht ist. Wir werden das Refei-at und die Diskussion in den nächsten Nummern ausführlich wiedergeben. Wir wollen nur an dieser Stelle mitteilen, daß nach einer ausführlichen Debatte der einstimmige Beschluß gefaßt wurde, daß alle Mitglieder der landwirtschaftlichen Organisation auch Mit­glieder derNii-" sein müssen. Für die endgültige Durch­führimg derNir", sowie der Abfassung der Verträge der Siedlungen mit dem Keren-Hajessod, sind spezielle Kom­missionen gewählt worden.

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Im Zusammenhang mit der Debatte um die Gründung der GesellschaftNir" ist auch das Problem der Zentrali­sierung der Produktivgenossenschaften aufgetaucht. Es wird schon jetzt an die Einbeanfung einer Konferenz der? Pro­duktivgenossenschaften gedacht. Die Schaffung dieser Zen­trale wird hoffentlich die Entwicklung der Genossenschaften günstig beeinflussen.