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Unsere Tribüne
Scholem-Alejchem.*)
Sxjholem-Alejcheni war vielleicht der einzige jüdische Dichter, dem der Geist der Schwere 1 nichts anhaben konnte, denn er hatte die Gabe, alles Schwere leicht zu machen. Das schwerste Leben der Welt, das jüdische Wanderleben, wird in seiner Hand zu einer Reihe von Ueber'- raachungen und Abenteuern.
Einer seiner Helden, der Knabe Motel der Kantorst- sohn, geht bald nach dem Tode seines Vater» in den Fluß baden' und vergnügt sich damit, kleine Fische und Frösche in seinem Hemd aufzufangen. Sein älterer Bruder sieht es und vei'setzt ihm eine Ohrfeige. Aber die Nachbarin kömmt dem Kleinen zu Hilfe; sie schreit: „Was. eina Waise schlagen!". Der Bruder läßt erschreckt ab; Motel aber ist froh: „Ich habe es gut." sagt- er, ,.ich bin eine Waise". So macht es 1 Scholem-Alejchem.
•Motel wandert von Hand zu Hand, von einem Gewerbe zum anderen, er wandert mit Mutter und Bruder im Elend von Ort zu Ort, von Land zu Land; er aber veraweife.lt nie. Warum auch? Er gewinnt jedem Leiden einen Genuß üb. Was gilt es ihm, daß er Tag um Tag seine Arbeit hinwerfen und den Lebensweg von neuem beginnen muß? Es macht ihn nur ungebundener, und das Neue, alles Neue» ist ihm sonderbar und ergötzlich. Warum darüber unglücklich sein, daß man auswandern muß? Die Welt ist so groß und breit, und groß, breit und überallhin verstreut ist das jüdische Volk; überall trifft man auf Juden, die raten und helfen. Und so reist Motel ganz vergnügt inmitten, einer Judenschar aus seinem Städtchen nach Brody, passiert die russische Grenze ohne Paß, reist weiter von Brody nach' Lemberg, Von Lemberg nach Wien, von Wien nach Antwerpen, von Antwerpen nach London, van London — der gute Gatt weiß wohin, erlebt allerlei Unerwartetes und Belustigendes — ja, es ist eine Lustreise.
Dieses Werk hat etwas Autobiographisches, so sehr ■schildert Scholem-Alejchem darin Züge seines eigenen Wesens. Eine unermüdliche Freude am Wandel und am Wandern ist ihm eigen. Schon die Helden seiner erstem Romane, der Spdelmann Stempenju und der Sänger Josscle .Sol'owej (Jossele Nachtigall), sind rechte Wandervögel. Beide gehören zu jener jüdischen Künstleff-Boheme, die von Zeit zu Zeit das vergreiste, euistairirte Leben de& östlichen Ghettos bezauberte und verjüngte. Beide sind noch pathetische Typen, aber sie sind die Vorgänger einer langen Reihe hiimoristiseher Figuren, lauter Wanderer und Abenteurer, wanderlustig und die eign/m Abenteurer belachend., des ewigen Wechsels froh und seiner doch auch mit heiterrn Spott gedenkend.
Das -Lachen Scholem r Alojchems. ist so tief und so xtmfasseoi'd, .daü a/ucii das Furchtbarste, daß dej'r .Pogrom selber sich ihm "nicht entziehen kanfii. Scluolem-Alejchejm erzählt uns davon eine wunderliche Geschichte. Sie spielt sich, wie so viele seiner Geschichten, in dem Städtchen VjKasrilewke" ab, zur Zeit dess Kischinower Pogroins. Die Nachricht ist rasch nach Kasrilewke gelangt und hat in der Judenschaft Entsetzen und Trauer efregt. Das Städtchen liegt zwar nicht sehr nah von Kis'chinew, aber auch nicht sehr weit, und die Juden aller Lande sind ja Brüder, und ein jeder fühlt eines jeden Not als: seine eigene. Darin ist gewiß nichts Komisches zu finden, nur der Ernst *) Diese Abhandlung wurde vor 10 Jahren, als die Nachricht vom Ableben Scholem-Alejchems eintraf, im „Juden" veröffentlicht.
einer innerlichen Wahrheit. Ahe»- schoft in dem Schwulst, mit dem der Ueberbringer der Nachricht sie vorträgt, spielt. Scholem-Alejchems "Humor. Und nun geschieht es*, daß die Juden von Kasrilewke vor dien Nichtjuden ihrer Stadt Angst zu liaben beginnen; und da in der Stadt nur sehr wenige Nichtjuden wohnen, so haben sie eben vor diesen Angst: vor Chwedor, dem „Sabbat-Goj", der am Ruhetag für alle Juden die notwendige profane Arbeit verrichtet, und der blatternnarbigen Dienstfrau Hapke. Sie schauen ihnen in die Augen und werden immer bedenklicher, bis - das doppeldeutige Wort eines wirklieh judenfeindlichen russischen Beamten den Pogrom ihnen als unmittelbar bevorstehend erscheinen läßt und die ganze Judenstadt mit Hab und Gut sich auf den Weg nach dem nahen Koscho- jewke macht. Unterwegs begegnen sie den Juden Kr>sclu> jewkes, die aus der gleichen Ursache nach Kasrilefwke auswandern. Und nun merken sie auf beiden Seiten: es gibt keinen Grund davonzulaufen, es gibt auch kein Ziel. Alle kehren stumm und beschämt nach Hause zurück. Und Scholem-Alejchem lächelt. Wehmut? Die Wehmut ist hinter dem Lächeln, nicht in ihm; es ist ein echtes, unverstelltes, unentstelltes Lächeln.
• Nur zwei Gegenstande sind bei Scholem-Alejchem nie • lächerlich: die Jugend und die Festtage. Wenn er von diesen oder von jenen zu erzählen beginnt, wird der Spottlustige gefühlvoll und rührend; gefühlvoll-ergötzt, rührend-froh. (Seine Geschichten von den Kinderjahren und von den „guten Tagen" sind voller Humor, aber ohne Komik; denn es lebt eine Gläubigkeit in ihnen, die sich mit dem Humor verträgt, aber keine Komik aufkommen läßt.
Ist sie nur selten sso wie hier gesa.ra.melt und wirksam, nie verläßt sie den Dichter ganz, diese Gläubigkeit, dieser naive, kindliche Glaube an die Weltgüte. Und etwas dav3n haben alle seine Gestalten. Alle sind sie wie Motel der Kantorssohn: Menschen, die nie verzweifeln.
In drastischer Weise deutlich wird das an Me nachein- Mendel, der Hauptfigur in Scholem-Alejchems Erzählungen. Menachem-Mendel erleidet jeden Augerfblick einen Schiffbruch und geht nie unter; er läßt sich von einer Planke tragen und schaut nach der Sonne aus. Er baut unablässig Kartenschlösser, die im Nu zusammenstürzen; er selber aber bleibt munter und unentwegt-. Ob ihn seine Hoff- nungen auch immer wieder täuschen, er wird nie enttäuscht ; er wartet immer wieder von neuem auf die Erfüllung. £eine erträumten „Millionen" („Millionen" heißt das Werk, in dem davon erzählt wird) sind bares Geld, denn niemand kann sie ihm wegnehmen. M'enache/m-Mendel ist die karrikierte aber lebensvolle Verkörperung des grundlosen und unerschütterliclien jüdischen Optimismus. Der uralte Glauben an • den Tag der "Erlösung, der nahe, nahe ist, und dessen Kommen, ob' \v auch zögert, in jedem 5 Augenblick erwartet wird, hat hi^ei^n ^rniseliges. und. lächerliche^ Goluskleid angetan, aber die " scheckigen Lumpen könnet» die hohe Gestalt nicht entstellen. Es sind Handelsgeschäfte, luftige Handelsgeschäfte, die Menachem-Mendel treibt, aber auch in ihnen : niocfti siegt der hoffende und glaubend© Geist über die Wirklichkeit. Ja, er erwartet nicht mehr die „Erlösung", sondern den Erfolg, aber es ist nicht der Erfolg als Genuß, sondern der Erfolg als Idee, als Traum, als — Erlösung; ja, er ist ein jämmerlicher Phantast, aber in all seinen Phantasien lebt als Kern und Halt das alte un schwäch bare Gotth'ertrauen, der Glauben an die Weltgüte.
Dem Sancho Pansa dieses .wahrhaft jüdischen Do» Quijote hat Scholeiq-Alejchem die Gestalt eiuer Frau gegeben ; es ist Schejne-Schej fidel, Mefcadhem-Mendels Gattiä. Ihr Realismus ist der rechte hebende Kontrast zu geSäe* Phantastik. Sie ist ebenso nüchtern-irdisch und unerbtttlick praktisch, wie er himmelguckerisch. und wanneeltg ist. Sie ist sanchoponsischer als Sancho Pansa selber; denn- sfo wird ihren Don Quijote nie auf seinen Fahrten begleiten^ ob er ihr auch schwört, sie als Königin all seiner geträumten Länder zu krönen. Sie rührt sich nicht Von ihreia Kasrilewke uud schreibt unaufhörlich Briefe an Menachem- Mendel, er solle seine schönen Luftschlösser in der Luft lassen und heimkehren; „Pasteten im Traum." sagt sie mit unbarmherziger Klarheit, „sind keine Pasteben".
Ein echter und tiefer Zug Scholem-Alejchems äußert sich darin, daß er seinen, den jüdischen Sancho Pansa zu einer Frau macht. Ist die Frau überhaupt- stärker als der Mann an Leben und Erde gebunden, so ist es gan'z * besonders die jüdische, die von dem geistigen Schrifttum nur wenig berührt worden ist und im Ghetto stets als die Trägerin — nur zu oft als die Lastträger in — des Wochenlebens gegolten hat.
Menachem-Mendel und Schejne-Schejndel stellen, kar- rikiert, aber unverkennbar, die beiden Gegenpole der jüdischen Seele dar-. Das reine Vertrauen und den spitzfindigen Fragesinn, den Glauben und die Reflexion, die fessellose Zukunftsschwärmerei und den erbitterten Kampf um den Tageserwerb, die Hingabe an das Fernste und die Gief nach dem Nahen. Beide zusammen bilden ein Ganzes, das Jude heißt.
Wenn in diesen extremen Typen die Idee es ist, die sich in der reinen Foifaa des Humors auszuprägen sucht, so überwiegt in „Towja dem Milchigen" (Tobias dem Milchhändler) die Wirklichkeit. Er ist eine künstlerisch große Darstellung des jüdischen Durchschnittsmenschen. Er ist weit weniger Geist als Menachem-Mejndel, aber der Geist lebt auch in ihm. Er ist seßhafter, aber auch er wandert zuletzt aus (nach Palästina), wobei ihm freilich nach seinem alten Leben und seiner gewohnten Umgebung bange wird. Er ist nicht so verschwärmt und ftugsüohtig wie Menachem- Mendel, er hat auch nicht dessen Größenwahn, aber auch er ist imstande, seine gesamten Ersparnisse auf einmal Menachem-Mendel zu übergeben, um den großen Treffer zu machen. Er hat nicht dessen gläubigen Optimismus, er kennt das Lachen unter Tränen und sein Witz ist sarkastisch, aber auch er ist ein Mensch der Hoffnung, die nie enttäuscht werden kann. Seine alten Leiden macheto, ihn zum Fatalisten, aber i,n der plötzlichen Uebennschung: des Guten wie des Bösen bricht der kindliche Glaube wieder in ihm durch. Audi er, der so viel von Pein und Mißgeschick zu sagen hat, weiß nichts -von Verzweiflung; und wenn ihm das Schweifte widerfahren ist, nimmt er sich „wieder zu der Arbeit, zum bißchen Milch wäre und; zum Pferd und Wägelchen; wie heißt es doch: ,jeder Mann zu seinem Werke und jeder Mensch zu seiner Arbeit'
In Towja ist manches von Meniachem-Mendel und manches von Schejne-Schejndel vereint. Er ist der jüdische Durchschnittsmensch, der Idealist und Materialist zugleich ist, Gläubiger und Ungläubiger, Schwärmer und Praktiker, ewiger Wanderer und festgenagelt an seinem Ort. —
Und über all dem das Lachen Scholem-Alejchems, das feine und herzhafte, das überlegene und mitlebende Lachen', ach, das einzige große Lachen des Ghettos.
F. Lache wer.
Palästina-Rundschau.
Beratungen der Arbeiterschaft mit Weizmanu. — Die Stellung" unserer Genossen zur Schutzfrage. — Die Delegation des „Waad L'umi" nach Genf. — ; Der 1. Mai in Palästina.. — Günstige Bilanz der Arbeiter-Batik. Vor seiner Abreise aus Palästina hielt Weizmann eine Beratung mit den Vertretern der Arbeiterschaft ab. Ueber die Vorschläge, die in 1 dieser Beratung unterbreitet wurden, berichtet der „Dawar":
Wichtig und charakteristisch für die Reife der Bewegung der Arbeiter ist, daß die Vorschläge nicht auf Almosen zielten, nicht auf Belastungen des Budgets der Zionistischen Organisation, sondern auf Möglichkeiten pr3- duktiven, wirtschaftlich gesunden Kredits. Die Vorschläge müssen natürlich geprüft werden, aber es sind keine künstlichen Vorschläge von Projektenma-ehern, sondern Vorschläge, die für den wirtschaftlichen Au/fbau .selbst nötig sind. Hypothetoenkredit für das Nordviertel, für notwendige öffentliche Arbeiten der Stadt Tel Aviv, für das riesige Unteir- tajeh'meri in Djidro, für den Keron Kajemeth zur Ent- twässeiung und Verbesserung von Böden und ein Arbeits- •Uebein)alime-Bureau in den Kolonien, Bauten in den landwirtschaftlichen Kolonien, Beschleunigung des .Rutheubex^g- Unternehmens, Beschleunigung- der Bauten der Universität und der. nationalen- Institutionen in Jerusalem, das alles sind Unternehmungen jenseits der Arbeitslosejn - Unterstützung. Sie alle haben eine gesunde, wirtschaftliche Grundlage — Die Forderungen kamen von den Arbeitern. Aber die Forderung nach Arbeit ist jetzt keine Forderung eines ßtamdes. Unter dem Druck der Lage seufzen weiteste KrMse, sie alle warten auf Arbeit. Und die Frage ist nicht nur
eine Frage der Pläne unfd der Mittel. Es handelt sich um das Tempo, in dem das Werk getan wird, die Geschwindigkeit, mit der angefangen wird. .Wenjh die Arbeit tropfenweise zersti'eut wird, verliert sie den Wert der Rettung. Die oberste Leitung des Zionismus muß sich vor den schweren Wagen des arbeitenden und Arbeit suclienden Jischuw vorspannen, und der Wagen wird fahren. — Es ist Zeit zu handeln.
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Die Frage der Bildung des Grenzschutzes bewegt noch immer die Gemüter. In einem ausführlichen Artikel im „Kuntres" vom 14. April 'wird die Stellung unserer palästinensischen Brulderpajrtei diargetan. Es heißt dort u. a.:
7m Ergebnis des Kampfes in der Gendaraieriefrage liegt der Schlüssel zu allen Fragen der Beziehungen zwischen uns und der Regierung, unserer Beteiligung an den Arbeiten der Regierung, der Verteilung der Regierungsböden, der Beiteil igung am Erziehungsbudget, der Organisation der Einwanderung, des Rechts der hebräischen Sprache, unserer Rechte in den Stadtverwaltungen usw. Die Regierung hat sich bereit erklärt, den Jisohu'w durch eine weitere Erklärung zu beruhigen. Naeii/dam das neue Regiment schon aus den arabischen Gendarmen rekrutiert worden ist, geruhe der Highkonnnissioner eine Verordnung über das Fehlen von Unterscheidungen auszugeben. Gleichzeitig wurden Anweisungen ausgegeben, von den Juden Kenntnis von mind'e-. stens zwei offiziellen Sprachen zu verlanigen. Das ist dar erste Schritt von Mangel an Unterscheidung. Trotz, dieses offenbaren Blendwerkes gab es Mitglieder des Waad Leumi, die dagegen waren, die Maske von der neuen^Verordnung- herunterzureißen und offen zur Fortsetzung des Kampfes aufzurufen. Das waren Angehörige des Hapoel Hazair. Für sie war anscheinend diese gan'ze Frage deV Ausschlusses
der Juden von der Beteiligung an der Verteidigung nur ein? Frage verletzten nationalen Stolzes und diese Verletzung sahen sie nicht in der Sache selbst, sonfdern in dem ersten Text der Verordnung. Auch wenn wir diese Frage nur vom Standpunkt der Sorge um dio nationale Ehre ansehen, handelt es sich nicht nur um eine Prestigefrage, sondern um eine Frage der richtigen Beziehungen zwischen beiden Völkern. Diese Frage wird nicht geregelt durch Erklärungen, nicht durch diesen odejr jenen Text, sondern nur dadurch, daß jede Partei ihre Rechte schützt, und die Rechte der" anderen Partei nicht beeinträchtigt, daß die Regierung ihre Pflicht gegenüber beiden Parteien versteht und durch ihra Taten die Erkenntnis von der Notwendigkeit gemeinsamen Lebens auf der Grundlage gegenseitigen Verständnisses stärkt. Jeder Schritt der Regierung, der die Ehre und die Rechte eines Teiles anrührt, verstärkt nur die chauvinistischen Kräfte im anderen Teil und es ist gleichgültig, ob die Regierung- das Bedürfnis empfindet oder gezwungen wird, für unrechtmäßige Schritte beruhigende Ellklärungen abzugeben. Nicht duich Erklärungen, sondern durch Taten verstärkte die Regierung die hetzerischen Kräfte im Lande und auch heute, fwerden nicht Erklärungen die Bedeutung solcher Taten aufheben. Die Mitglieder des Hapoel Hazair wollen ferner einer jüdischen Truppe, auch nach der Organisation einer • arabischen Truppe, nicht zustimmen. Auch die anderen Teile des Jischuw, außer den Revisionisten, verlangen keine jüdische Truppe. Sie verlangen eine genügende Beteiligung der Juden an den -Verteidigungskräften, aber wenn die arabische Trupj>e Tatsache geworden ist, kann diese Beteiligung nur durch eine jüdische Truppe erreicht werden. Noch etwas ist zu bemerken: Die jüdische Truppe hat keine aggressiven Tendenzen. Es gibt im jüdischen Jischuw fast niemandem, (Fortsetzung auf Seite 4.>