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Unsere Tribüne
Nr. 10
D. Locker:
Die jüdische Arbeiterschaft und die Wanderungsfrage.
(/us seiner Rede auf dein sozialistischen Weltwanderungskongreß in London.)
Ich will nicht hier ausführlich alle Vorschläge) die wir . eingebracht haben, erörtern. Das werden wir in der Kommission versuchen, hier will ich mich bloß auf einige aligemeine Bemerkungen beschränken;
Der bisjetzige Verlauf der Verhandlungen ruft den Eindruck hervor, als! wäre die Arbeiterschaft der ( Welt in Zwei Lager getrennt. Auf der einen Seite, die Arbeiterschaft jener Länder, die große Entfaltungs- und Arbeitsmöglichkeiten haben, diese Arbeitsmöglichkeiten aber für sicli monopolisieren und die Arbeiter der anderen Länder ausschalten will. Auf der anderen Seite !die Arbeiterschaft und die arbeitsuchenden Massen der Länder, die eine schwere wirtschaftliche Krise durchmachen und Arbeits- und Lebensmöglichkeiten in anderen Ländern zu suchen •gezwungen sind, überall aber vor verrammelten Toren und Türen stehen.
Die Arbeiter Nordamerikas haben uns' ihre Antwort bereits gegeben — sie sind dem Kongreß ferngeblieben. Australien und Kanada haben hier heute den Auswanderungsländern gute Ratschläge erteilt, wie die Ursachen, die die Auswanderung hervorrufen,, zu bekämpfen seien. Diese Reden erinnerten mich an j'eaen Witz, der das Zwiegespräch zwischen Hamlet un'd Ophelia wie folgt variiert: Als' Hamlet Ophelia Sagt: „Geh in ein Kloster, Weib!" gibt sie ihm zur Antwort: „An Ratschlägen mangelt es mir nicht, mein Pririzl"
Hier handelt es sich nicht darum, den Auswanderungisländern Ratschläge zu erteilen. Selbstverständlich bemühen sich die Arbeiter in diesen Ländern die wirtschaftliche Lage so zu gestalten, daß das Bedürfnis' .nach Auswanderung vermindert werde. Aber die Emigration ist ja schließlich keine neue Erscheinung. Sie war bereits vor dem Kriege groß. Die Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse haben sie bloß gesteigert. Durch kluge Ratschläge kann man ; sie nicht aus der Welt schaffen. Wir müssen mit der Emigration, wie mit einer bestellenden Tatsache rechnen und das' Absperren der Einwanderungsto're ist gewiß nicht die richtige Beantwortung.
Mir Scheint, daß die Arbeiterbewegung der Eiri- wanderungsiländer in dieser Frage eine naive Politik führt. Es' ist in der jetzigen Epoche nicht gut möglich, gewisse Länder durch eine chinesische Mauer von der übrigen Welt abzusperren. Das stets wachsende Elend der arbeitenden Massen in den Aus- wanderung'sländern wird auf die Dauer nicht ohne Einfluß auf die Arbeiter in den Einwanderung'sländern bleiben können. Und der Zeitpunkt, in welchem diese Arbeiter einsehen werden, daß ihre Politik falsch war, liegt vielleicht nicht mehr fern.
Inzwischen aber müssen wir auf diesem Kongreß die traurige Tatsache konstatieren, daß das Welt- rjroletariat das notwendige Maß von Solidarität nicht besitzt. Arbeitersolidarität bedeutet nicht bloß die .gemeinsame Verteidigung der Interessen der Arbeiter jedes einzelnen Landes, sondern das gemeinschaftliche Verantwortungsgefühl für das Schicksal der Arbeiterklasse in der ganzen Welt.
Die jüdischen Arbeiter empfinden diese traurige Erscheinung deshalb so schwer, weil für uns die Auswanderungsfrage einfach tragisch ist. Die Juden in Osteuropa haben nicht bloß unetr der allgemeinen Wirtschaftskrise zu leiden, ihre Lage wird noch besonders durch das Hinausdrängen aus ihren alten wirtschaftlichen Positionen, durch das Eindringen anderer Elemente von der umgebenden Bevölkerung in ihre Stellungen und durch die Boykott- und Verdrängungspolitik der heutigen Machthaber, insbesondere in den neu entstandenen Ländern, sehr verschlimmert. In Polen z. B. ist dip Arbeitslosigkeit unter den jüdischen Arbeitern bedeutend größer als bei der polnischen Arbeiterschaft, weil die kleinen Werkstätten und Industrien, in denen die jüdischen Arbeiter konzentriert sind, durch die Krise völlig ruiniert wurden und zu Regierungs- und Kommunalarbeiten die jüdischen Arbeiter nicht zugelassen werden.
So besteht in Osteuropa, nach einer vorsichtigen Schätzung, ein Auöwanderungsbedürfnis von 250.000 Juden jährlich, während im Jahre 1925 gegen 50.000 bis' 60.000 wirklich auswandern konnten. Die übrigen sind zu wirtschaftlichem Untergang verurteilt.
Noch ein Wort über Palästina. Ich' will mich hier in eine politische Auseinandersetzung mit Genossen Alter nicht einlassen. Es ist bekannt, daß wir einen entgegengesetzten Standpunkt als' der „Bund" vertreten, was ich auch hier besonders betonen will. Da aber Genosse Alter hier versucht hat, die Be^ deutung Palästinas für die jüdische Emigration zu bestreiten, will ich ihm bloß mit zwei Ziffern erwidern: Nach Amerika sind im Jahre 1925 10.000 Juden, nach Palästina 34.000 eingewandert! Ihr könnt daraus ersehen, ob die Bedeutung Palästinas für die jüdische; .Wjanderun'g wächst, oder 1 nicht.
Das jiddische Schulwesen in Polen.
Die Zedtalale jüdische Sdi i uloa J gia'iiis!a.tion (,,Zisehb"), die das Bildunjgs'woscn in jiddischier' Unterticntelsprache i'n Polen leitet, hat auf Grund eines RAmdfegetoogc^ns die Zahl und den Stand ihrer Bildungsinstitutionon fostens'tcricn versucht. Eö sind noch Adele Beantwortungen ausständig. Aber auch die unvollständigen Ziffern gewannen ci|iin!eÄ "Einblick in dieses wichtige Gebiet.
Die Schulorga.nisat.ron hat in Bolen, 77 Ortsgruppen,; vom denen 22, die den Fragdbogela bereits beantwortet haben, 1ÖÜ7 Mitglieder zählen, Die größten Ortsgruppen des Landes sind in diesen Zahlen noch nicht enthalten.
In 75 Volksschulen, die 390 Klassen haben, genießen Unterricht 9394 Kinder, von denen 2918 Buben (31.07 Prozent) und 6476 (68.93 Prozent) Mädel sind. Drei Gym-
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nfetsien weisen eine Sdrülcirza.hl von 539 auf. Hievten sind 257 (47.GS Prozent) männlichen, 282 (52.32 Prozent) weiblichen Geschlechts. Die LehVe'rbildungsansitalt in Wilna hat 141 1 Schüler, darunter sind 48 männlichen und 93 weiblichen Geschlechts. ■'
• Von den 32 Abendschulen, die iden* „Zis'ch!o" angef schlössen sind, weisen 16 eine ScMlcfeahl Von 1247 auf, unter ihnen 598 (47.9G Prozent) männlichen, 649 (52.04 Prozent) weiblichen Geschlechts: In de(h Abendschulein unter r - niehten 68 Lehrer. Fünf dieser Schulen werden von den Stadtverwaltungen, zwei von den jüdisch'etn Gemeinden, subventioniert.
In Cfrodnto gibt es ©ine .V'olks'univciisität, dio 76 ständige Hörer aufweist.
Mit. Recht konstatiert N. Buxbaum („Schul uu lieben", Januar 1926) in Würdigung dieser Ziffern, „daß trotz aller Störungen und 'Verfolgungen seitefuis! dclr 'Behörden und ungeachtet der ungeheuer schwierigen finanziellen -Lage der , Schulen, bleibt unser Schulwesen tmeaisehüttert. Eis gibt keine Macht, die das jiddische Schulwesen zu zerstören vermochte." - ' -
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Palästina-Rundschau.
Der Kampf der jüdischen Arbeiter um Beschäftigung bei Regierungsarbeiten." — Vom „Solcl-Boneh". — Die Lage am Arbeitsmarkt. — Ein bedauerlicher Konflikt zwischen „Gdud" und „Histadruth". — Das Resultat des Prozesses gegen die Stadtverwaltung von Tel-Aviv. — Die englischen Arbeitervertreter für die jüdischen Arbeiter in Palästina. — Der „Obel".
Die Rücksichtslosigkeit der englischen Regierungs- beamten bei der Aufteilung der öffentlichen Arbeiten hat in der letzten Zeit unerhörte Formen angenommen. Sogar die Arbeiten in den jüdischen Siedlungen werden mit Ausschluß der jüdischen Arbeiter vergeben. Letztens sind einige besonders krasse Fälle der Ignorierung der jüdischen Arbeiterschaft, die große Aufregung hervorgerufen haben, vorgekommen.
Seit langer Zeit fordern die jüdischen Siedlungspunkte, daß zwisohen Petach-Tikwah und Tel-Aviv eine neue Straße gebaut werde. Die Regierung versprach es oft, aber sie führte es nicht durch. Endlich ist nun ein Konkurs auf einen Teil dieses Straßenbaues ausgeschrieben worden. Es war nicht anders zu erwarten, als daß diese Arbeit zur Entlastung des Arbeitsmarktes in Tel-Aviv benützt werden wird. Aber der Arbeiterrat von Jaffa brachte in Erfahrung, daß die Absicht vorhanden ist, auch von ^dieser Arbeit jüdische Arbeiter auszuschließen. Die Vertreter des Arbeiterrates haben sich in dieser Angelegenheit an den Regierungsvertreter in Jaffa gewandt, der sie aber, angeblich aus Zeitmangel, nicht empfangen wollte- Obwohl verschiedene Privatleute die ganze Zeit dort ein- und ausgingen, mußten die Vertreter von 10.000 Arbeitern stundenlang vergeblich warten.
In Afulah. eine ausschließlich jüdische Siedlung, baut die Regierung eiy. 'Gebäude für die Gendarmerie. Obwohl dortselbst große Arbeitslosigkeit herrscht, sind für diese Arbeit njehtjüdische. Arbeiter aus anderen, Ortschaften gebracht worden. In diesem Falle ist die Regierung vom jüdischen Unternahmor, ein Kolonist aus Metülah, unterstützt worden. Derselbe wendete sich an einzelne Arbeiter, und als sie ihn an das Arbeitsvermittlungsbureau wiesen, lehnte er es ab. Hiebei hat das Arbeitsverinittlungs?- bureau in diesem Falle die Preise den Regierungsbedingungen angepaßt.
Auch von dem Straßenbau zwischen Chaifa und Naza- reth-Tiberias sollen Juden ausgeschaltet werden.
Die jüdische Arbeiterschaft in Palästina wird einen großen Kampf aufnehmen müssen, um dieses Arbeitsgebiet für sich zu erobern. In dieser Angelegenheit ist Genosse Ben-Zwi für den 25. August zum Lord Plumer vorgeladen worden.
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Die Gesellschaft „Markoleth" hat eine große Boden- fläche in der Nähe des jetzigen Handelszentrums in Tel- Aviv erworben, um dort ein großes Warenhaus zu errichten. Der Straßenbau ist privaten Unternehmern übergeben wor- deu. Da die Gesellschaft sich überzeugt hat, daß die privaten Unternehmer die Arbeit nicht machen können, löste sie den Vertrag mit denselben und übergab den Straßenbau der Arbeiterkooperative „Solel-Boneh". Diese Arbeit wird gegen 10.000 Pf. Sterling kosteu und werden dabei 100 Arbeiter Beschäftigung finden.
Der „Solei Boneh" übernahm auch von der Stadtverwaltung von Tel-Aviv den Bau einer Straße aus Asphalt auf der Alienby-Straße. Bis jetzt sind die Straßen aus Beton gebaut worden, jetzt wird der Asphaltbau nach einer
für die tropischen Länder ganz besonderen Methode versucht. Zu diesem -Zwecke muß sich der „S. B." neue Malschinen im Betrage von ungefähr 4000 Pf. Sterling anschaffen. '
Der Bau der Jarkon,-Brücke, die der „S. B." von der Regierung übernommen hat,, geht vorwärts. Das ist die erste Brücke -im Lande, die aus Beton gemacht wird. Auch für diese Arbeit mußte sich der „S. B." neuö Maischinen anschaffen.
Letztens hat der „S. B." den Bau des Wasserturmes in Ludd fertiggestellt. Dieser Bau wurde dem „S. B." von der rein arabischen Stadtverwaltung übergeben. Auch die arabische Stadtverwaltung von Jaffa überga/b dem „S. B." den Bau einiger Straßen.
Der „Solei Boneh" beschäftigt durchschnittlich 2000 bis 2350 Arbeiter monatlich. Im Mai 1920 hat er 2312 Arbeiter beschäftigt. Unter ihnen waren lÜUS Bauarbeiter (47,50 Prozent), 587 Straßen- und Kanalbauarbeiter (25,50 Prozent), 240 Steinarbeiter (10,50 Prozent), 115 Tischler (5 Prozent), 110 Transportarbeiter (4,50 Prozent), 46 Metallarbeiter (2 Prozent), 25 Zementgießer (1 Prozent), 19 Wächter (0,75 Prozent). :
Der „Solei Boneh" ist jetzt in sein eigenes, schönes Haus übersiedelt. Das Gebäude emtluilt mehr als 20 Bureauzimmer, ein Maschinenlager, eine Archivabteiluug otc. Der. Bau kostet nahezu 4000 Pf. Sterling.
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Gegen 20. August waren iu Chaifa 1230 Arbeitslose (Mitte Juli waren es 1400), für die Arbeiten in G'dro sind 1G0 Arbeiter aus Tel-Aviv und 60 auf Afuleh aufgenommen worden. Es werden noch Arbeiter untergebracht werden können. In der Zahl der Arbeitslosen sind auch 183 Ar-